StGB § 51 Abs. 3 Satz 1 Anrechnung einer in Brasilien zT vollstreckten Haftstrafe
BGH, Beschluss v. 13. Dezember 2016 – 3 StR 440/16
Auf eine inländische Strafe wird Gem. § 51 Abs. 3 S. 1 StGB eine im Ausland vollstreckte Strafhaft angerechnet, wenn der Angeklagte im Ausland wegen derselben Tat bestraft worden ist. Dies setzt nicht voraus, dass das ausländische und das inländische Urteil dieselbe Tat iSd § 264 StPO betreffen, sondern nur, dass der Täter den Freiheitsentzug aus Anlass einer Tat erlitten hat, die Gegenstand des Verfahrens ist oder gewesen ist. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführerin am 13. Dezember 2016 gemäß § 349 Abs. 2 StPO einstimmig beschlossen: Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Kleve vom 4. August 2016 wird verworfen. Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen. Gründe: Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich die Angeklagte mit ihrer auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision.
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts transportierte die Angeklagte in der Zeit von August 2008 bis zum 29. September 2009 in vier Fällen Kokain in einer Menge von jeweils mindestens einem Kilogramm auf dem Luftwege von Südamerika nach Europa, wo sie die zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmten Drogen noch vor ihrer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland übergab. Am 11. April 2010 begab sich die Angeklagte nach Sao Paolo, wo sie rund 2,5 kg Kokain zum Weitertransport nach Europa übernahm. Die Drogen wurden indes am 20. April 2010 bei der Kontrolle am Flughafen vor ihrem Rückflug von der brasilianischen Polizei entdeckt. Wegen dieser letzten Tat wurde die Angeklagte in Brasilien zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und zehn Monaten sowie einer Geldstrafe verurteilt. Von der Freiheitsstrafe verbüßte sie drei Jahre im geschlossenen und sieben Monate im sogenannten halboffenen Vollzug, bevor ihr im April 2016 die Ausreise gelang. Die Tat von April 2010 ist im Ermittlungsverfahren Gegenstand des Haftbefehls des Amtsgerichts Kleve vom 12. April 2010 gewesen. In ihrer Abschlussverfügung hat die Staatsanwaltschaft das Verfahren insoweit gemäß § 154 Abs. 1 StPO eingestellt und sodann wegen der vier im Zeitraum von August 2008 bis zum 29. September 2009 durchgeführten Drogentransporte Anklage erhoben. Im Hinblick auf die in Brasilien vollstreckte Freiheitsstrafe hat die Strafkammer im Rahmen der Strafzumessung einen Härteausgleich vorgenommen; eine Entscheidung über den Maßstab, in dem der in Brasilien erlittene Freiheitsentzug auf die von ihr verhängte Gesamtfreiheitsstrafe anzurechnen ist, hat sie nicht getroffen.
2. Die auf die Sachrüge gebotene umfassende materiellrechtliche Überprüfung des Urteils hat zum Schuld- und Strafausspruch aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Der vom Generalbundesanwalt beantragten Zurückverweisung der Sache zur Entscheidung über den Maßstab, in dem die in Brasilien erlittene Haft auf die Gesamtfreiheitsstrafe anzurechnen ist, bedarf es nicht.
a) Allerdings ist die in Brasilien erlittene Auslandshaft gemäß § 51 Abs. 3 Satz 1 StGB auf die von der Strafkammer erkannte Freiheitsstrafe anzurechnen. Hiernach wird auf eine inländische Strafe eine im Ausland vollstreckte Strafhaft angerechnet, wenn der Angeklagte im Ausland wegen derselben Tat bestraft worden ist. Dies ist entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht nur der Fall, wenn das ausländische und das inländische Urteil dieselbe Tat im Sinne des prozessualen Tatbegriffs gemäß § 264 StPO betreffen (vgl. BGH, Urteile vom 22. Dezember 1987 - 1 StR 423/87, BGHSt 35, 172, 177; vom 7. Februar 1990 - 2 StR 601/89, NStZ 1990, 231, 232). Nach der ratio legis des § 51 Abs. 3 Satz 1 StPO ist eine erweiternde Auslegung geboten. Durch die Regelung soll zunächst verhindert werden, dass der Täter durch eine Doppelverurteilung, zu der es kommt, weil ein früher ergangenes Strafurteil im Ausland nicht zum Strafklageverbrauch im Inland geführt hat, schlechter gestellt wird, als wäre er für die Tat (im prozessualen Sinne) nur einmal im inländischen Verfahren verurteilt worden. Andererseits soll der Angeklagte durch die Anrechnung der ausländischen Strafvollstreckung aber auch nicht besser stehen, als er gestanden hätte, wenn das gesamte Tatgeschehen im Inland abgeurteilt worden wäre. Dem lässt sich der Regelungsgedanke entnehmen, den Täter allgemein so zu stellen, als habe der gesamte Freiheitsentzug im Inland stattgefunden. Dies bedingt die Auslegung des § 51 Abs. 3 Satz 1 StGB nach dem Vorbild des § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB, der - in Ausgestaltung des Aufopferungsgedankens (vgl. MK/Maier, StGB, 2. Aufl., § 51 Rn. 1) - die Anrechnung früher im Inland erlittener Freiheitsentziehung regelt. Danach setzt die Anrechnung (nur) voraus, dass der Täter den Freiheitsentzug aus Anlass einer Tat erlitten hat, die Gegenstand des Verfahrens ist oder gewesen ist (sog. Grundsatz der Verfahrenseinheit). Für die Annahme eines einheitlichen - über § 264 StPO hinausgehenden - Tatbegriffs in § 51 Abs. 1 und Abs. 3 StGB spricht zudem der Verweis in Absatz 3 Satz 2 auf Absatz 1 der Vorschrift; für eine ungleiche Behandlung von im Ausland vollstreckten Freiheitsstrafen gegenüber sonstigen ausländischen Freiheitsentziehungen, die keine Strafvollstreckung darstellen, besteht kein sachlicher Grund (BGH, Urteil vom 5. November 2014 - 1 StR 299/14, BGHR StGB § 51 Abs. 4 Anrechnung 5 mwN). Die nach alledem für eine Tatidentität im Sinne des § 51 Abs. 3 Satz 1 StGB ausreichende funktionale Verfahrenseinheit (BGH, Beschluss vom 26. Juni 1997 - StB 30/96, BGHSt 43, 112, 115 ff.) liegt etwa dann vor, wenn die der ausländischen Strafvollstreckung zugrunde liegende Tat - wie hier - Gegenstand eines im inländischen Ermittlungsverfahren erlassenen Haftbefehls gewesen und das Verfahren insoweit später gemäß § 154 StPO eingestellt worden ist (BGH, Urteil vom 22. Dezember 1987 - 1 StR 423/87, BGHSt 35, 172, 178; Beschluss vom 26. Juni 1997 - StB 30/96, BGHSt 43, 112, 120).
b) Der vom Generalbundesanwalt beantragten Zurückverweisung der Sache zur Entscheidung über den Anrechnungsmaßstab hinsichtlich der in Brasilien erlittenen Strafhaft bedarf es nicht. Die dort vollstreckte Strafe ist gemäß § 51 StGB bereits kraft Gesetzes auf die erkannte Gesamtfreiheitsstrafe anzurechnen. Konstitutive Wirkung kommt - 108 - im Rahmen des § 51 StGB allein der Entscheidung über den Anrechnungsmaßstab gemäß Abs. 4 Satz 2 der Vorschrift zu (BGH, Beschluss vom 2. November 2000 - 4 StR 471/00, BGHR StGB § 51 Abs. 1 Anrechnung 2 mwN; Urteil vom 5. November 2014 - 1 StR 299/14, BGHR StGB § 51 Abs. 4 Anrechnung 5). Deren Unterbleiben beschwert die Angeklagte im Hinblick auf die durch das Landgericht verhängte Rechtsfolge nicht, da der Umfang der von ihr in Brasilien verbüßten Strafhaft auch bei Zugrundelegung des Mindestanrechnungsmaßstabs von 1:1 (vgl. BGH, Urteil vom 5. November 2014 - 1 StR 299/14, BGHR StGB § 51 Abs. 4 Anrechnung 5) die vom Landgericht erkannte Gesamtfreiheitsstrafe übersteigt; diese ist daher als bereits vollständig verbüßt zu werten. Sollten im Vollstreckungsverfahren aus anderen Gründen Zweifel über die Berechnung der gegenständlichen Freiheitsstrafe entstehen, wird die Vollstreckungsbehörde im Rahmen des Strafzeitberechnungsverfahrens eine gerichtliche Entscheidung über den Anrechnungsmaßstab gemäß § 39 Abs. 5 Satz 3 StVollstrO i.V.m. § 458 Abs. 1, § 462 stopp herbeiführen können (vgl. KK-Appl, StPO, 7. Aufl., § 458 Rn. 7; KMR/Stöckel, 44. EL, § 458 Rn. 6; LR/Graalmann-Scheerer, StPO, 26. Aufl., § 458 Rn. 3; SK-StPO/Paeffgen, 4. Aufl., § 458 Rn. 6). 3. Da die Zurückverweisung der Sache zur Entscheidung über die Bestimmung des Anrechnungsmaßstabs der in Brasilien erlittenen Strafhaft – wie dargelegt - nicht veranlasst ist, steht der sich ausschließlich auf die unterbliebene Entscheidung nach § 51 Abs. 4 Satz 2 StGB beziehende Aufhebungsantrag des Generalbundesanwalts einer Entscheidung des Senats im Beschlusswege nach § 349 Abs. 2 StPO nicht entgegen.