StGB § 52 Tateinheit bei Handel mit Betäubungsmitteln
StGB § 52 Tateinheit bei Handel mit Betäubungsmitteln
BGH, Urteil v. 1. Juni 2016 – 2 StR 355/15
Allein das zeitliche Zusammentreffen von Zahlungsvorgängen in Bezug auf eine frühere Drogenbeschaffung mit der Abholung der nächsten Lieferung – die bloße Gleichzeitigkeit beider, verschiedene Umsatzgeschäfte fördernder Ausführungshandlungen – genügt jedoch zur Annahme gleichartiger Tateinheit nicht. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 1. Juni 2015 im Strafausspruch und im Ausspruch über die Einziehung aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weitergehende Revision wird verworfen. Von Rechts wegen Gründe: Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in dreizehn Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und zehn Monaten verurteilt und eine Einziehungs- sowie eine Verfallsentscheidung getroffen. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die unausgeführte Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel des Angeklagten hat den aus dem Urteilstenor ersichtlichen Teilerfolg und führt zur Aufhebung des Strafausspruchs und des Ausspruchs über die Einziehung. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
I.
1. Das Landgericht hat – soweit für die Entscheidung von Bedeutung – hinsichtlich der Taten 1 bis 12 folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
a) Der Angeklagte verkaufte an die in seinem „Saunaclub“ als Prostituierte tätige, heroinabhängige S. in mindestens zehn Fällen jeweils 100 Gramm Heroingemisch mit einem Wirkstoffgehalt von 10 % Heroinhydrochlorid zum Preis von 12,50 EUR pro Gramm. Die Abwicklung der Geschäfte erfolgte teils in der Weise, dass der Angeklagte gemeinsam mit S. mit einem von ihm gesteuerten Fahrzeug vom Saunaclub zur Wohnung seiner Lebensgefährtin oder seines Sohnes fuhr, wo er das Rauschgift verwahrte, das Rauschgift aus der Wohnung holte und an die im Fahrzeug wartende S. übergab; teils übergab der Angeklagte das Rauschgift auch in seinem „Saunaclub“ an seine Abnehmerin (Fälle 1 bis 10 der Urteilsgründe). Die Rauschgiftgeschäfte erfolgten jeweils auf Kommissionsbasis; war die vorangegangene Lieferung aufgebraucht, begab S. sich zum Angeklagten, bezahlte die vorangegangene Lieferung und erhielt eine neue Lieferung auf Kommissionsbasis.
b) Im Vorfeld einer 10tägigen Reise im Februar oder im März 2013 verkaufte der Angeklagte S. 400 Gramm Heroingemisch mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 10 % Heroinhydrochlorid zum Preis von 5.000 EUR auf Kommissionsbasis und händigte ihr das Rauschgift in seinem „Saunaclub“ aus; S. entrichtete den vereinbarten Kaufpreis in der Folgezeit ratenweise an den Sohn des Angeklagten und an einen seiner Türsteher (Fall 11 der Urteilsgründe).
c) In der Woche vor dem 19. Juni 2013 veräußerte der Angeklagte an S. erneut 100 Gramm Heroingemisch mit einem Wirkstoffgehalt von 10 % Heroinhydrochlorid zum Preis von 1.000 EUR auf Kommission. Der Angeklagte erhielt den Kaufpreis nicht; die Zeugin, die sich einer drohenden Strafvollstreckung entziehen wollte, tauchte unter. Zur Begleichung der Schulden erbrachte der Bruder der Zeugin, Sl. , Malerarbeiten für den Angeklagten (Fall 12 der Urteilsgründe).
2. Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass die Taten im Verhältnis der Tatmehrheit zueinander stehen; es hat in den Fällen 1 bis 10 und 12 jeweils Einzelstrafen von einem Jahr und sechs Monaten und im Fall 11 eine Einzelstrafe von zwei Jahren verhängt. Darüber hinaus hat es den Angeklagten als überführt angesehen, in der ersten Septemberhälfte des Jahres 2013 bei niederländischen Abnehmern Heroin für insgesamt 30.000 EUR bestellt zu haben, das ihm im Oktober 2013 und im September 2014 in zwei Teilmengen geliefert worden war (Fall 13 der Urteilsgründe). Ausgehend von der für diese Tat verhängten Einzelstrafe von drei Jahren und drei Monaten als Einsatzstrafe hat es eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und zehn Monaten gebildet.
II. Die Revision des Angeklagten bleibt zum Schuldspruch ohne Erfolg. Die Beurteilung der Konkurrenzen ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden. Jedoch kann der Strafausspruch nicht bestehen bleiben.
1. Die Annahme realkonkurrierender Taten des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in den Fällen 1 bis 12 der Urteilsgründe hält sachlich-rechtlicher Prüfung stand. Die Feststellungen drängten nicht zur näheren Prüfung und Erörterung der Frage, ob die Taten im Verhältnis der Tateinheit zueinander stehen.
a) Nach § 52 Abs. 1 StGB liegt eine Tat im Sinne des materiellen Rechts vor, wenn dieselbe Handlung mehrere Strafgesetze oder dasselbe Strafgesetz mehrfach verletzt. Eine mehrfache Gesetzesverletzung kann vorliegen in Fällen, in denen ein Willensentschluss zu einer Handlung führt, die das Gesetz mehrfach verletzt (LK/Rissing-van Saan, StGB, 12. Aufl., vor § 52 Rn. 9, § 52 Rn. 6). Über den Wortlaut des § 52 Abs. 1 StGB hinaus liegt eine Tat im Rechtssinne auch vor, wenn zwischen mehreren strafrechtlich erheblichen Verhaltensweisen ein unmittelbarer räumlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht und das gesamte Tätigwerden bei natürlicher Betrachtungsweise auch für einen Dritten als ein einheitliches Tun erscheint (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 30. November 1995 – 5 StR 465/95, BGHSt 41, 368). Die Annahme von Tateinheit kommt auch in Betracht, wenn mehrere Tatbestandsverwirklichungen dergestalt objektiv zusammentreffen, dass die Ausführungshandlungen in einem für sämtliche Tatbestandsverwirklichungen notwendigen Teil zumindest teilweise identisch sind (BGH, Beschluss vom 31. Juli 2013 – 4 StR 223/13, NStZ-RR 2014, 144, 145). Dagegen genügt ein einheitliches Motiv, die Gleichzeitigkeit von Geschehensabläufen, die Verfolgung eines Endzwecks, eine Mittel-Zweck-Verknüpfung oder eine Grund-Folge-Beziehung nicht, um Tateinheit zu begründen (BGH, Beschluss vom 25. November 1997 – 5 StR 526/96, BGHSt 43, 317, 319; Urteil vom 16. Juli 2009 – 3 StR 148/09, NStZ 2011, 97). Ob im Einzelfall eine die Annahme einer Tat im Rechtssinne tragende Teilidentität der Ausführungshandlungen gegeben ist, richtet sich nach dem materiellen Recht.
b) Der Begriff des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln im Sinne des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG umfasst nach ständiger Rechtsprechung es Bundesgerichtshofs alle eigennützigen Bemühungen, die darauf gerichtet sind, den Umsatz von Betäubungsmitteln zu ermöglichen oder zu fördern (BGH, Urteil vom 17. Juli 1997 – 1 StR 791/96, BGHSt 43, 158, 161 f.; Beschluss vom 26. Oktober 2005 – GSSt 1/05, BGHSt 50, 252, 256). Vom weiten Begriff des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln sind Handlungen weit im Vorfeld des eigentlichen Güterumsatzes ebenso erfasst wie die dem Güterumsatz nachfolgenden Geldflüsse (vgl. BGH, Urteil vom 25. April 2013 – 4 StR 418/12, BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Konkurrenzen 14). Die Tat des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln ist „auf der untersten Ebene der Handelskette“ mithin erst beendet, wenn der Lieferant das Entgelt erhalten hat, wenn also auch der Geldfluss als Gegenleistung für die Betäubungsmittellieferung „zur Ruhe“ gekommen ist (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juli 1997 – 1 StR 791/96, BGHSt 43, 158, 162). Betätigungen, die in diesem weiten Sinne auf den Vertrieb ein- und derselben Rauschgiftmenge bezogen sind, werden zu einer tatbestandlichen Bewertungseinheit zusammengefasst (Körner/Patzack/Volkmer-Patzack, BtMG, 8. Aufl., § 29 Teil 4, Rn. 293 ff.). Darüber hinaus entspricht es ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass zwei oder mehrere an sich selbstständige Taten des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zur Tateinheit im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB verbunden werden, wenn sie in einem Handlungsteil zusammentreffen. Ist eine Handlung als eine tatbestandliche Ausführungshandlung beider oder mehrerer Taten des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln anzusehen, so ist Tateinheit anzunehmen. Allein das zeitliche Zusammentreffen von Zahlungsvorgängen in Bezug auf eine frühere Drogenbeschaffung mit der Abholung der nächsten Lieferung – die bloße Gleichzeitigkeit beider, verschiedene Umsatzgeschäfte fördernder Ausführungshandlungen – genügt jedoch zur Annahme gleichartiger Tateinheit nicht (BGH, Beschluss vom 13. April 1999 – 4 StR 42/99, NStZ 1999, 411; Senat, Beschluss vom 24. Oktober 2013 – 2 ARs 319/13, NStZ-RR 2014, 81, 82; BGH, Beschluss vom 15. Februar 2011 – 3 StR 3/11; Beschluss vom 6. Februar 2014 – 3 ARs 7/13, NStZ-RR 2014, 146; vgl. auch BGH, Urteil vom 25. April 2013 – 4 StR 418/12, BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Konkurrenzen 14; Senat, Beschluss vom 22. Januar 2010 – 2 StR 563/09, StV 2010, 684).
c) Gemessen hieran ist die Annahme jeweils selbstständiger Taten nicht zu beanstanden. Zwar hat die Kammer festgestellt, dass der Angeklagte seine Abnehmerin S. „auf Kommissionsbasis“ belieferte. Konkrete Feststellungen dazu, wann und bei welcher Gelegenheit die Abnehmerin die vorangegangene Lieferung an den Angeklagten bezahlte, vermochte die Kammer jedoch nicht zu treffen. Damit ist die tatrichterliche Annahme jeweils selbständiger Taten nicht zu beanstanden.
2. Der Strafausspruch kann jedoch keinen Bestand haben. Die Strafkammer hat bei der Prüfung, ob die Taten als minder schwere Fälle im Sinne des § 29a Abs. 2 BtMG anzusehen sind, sowie bei der Strafzumessung im engeren Sinne jeweils zum Nachteil des Angeklagten berücksichtigt, dass er „die jeweils großen Mengen an Betäubungsmitteln nicht für seinen eigenen Konsum bestellt“, sondern an Dritte weitergegeben hat, „um seine Schulden zu tilgen oder Gewinne aus dem Verkauf zu erhalten“. Damit hat sie dem Angeklagten eigennütziges Handeln zur Last gelegt, obwohl dies bereits ein Merkmal des Handeltreibens ist (Senat, Beschluss vom 29. April 2014 – 2 StR 616/13, BGHR StGB § 46 Abs. 3 Handeltreiben 7; BGH, Beschluss vom 24. September 2009 – 3 StR 294/09, NStZ-RR 2010, 24). Der hierin liegende Verstoß gegen § 46 Abs. 3 StGB führt zur Aufhebung der Einzelstrafen und entzieht dem Ausspruch über die Gesamtstrafe die Grundlage.
3. Auch der Ausspruch über die Einziehung kann keinen Bestand haben. Sind Gegenstände einzuziehen, so ist es grundsätzlich erforderlich, sie in der Urteilsformel konkret so zu bezeichnen, dass für die Verfahrensbeteiligten und die Vollstreckungsbehörde Klarheit über den Umfang der Einziehung geschaffen ist. Hierzu gehört im Falle der Einziehung von Betäubungsmitteln auch die Angabe von Art und Menge des ein zuziehenden Rauschgifts, die sich aus dem Urteilstenor ergeben muss (BGH, Beschluss vom 20. Juni 2007 – 1 StR 251/07). Die Sache bedarf daher im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung. Einer Aufhebung von Feststellungen bedurfte es nicht, da ein reiner Wertungsfehler vorliegt.