StGB § 55 – nachträgliche Gesamtstrafenbildung

BGH, Beschl. v. 01.09.2009 - 3 StR 178/09 = NStZ-RR 2010, 41

Voraussetzung für die nachträgliche Gesamtstrafenbildung ist gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB, dass die später abzuurteilenden Taten "vor der früheren Verurteilung" begangen worden sind. Für die Auslegung der Worte "vor der früheren Verurteilung" begangen kommt es auf die letzte tatrichterliche Entscheidung zur Schuld- oder Straffrage an.

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 4. auf dessen Antrag - am 1. September 2009 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kleve vom 16. Dezember 2008 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,

a) soweit der Angeklagte wegen Untreue (Tat vom 7. April 2005) verurteilt ist,

b) im Ausspruch über die beiden Gesamtstrafen.

2. Der Schuldspruch des vorbezeichneten Urteils wird im Übrigen dahin berichtigt, dass die Bezeichnung der Taten als "gewerbsmäßig" entfällt.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

4. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "gewerbsmäßigen Betruges sowie wegen gewerbsmäßiger Untreue in 27 Fällen" unter Einbeziehung weiterer Strafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten sowie wegen "gewerbsmäßigen Betruges in 4 Fällen und gewerbsmäßiger Untreue in einem weiteren Fall" unter Einbeziehung einer weiteren Einzelstrafe zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten mit Verfahrensrügen sowie der allgemeinen Sachbeschwerde. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg.

1. Eine Untreuetat zum Nachteil der Frau G. vom 7. April 2005, für die das Landgericht eine Einzelstrafe von einem Jahr verhängt hat, ist in der Aufstellung der Taten in den Urteilsgründen (UA S. 29, 30) nicht enthalten und damit nicht festgestellt. Dies kann nur der neue Tatrichter nachholen.

2. Die gewerbsmäßige Begehungsweise der Betrugs- und der übrigen Untreuetaten (§ 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB i. V. m. § 266 Abs. 2 StGB) ist rechtsfehlerfrei festgestellt. Sie findet indes, da es sich um ein Regelbeispiel für die Annahme eines besonders schweren Falls handelt, keine Aufnahme in die Urteilsformel (Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl. § 260 Rdn.25 m. w. N.). Der Senat hat den Schuldspruch insoweit berichtigt.

3. Während die Zumessung der verbleibenden Einzelstrafen keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten aufweist, hält die Gesamtstrafenbildung rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht hat bei der Bildung zweier Gesamtstrafen verkannt, dass der Verurteilung durch das Landgericht Kleve vom 21. Juli 2006 keine Zäsurwirkung zukommt. Die hier abzuurteilenden Taten beging der Angeklagte überwiegend vor, teilweise auch nach der Verurteilung durch das Landgericht Kleve vom 21. Juli2006. Indiesem Urteil war der Angeklagte wegen fünf Betrugstaten und wegen einer Unterschlagung verurteilt worden. Auf die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten hatte der Senat dieses Urteil mit Beschluss vom 9. Januar 2007 bezüglich der Verurteilung wegen Unterschlagung sowie im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Erst nach Begehung sämtlicher hier verfahrensgegenständlicher Taten hat das Landgericht Kleve sodann im zweiten Verfahrensdurchgang durch Urteil vom 25. Juni 2007 - erkennbar nach Einstellung des Verfahrens wegen des Vorwurfs der Unterschlagung - aufgrund der verbliebenen fünf Einzelstrafen wegen Betrugs auf eine neue Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren erkannt. Danach ist in einer weiteren Sache durch Urteil des Landgerichts Kleve (vom 23. November 2007 oder vom 18. Dezember 2007) aus diesen fünf Einzelstrafen sowie einer Einzelstrafe von acht Monaten wegen einer bereits im November/Dezember 1997 begangenen Betrugstat eine neue Gesamtstrafe von zwei Jahren und drei Monaten gebildet worden. Nach diesen Feststellungen liegen die Voraussetzungen dafür vor, dass aus sämtlichen Einzelstrafen der hier abzuurteilenden Taten sowie aus den Einzelstrafen für die vorbezeichneten früheren Taten (unter Auflösung der im Urteil des Landgerichts Kleve vom 23. November 2007 oder vom 18. Dezember 2007 gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe) eine einzige Gesamtstrafe gebildet werden muss. Voraussetzung für die nachträgliche Gesamtstrafenbildung ist gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB, dass die später abzuurteilenden Taten "vor der früheren Verurteilung" begangen worden sind. Für die Auslegung der Worte "vor der früheren Verurteilung" begangen kommt es auf die letzte tatrichterliche Entscheidung zur Schuld- oder Straffrage an (vgl. Rissing-van Saan in LK 12. Aufl. § 55 Rdn. 6). Dies war in dem ersten vor dem Landgericht Kleve gegen den Angeklagten geführten Strafverfahren das nach Teilaufhebung ergangene zweite Urteil vom 25. Juni 2007, da dieses eine Sachentscheidung im Sinne des § 55 Abs. 1 Satz 2 StGB enthielt. Hierfür genügt auch eine Entscheidung über die Bildung einer Gesamtstrafe, wenn sie - wie hier - aufgrund einer tatrichterlichen Verhandlung ergangen ist (vgl. Fischer, StGB 56. Aufl. § 55 Rdn. 7). Bei der vom Tatrichter vorzunehmenden Bildung einer einheitlichen Gesamtstrafe wird auch zu klären sein, ob die Einzelstrafe von acht Monaten wegen der Betrugstat im November/Dezember 1997 durch Urteil des Landgerichts Kleve vom 18. Dezember 2007 (so die Entscheidungsformel der angegriffenen Entscheidung) oder vom 23. November 2007 (so UA S. 12) verhängt worden ist.

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