StGB § 63 S. 1,  StGB § 223 Abs. 1: Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Gefährlichkeitsprognose hinsichtlich der Begehung erheblicher Straftaten

BGH, Urteil vom 17. Februar 2022 – 4 StR 380/21

Orientierungssatz

1. Erheblich können insbesondere Taten sein, die Zufallsopfer im öffentlichen Raum treffen und zu erheblichen Einschränkungen in der Lebensführung des Opfers oder sonst schwerwiegenden Folgen führen; denn derartige Taten sind in hohem Maße geeignet, den Rechtsfrieden empfindlich zu stören und das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen (Festhaltung BGH, Urteil vom 24. November 2021 - 5 StR 211/21).(Rn.10)

2. Eine durch Brandlegung und damit mit gemeingefährlichen Mitteln in einem Mehrfamilienhaus begangene Sachbeschädigung ist grundsätzlich eine erhebliche rechtswidrige Tat, wobei das Gewicht der Tat auch nicht durch den Umstand relativiert wird, dass sich der Täter vor der Tatbegehung darüber vergewissert, dass die Wände des Zimmers "aus Stein und daher nicht brennbar" seien, wenn zugleich eine erhebliche Rauchentwicklung festgestellt ist.(Rn.15)

3. Einfache und nur mit geringer Gewaltenanwendung verbundene Körperverletzungen i.S.d. § 223 Abs. 1 StGB, die die Erheblichkeitsschwelle der tatbestandlich vorausgesetzten Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit nur unwesentlich überschreiten, reichen grundsätzlich nicht hierfür aus. Allerdings sind Faustschläge ins Gesicht in der Regel der mittleren Kriminalität zuzuordnen, wobei dies insbesondere dann gilt, wenn sie zu Verletzungen führen, die ärztlich versorgt werden müssen.(Rn.11)

4. Im Rahmen der Prüfung der Erheblichkeit ist auch zu berücksichtigen, dass ein in wahnhafter Verkennung der Realität oder krankheitsbedingter Einschränkung oder Aufhebung der Steuerungsfähigkeit handelnder Täter es insbesondere bei Schlägen gegen bzw. in Richtung des Kopfes nicht in der Hand hat, die Folgen seines aggressiven Verhaltens zu steuern und der Umfang körperlicher Verletzungen damit oft (Rn.11) vom Zufall abhängt.

Fundstellen

NStZ-RR 2022, 173-175 (red. Leitsatz und Gründe)

Verfahrensgang vorgehend LG Bielefeld, 22. März 2021, 4 KLs 7/20

Diese Entscheidung zitiert

Rechtsprechung

Festhaltung BGH 5. Strafsenat, 24. November 2021, 5 StR 211/21

Tenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 22. März 2021 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe

1 Das Landgericht hatte mit Urteil vom 26. Juli 2019 die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Auf die Revision des Beschuldigten hob der Senat das Urteil mit Beschluss vom 18. Dezember 2019 (4 StR 617/19) mit den Feststellungen auf und verwies die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück. Nunmehr hat das Landgericht mit Urteil vom 22. März 2021 die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus abgelehnt. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

1. Der 32 Jahre alte Beschuldigte leidet neben einer Cannabisabhängigkeit mit ständigem Substanzgebrauch und einem problematischen Alkohol- und Amphetaminkonsum seit mehreren Jahren an einer chronifizierten paranoiden Schizophrenie mit ausgeprägtem Wahnerleben, körperbezogenen Missempfindungen, formalen Denkstörungen und Störungen des Affekts. Er befand sich seit 2011 mehrfach in stationärer psychiatrischer Behandlung und stand bis zu seiner vorläufigen Unterbringung im Sicherungsverfahren unter gesetzlicher Betreuung. Der überwiegend arbeitslose und teilweise auch obdachlose Beschuldigte ist seit 2004 vielfach strafrechtlich in Erscheinung getreten und wurde unter anderem wegen Köperverletzung in zwei Fällen (Tatzeit: 2014) zu Freiheitsstrafe sowie wegen versuchter Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung und Bedrohung (Tatzeit: 2017) zu Geldstrafe verurteilt.

Einige Tage vor der verfahrensgegenständlichen Tat setzte der Beschuldigte einen Stuhl im Garten des Mehrfamilienhauses, in dem er wohnte, in Brand, weil er ihn für „magisch“ hielt. Bei einer späteren Gelegenheit entzündete er in seiner Wohnung auf einer Fensterbank einige Comic-Hefte, wodurch der Kunststoffrahmen des Fensters angesengt wurde und sich verfärbte. Einige Stunden vor der verfahrensgegenständlichen Tat versah er die Wände seiner Wohnung mit Parolen („Hexen, brennen, Vaterland“). Am Vormittag des 16. Januar 2019 entschloss er sich schließlich, sein Sofa in Brand zu setzen, das in seinem Schlafzimmer stand. Diesen Entschluss fasste er zum einen, weil er es für „magisch“ hielt und es ihm Angst machte, zum anderen, weil er es als unbequem und „nicht gut“ für seinen Rücken empfand. Bevor er das Sofa anzündete, nahm er den Rauchmelder von der Decke, verbrachte eine ihm als Bett dienende Matratze in ein angrenzendes Zimmer, verschloss sämtliche Fenster der Wohnung und vergewisserte sich, dass die Wände des Schlafzimmers aus „Stein“ waren und deshalb nicht von den Flammen erfasst werden konnten. Anschließend zündete er das Sofa mit Hilfe eines Feuerzeugs an. Nachdem es vollständig in Brand geraten war, verließ er die Wohnung. Der Brand wurde zeitnah entdeckt und durch die Feuerwehr gelöscht. Der Beschuldigte, der wenig später zur Wohnung zurückgekehrt war und den eingesetzten Polizeibeamten erklärt hatte, dass er „den Brand gelegt habe“, weil das Sofa „magisch“ gewesen sei, wurde aufgrund seines akut-psychotischen Zustands in eine psychiatrische Klinik eingeliefert. Infolge des Brandes entstanden großflächige und starke Verrußungen an den Wänden der Wohnung, die gereinigt und neu gestrichen werden mussten.

2. Das Landgericht hat die Tat als rechtswidrige Sachbeschädigung im Sinne des § 303 Abs. 2 StGB gewertet und – sachverständig beraten – festgestellt, dass die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten infolge seiner paranoiden Schizophrenie sicher erheblich vermindert, nicht ausschließbar sogar aufgehoben gewesen sei. Es ist auf der Grundlage der Ausführungen des Sachverständigen, der für den Fall einer stabilen Remission der psychotischen Störung von einer „Wiederholungsgefahr“ unter anderem in Bezug auf Brandstiftungen sowie Gewalt- und Eigentumsdelinquenz und für den Fall einer erneuten Exazerbation der chronifizierten Störung von einer „Wiederholungswahrscheinlichkeit“ in Bezug auf Gewalt- und Eigentumsdelinquenz, nicht jedoch in Bezug auf erneute Brandstiftungen ausgegangen ist, zu der Überzeugung gelangt, dass eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades, der Beschuldigte werde auch zukünftig erhebliche rechtswidrige Taten begehen, nicht bestehe.

II.

Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht eine Gefährlichkeitsprognose abgelehnt hat, halten sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.

1. Eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 Satz 1 StGB kommt als außerordentlich beschwerende Maßnahme nur in Betracht, wenn eine Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, dass von ihm infolge seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Angesichts der Schwere des Eingriffs in die Freiheitsrechte des Beschuldigten und mit Rücksicht auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 62 StGB) muss es sich bei den zu erwartenden Taten um solche handeln, die zumindest dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 2. September 2020 – 5 StR 520/19, NStZ-RR 2020, 379, 381; vom 11. Oktober 2018 – 4 StR 195/18, NStZ-RR 2019, 41, 42; vom 10. April 2014 – 4 StR 47/14 Rn. 14). Zudem ist eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades für deren Begehung erforderlich. Die insoweit erforderliche Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln und muss sich darauf erstrecken, ob und welche rechtswidrigen Taten von dem Beschuldigten infolge seines Zustands in Zukunft drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (Häufigkeit, Rückfallfrequenz) und welches Gewicht den bedrohten Rechtsgütern zukommt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 2. März 2021 ‒ 4 StR 543/20, NStZ-RR 2021, 138, 140; Beschluss vom 7. Juni 2016 – 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306; Beschluss vom 28. Juli 2021 ‒ 1 StR 190/21 Rn. 15; Urteil vom 28. April 2021 ‒ 2 StR 484/20, NStZ-RR 2021, 275, 276). Dabei sind etwaige Vortaten von besonderer Bedeutung; auch lange zurückliegenden Taten kann eine indizielle Bedeutung zukommen, wenn sie in einem inneren Zusammenhang mit der festgestellten Erkrankung gestanden haben und ihre Ursache nicht in anderen Umständen zu finden sind (vgl. BGH, Urteil vom 20. Januar 2021 ‒ 5 StR 390/20 Rn. 16). Maßgeblich sind insbesondere die individuell bedeutsamen Bedingungsfaktoren für die bisherige Delinquenz, deren Fortbestand, ihre fehlende Kompensation durch protektive Umstände und das Gewicht dieser Faktoren in künftigen Risikosituationen (vgl. BGH, Urteil vom 20. Januar 2021 ‒ 5 StR 390/20 Rn. 16).

2. Gemessen hieran halten die Ausführungen, mit denen das Landgericht eine Gefährlichkeitsprognose verneint hat, rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Die Erwägungen, mit denen das Landgericht seine Annahme begründet hat, die Anlasstat sei nicht und die vom Beschuldigten in den Jahren 2014 bis 2017 begangenen Aggressionsdelikte „im Wesentlichen“ nicht dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen, sind lückenhaft und deuten auf ein zu enges Verständnis des Begriffs der erheblichen Tat im Sinne des § 63 Satz 1 StGB hin.

aa) Eine Tat ist erheblich im Sinne des § 63 Satz 1 StGB, wenn sie mindestens der mittleren Kriminalität zuzurechnen ist, den Rechtsfrieden empfindlich stört und geeignet ist, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen (vgl. BGH, Urteil vom 24. November 2021 ‒ 5 StR 211/21 Rn. 15; Urteil vom 6. Februar 2019 ‒ 5 StR 495/18 Rn. 20; Beschluss vom 23. Mai 2018 ‒ 2 StR 121/18 Rn. 13; Urteil vom 12. Juni 2008 ‒ 4 StR 140/08, NStZ 2008, 563, 564; vgl. Urteil vom 17. August 1977 ‒ 2 StR 300/77, BGHSt 27, 246, 248; vgl. auch BT-Drucks. 18/7244 S. 18). Straftaten, die im Höchstmaß mit mindestens fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind, können dem Bereich der mittleren Kriminalität zugerechnet werden (vgl. BGH, Urteil vom 24. November 2021 ‒ 5 StR 211/21 Rn. 15). Insbesondere Gewalt- und Aggressionsdelikte zählen, soweit es sich nicht um bloße Bagatellen handelt, auch nach der am 1. August 2016 in Kraft getretenen Fassung des § 63 StGB regelmäßig zu den erheblichen Straftaten im Sinne des § 63 Satz 1 StGB (BGH, Urteile vom 5. Juni 2019 ‒ 2 StR 42/19 Rn. 10; vom 6. Februar 2019 ‒ 5 StR 495/18 Rn. 21; Beschluss vom 25. April 2012 ‒ 4 StR 81/12 Rn. 5). Der Gesetzgeber wollte die Anforderungen für eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus wegen Taten, die gegen höchstpersönliche Rechtsgüter gerichtet sind, mit der vor allem klarstellenden Ergänzung im Gesetzestext, dass Taten zu erwarten sein müssen, durch welche die Opfer körperlich oder seelisch „erheblich“ geschädigt oder „erheblich“ gefährdet werden, nicht anheben (vgl. BGH, Urteile vom 6. Februar 2019 ‒ 5 StR 495/18 Rn. 20, 21; vom 26. Juli 2018 ‒ 3 StR 174/18 Rn. 11). Erheblich können insbesondere Taten sein, die Zufallsopfer im öffentlichen Raum treffen und zu erheblichen Einschränkungen in der Lebensführung des Opfers oder sonst schwerwiegenden Folgen führen; denn derartige Taten sind in hohem Maße geeignet, den Rechtsfrieden empfindlich zu stören und das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen (vgl. BGH, Urteile vom 24. November 2021 ‒ 5 StR 211/21 Rn. 15; vom 15. November 2017 ‒ 5 StR 439/17 Rn. 26 ff.).

Anders kann es bei einfachen Körperverletzungen im Sinne des § 223 Abs. 1 StGB liegen, die mit geringer Gewaltanwendung verbunden sind und die Erheblichkeitsschwelle der tatbestandlich vorausgesetzten Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit nur unwesentlich überschreiten (vgl. BGH, Urteile vom 6. Februar 2019 ‒ 5 StR 495/18 Rn. 21; vom 26. Juli 2018 ‒ 3 StR 174/18 Rn. 12). Faustschläge ins Gesicht sind aber in der Regel bereits der mittleren Kriminalität zuzurechnen, insbesondere dann, wenn sie Verletzungen zur Folge haben, die ärztlich versorgt werden müssen (vgl. BGH, Urteil vom 6. Februar 2019 ‒ 5 StR 495/18 Rn. 21; Urteil vom 26. Juli 2018 ‒ 3 StR 174/18 Rn. 12). Bei der Prüfung der Erheblichkeit ist auch zu bedenken, dass ein Beschuldigter, der in wahnhafter Verkennung der Realität oder krankheitsbedingter Einschränkung oder Aufhebung der Steuerungsfähigkeit handelt, es insbesondere bei Schlägen gegen bzw. in Richtung des Kopfes häufig nicht in der Hand hat, die Folgen seines aggressiven Vorgehens zu steuern, und der Umfang der Verletzungen deshalb häufig vom Zufall abhängt (vgl. BGH, Urteil vom 6. Februar 2019 ‒ 5 StR 495/18 Rn. 23). 

Straftaten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe unter fünf Jahren bedroht sind, etwa die Bedrohung (§ 241 StGB) oder die Sachbeschädigung (§ 303 StGB), sind nicht ohne Weiteres dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzurechnen, soweit sie nicht mit gemeingefährlichen Mitteln begangen werden oder mit aggressiven Übergriffen einhergehen (BGH, Beschluss vom 13. Januar 2021 – 4 StR 300/20 Rn. 13; Beschluss vom 29. November 2018 ‒ 5 StR 412/18, NStZ-RR 2019, 138, 139; Beschluss vom 23. Mai 2018 – 2 StR 121/18 Rn. 13; Beschluss vom 16. Juni 2014 ‒ 4 StR 111/14, NStZ 2014, 571, 573; Beschluss vom 18. Juli 2013 ‒ 4 StR 168/13, NStZ-RR 2013, 375, 377; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2013 ‒ 2 BvR 298/12 Rn. 21; LK StGB/Cirener, 13. Aufl., § 63 Rn. 99; MüKo-StGB/van Gemmeren, 4. Aufl., § 63 Rn. 54).

Erforderlich ist stets eine konkrete Einzelfallprüfung, wobei neben der konkreten Art der drohenden Taten und dem Gewicht der konkret bedrohten Rechtsgüter auch die zu erwartende Häufigkeit und Rückfallfrequenz von Bedeutung sein können (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Mai 2018 – 2 StR 121/18 Rn. 14).

bb) Gemessen hieran deutet die nicht näher begründete Wertung des Landgerichts, weder die Anlasstat noch die vom Beschuldigten in den Jahren 2014 und 2017 zum Nachteil von Zufallsopfern begangenen Köperverletzungen seien als erhebliche Taten, sondern als Bagatelltaten anzusehen, auf ein zu enges Verständnis des Begriffs der erheblichen Tat i.S.d. § 63 Satz 1 StGB hin.

(a) Die Feststellungen zur Anlasstat ‒ eine durch Brandlegung und damit einem gemeingefährlichen Mittel in einem Mehrfamilienhaus begangene Sachbeschädigung ‒ weisen diese zunächst ohne Weiteres als eine das Sicherheitsgefühl der Allgemeinheit und den Rechtsfrieden empfindlich störende und damit grundsätzlich erhebliche rechtswidrige Tat aus. Das Gewicht der Tat wird – entgegen der Ansicht des Landgerichts – auch nicht durch den Umstand relativiert, dass der Beschuldigte sich vor Tatbegehung vergewisserte, dass die Wände des Zimmers „aus Stein und daher nicht brennbar“ seien. Denn die objektiv bestehenden Gefahren, die nicht nur in einer Ausbreitung des Feuers, sondern insbesondere auch in der festgestellten erheblichen Rauchentwicklung bestehen, werden durch diese Fehlvorstellung des Beschuldigten hinsichtlich der Gefährlichkeit seines Tuns nicht relativiert.

Soweit das Landgericht ‒ dem psychiatrischen Sachverständigen folgend ‒ angenommen haben sollte, dass eine Wiederholung einer ähnlichen Tat nicht drohe, weil die „Analyse der Anlasstat sie als Einzeltat ausweise“, fehlt es an jeder Begründung für diese Wertung. Sie versteht sich angesichts der Besonderheiten der Tatvorgeschichte (Inbrandsetzen eines für „magisch“ gehaltenen Stuhls im Freien und Sachbeschädigung infolge des Entzündens mehrerer Hefte in der Wohnung) auch nicht von selbst und hätte daher näherer Erörterung bedurft.

(b) Die tatgerichtliche Wertung, dass es sich bei den in den Jahren 2014 und 2017 vom Beschuldigten zum Nachteil von Zufallsopfern begangenen Körperverletzungen „im Wesentlichen“ um bloße Bagatelltaten handelt, ist nicht näher begründet und versteht sich angesichts der Feststellungen nicht von selbst. Danach hatte der Beschuldigte im Juli 2014 zwei Männern, denen er zufällig begegnet war, Schläge gegen den Kopf versetzt. Einen der Geschädigten hatte er verfolgt, um ihn erneut zu schlagen, ihn verfehlt und eine unbeteiligte weitere Person verletzt, die infolge des Schlags eine Ohnmacht erlitten hatte und in einem Krankenhaus behandelt werden musste. Weiterhin hatte der Beschuldigte einen Stuhl nach einem ihn behandelnden Arzt geworfen und ihm mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen. Im November 2017 war der Beschuldigte gegenüber einer Verkäuferin aggressiv aufgetreten, hatte einen Gegenstand nach ihr geworfen, wobei er sie verfehlte, und hatte gedroht, dass sie ihren Job verlieren werde und wenn es durch „ein Attentat“ sei; anschließend hatte er einem weiteren Mitarbeiter, der seiner Kollegin zur Hilfe geeilt war, einen Faustschlag ins Gesicht versetzt.

b) Auch die Erwägungen zur fehlenden Rückfallwahrscheinlichkeit sind nicht tragfähig. 

Das Landgericht hat seine Überzeugung ungeachtet einiger Risikofaktoren insbesondere damit begründet, dass der Beschuldigte die neuroleptische Medikation in jüngerer Zeit im Rahmen der vorläufigen Unterbringung zuverlässig einnehme und eine Stabilisierung seines Zustands mit einer partiellen Remission der paranoiden Schizophrenie eingetreten sei. 

Diese Erwägungen sind jedenfalls lückenhaft. Zwar ist für die Prognose auf den Zeitpunkt der Hauptverhandlung abzustellen (BGH, Beschluss vom 13. August 2019 ‒ 4 StR 342/19 Rn. 4; Urteil vom 28. März 2019 ‒ 4 StR 530/18 Rn. 13). Dies bedeutet aber nicht, dass in die prognostischen Erwägungen nur Entwicklungen bis zu diesem Zeitpunkt einzustellen wären. Die Gefährlichkeitsprognose muss vielmehr einen längeren Zeitraum in den Blick nehmen. Abzusehende zukünftige Entwicklungen sind zu berücksichtigen und in die prognostischen Überlegungen einzubeziehen. Zwischenzeitlich erzielte Behandlungserfolge und eingetretene Stabilisierungen können daher die Annahme einer die Unterbringung rechtfertigenden Gefährlichkeitsprognose nicht hindern, wenn mit einer Verschlechterung der Verhältnisse und in der Folge mit erneuten rechtswidrigen Taten zu rechnen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 13. August 2019 ‒ 4 StR 342/19 Rn. 4; Urteil vom 11. Oktober 2018 ‒ 4 StR 195/18, NStZ-RR 2019, 41, 42 f.; Urteil vom 3. August 2017 ‒ 4 StR 193/17, StraFo 2017, 426).

Danach hätte Anlass zur Erörterung der absehbaren Entwicklung insbesondere deshalb bestanden, weil es nach den ‒ knappen ‒ Feststellungen zum Verlauf der vom 6. Februar 2019 bis zum 22. März 2021 andauernden einstweiligen Unterbringung trotz umfassender Behandlung erst in jüngerer Zeit gelungen ist, eine kontinuierliche Medikamenteneinnahme und eine „phasenweise Remission“ der Psychose zu erreichen. Bei dieser Sachlage hätte sich die Strafkammer angesichts der ersichtlich fehlenden Krankheitseinsicht des Beschuldigten und der weiteren in seiner Persönlichkeit wurzelnden zusätzlichen Risikofaktoren ‒ unter anderem seiner Drogenabhängigkeit und seiner fehlenden sozialen Kompetenzen mit antisozialen Interaktionsmustern ‒ mit der nahe liegende Möglichkeit auseinander setzen müssen, ob es beim Beschuldigten nach seiner Entlassung aus dem Vollzug der einstweiligen Unterbringung zu einer Destabilisierung kommen kann.

3. Die aufgezeigten Rechtsfehler nötigen zur Aufhebung des Urteils. Auch die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum Tatgeschehen können nicht bestehen bleiben, da der Beschuldigte das Urteil, das die Begehung der rechtswidrigen Anlasstat durch ihn feststellt, mangels Beschwer nicht hätte anfechten können.

4. Damit ist die hilfsweise gegen die Entschädigungsentscheidung des Landgerichts gerichtete sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegenstandslos.