StGB § 63 Unterbringung bei Spielsucht

StGB § 63 Unterbringung bei Spielsucht

BGH, Urt.l v. 06.03.2013 – 5 StR 597/12 - NJW 2013, 1462
LS: Voraussetzungen der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus bei „Spielsucht“.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlungen vom 19. Februar 2013 und vom 6. März 2013 am 6. März 2013 für Recht erkannt: Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Göttingen vom 5. September 2012 wird verworfen. Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
G r ü n d e
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung und wegen Betruges in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer hierauf beschränkten und auf die Sachrüge gestützten Revision gegen die unterbliebene Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB. Das Rechtsmittel ist unbegründet.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der 37-jährige Angeklagte an einer extremen Form pathologischen Spielens (ICD 10: F63.0), beruhend auf einer mittelgradigen kombinierten Persönlichkeitsstörung mit selbst-unsicheren, depressiven und narzisstischen Zügen. Er begann im Alter von 16 Jahren zu spielen, wendete bald sein ganzes Lehrgeld dafür auf und bestahl Vater und Bruder. Seit dem Alter von 18 Jahren unternahm er immer wieder „Spieltouren“ durch das Bundesgebiet, übernachtete dabei in seinem Auto und verspielte ganztägig in Spielhallen sein Geld. Eine der „Touren“ führte zu seiner Entlassung aus der Bundeswehr wegen Fahnenflucht. Der Angeklagte ist bereits mehrfach wegen Vermögens- und Eigentumsdelikten vorbestraft. Im Januar 2004 verübte er binnen kurzer Zeit zwei Raubüberfälle auf Spielotheken, nachdem ihm auf einer im Oktober 2003 angetretenen „Spieltour“ das Geld ausgegangen war. Er wurde zunächst nicht als Täter ermittelt. Getrieben von schlechtem Gewissen stellte er sich jedoch 2007 freiwillig der Polizei; er wurde wegen der Taten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Bereits im damaligen Urteil wurde eine Unterbringung nach § 63 StGB geprüft, jedoch mangels Wiederholungsgefahr verneint, weil sich der Angeklagte vier Jahre lang straffrei geführt hatte. In mehreren Therapien, u.a. während der Haftzeit, konnte der Angeklagte seine Sucht nicht überwinden. Noch vor Beendigung seiner letzten stationären Therapie wurde er rückfällig, weshalb er im Februar 2012 aus der Behandlung entlassen wurde.
2. Auch die verfahrensgegenständlichen Taten stehen in Zusammenhang mit der Spielsucht des Angeklagten. Nach-dem ihm eine Verlängerung der Therapie versagt worden war, brach er abermals zu einer „Spieltour“ auf. Hierfür verschaffte er sich am 16. März 2012 betrügerisch ein Auto (Tat 1) und beging noch am selben Tag einen Tankbetrug (Tat 2). Binnen kurzer Zeit hatte er sein Geld verspielt. Am 18. März 2012 litt er unter „extremen Entzugserscheinungen“ (UA S. 22). Er „verspürte den immer stärker werdenden Drang, sich Geld zur Befriedigung seines Spieldrucks zu besorgen“ (UA S. 13), und überfiel deshalb unter Verwendung einer Spielzeugpistole eine Spielothek (Tat 3). Die erbeuteten 1.250 € verspielte er. Nach einem weiteren Tankbetrug am 4. April 2012 (Tat 4) stellte er sich der Polizei. Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass die Schuldfähigkeit des Angeklagten bei dem Überfall auf die Spielothek sicher und bei den übrigen Taten nicht ausschließbar erheblich vermindert war (§ 21 StGB). Es hat die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus trotzdem abgelehnt, weil die Spielsucht des Angeklagten nur auf einer nicht den Schweregrad einer anderen seelischen Abartigkeit erreichenden kombinierten Persönlichkeitsstörung beruhe.
3. Die Ablehnung der Unterbringung des Angeklagten im psychiatrischen Krankenhaus ist im Ergebnis rechtsfehler-frei. Voraussetzung für die Unterbringung gemäß § 63 StGB ist, dass der Täter eine rechtswidrige Tat im gesicherten Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) begangen hat (nach-folgend unter a), der durch einen länger dauernden und nicht nur vorübergehenden geistigen Defekt hervorgerufen worden sein muss (nachfolgend unter b).
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stellt Spielsucht zwar für sich genommen keine krankhafte seelische Störung oder schwere andere seelische Abartigkeit dar, welche die Schuldfähigkeit erheblich einschränken oder ausschließen kann (vgl. BGH, Urteil vom 25. November 2004 – 5 StR 411/04, BGHSt 49, 365, 369 ff.; Beschlüsse vom 24. Januar 1991 – 4 StR 580/90, BGHR StGB § 21 Seelische Abartigkeit 17, und vom 9. Oktober 2012 – 2 StR 297/12, NJW 2013, 181, 182; kritisch hierzu Kellermann, StV 2005, 287). Indes können in schweren Fällen psychische Defekte und Persönlichkeitsveränderungen auftreten, die eine ähnliche Struktur und Schwere wie bei den stoffgebundenen Suchterkrankungen aufweisen, und es kann zu schweren Entzugserscheinungen kommen (vgl. Schöch in Handbuch der Forensischen Psychiatrie, Band 1, 2007, S. 92, 128; Leygraf in Handbuch der Forensischen Psychiatrie, Band 2, 2010, S. 514, 523; Nedopil/Müller, Forensische Psychiatrie, 4. Aufl., S. 240). Wie bei der Substanzabhängigkeit (vgl. BGH, Urteile vom 5. Mai 1999 – 2 StR 529/98, NStZ 1999, 448, 449, vom 19. September 2000 – 1 StR 310/00, und vom 7. November 2000 – 5 StR 326/00, NStZ 2001, 83 und 85; vgl. MünchKomm StGB/van Gemmeren, 2. Aufl., § 63 Rn. 24) kann deshalb auch bei Spielsucht eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit angenommen werden, wenn diese zu schwersten Persönlichkeitsveränderungen geführt oder der Täter bei den Beschaffungstaten unter starken Entzugserscheinungen gelitten hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. November 1988 – 1 StR 544/88, BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 8, vom 22. Juli 2003 – 4 StR 199/03, NStZ 2004, 31, 32, und vom 9. Oktober 2012 – 2 StR 297/12, aaO; vgl. auch BGH, Urteil vom 25. November 2004 – 5 StR 411/04, BGHSt 49, 365, 370 f.). Das Landgericht geht auf der Grundlage dieser Rechtsprechung rechtsfehlerfrei davon aus, dass die gravierenden Entzugserscheinungen des Angeklagten zumindest im Fall II.3 sicher zu einer erheblichen Verminderung seiner Steuerungsfähigkeit führten. Der „intensive, kaum kontrollierbare Drang zum Glücksspiel“ (UA S. 21) habe bei ihm einen erheblichen Motivationsdruck zur Begehung des Raubüberfalls ausgelöst und den spontanen Tatentschluss unter bewusster Eingehung eines erheblichen Entdeckungsrisikos begründet (Videoüberwachung der Spielhalle, Fingerabdrücke und Lichtbild des Angeklagten waren der Polizei bekannt).
b) Die sich schubweise in schweren Entzugserscheinungen äußernde Spielsucht des Angeklagten vermag dessen Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus gleichwohl nicht zu begründen.
aa) In Fällen stoffgebundener Süchte, in denen erst eine (vorübergehende) Alkohol- oder Drogenintoxikation zu einer rechtlich erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit führt, ist eine Unterbringung nach § 63 StGB nach der Rechtsprechung nur ausnahmsweise dann gerechtfertigt, wenn eine krankhafte Alkohol- oder Drogensucht im Sinne der Überempfindlichkeit gegeben ist oder der Betroffene aufgrund eines von der Drogensucht unterscheidbaren psychischen Defekts alkohol- oder drogensüchtig ist, der in seinem Schweregrad einer krankhaften seelischen Störung im Sinne der §§ 20, 21 StGB gleichsteht (vgl. BGH, Urteil vom 8. Januar 1999 – 2 StR 430/98, BGHSt 44, 338, 339; Beschlüsse vom 23. November 1999 – 4 StR 486/99, StV 2001, 677, vom 21. November 2001 – 3 StR 423/01, NStZ 2002, 197, vom 24. Juni 2004 – 4 StR 210/04, NStZ-RR 2004, 331, 332, und vom 22. März 2007 – 4 StR 56/07). Demgemäß sind eine Neigung zum Alkoholmissbrauch (vgl. BGH, Urteil vom 20. September 1983 – 5 StR 401/83), eine Alkoholabhängigkeit (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2006 – 4 StR 530/06, BGHR StGB § 63 Zustand 38) und selbst chronischer Alkoholismus als Folge jahrelangen Alkoholmissbrauchs (vgl. BGH, Urteil vom 8. Januar 1999 – 2 StR 430/98, aaO, S. 341 mwN) für sich allein nicht als hinreichende Gründe für eine Unterbringung nach § 63 StGB anerkannt worden. Nicht anders wird bei einer Abhängigkeit von illegalen Drogen entschieden, bei der die Schuldfähigkeit aufgrund vorübergehender starker Entzugserscheinungen erheblich vermindert ist (vgl. BGH, Beschluss vom 21. November 2001 – 3 StR 423/01, aaO).
bb) Die Voraussetzungen für die Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus können auch aus Gründen der verfassungsrechtlich verankerten Verhältnismäßigkeit nicht weniger streng sein als bei stoffgebundenen Süchten. Die unbefristete Unterbringung gemäß § 63 StGB stellt einen überaus gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen dar. Das gilt hier umso mehr, als der Maßregelvollzug nach § 63 StGB auf die Behandlung Spielsüchtiger ersichtlich nicht ausgerichtet ist. Demgemäß wäre zu besorgen, dass der nicht oder nicht genügend behandelte Betroffene im Fall fortbestehender Gefährlichkeit lange Zeit im Maßregelvollzug untergebracht bliebe. Der Senat verkennt dabei nicht, dass die Rechtsprechung zur Rauschmittelabhängigkeit auch vor dem Hintergrund steht, dass für rauschmittelabhängige Täter die befristete und damit weniger beschwerende Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB zur Verfügung steht (vgl. BGH, Urteil vom 8. Januar 1999 – 2 StR 430/98, aaO), die in Fällen der Spielsucht nicht in Betracht kommt (vgl. BGH, Urteil vom 25. November 2004 – 5 StR 411/04, aaO). Dies kann jedoch nicht dazu führen, dass die Schwelle zur Unterbringung Spielsüchtiger im psychiatrischen Krankenhaus niedriger als dort angesetzt wird. Eine durch die Nichtanwendbarkeit des § 64 StGB unter Umständen begründete „Schutzlücke“ hat der Gesetzgeber in Kauf genommen. Auch im Zuge der Novellierung des Rechts der psychiatrischen Maßregeln durch das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 (BGBl. I 1327) wurde die Erweiterung der Unterbringung nach § 64 StGB auf Spielsüchtige nicht erwogen; das Gesetz sollte vielmehr vor dem Hintergrund wachsenden Belegungs-drucks im Maßregelvollzug zu einer „zielgerichteteren Nutzung seiner Kapazitäten“ beitragen (BT-Drucks. 16/1110, S. 1). Im Übrigen könnte eine angenommene Schutzlücke die Unterbringung des „nur“ Spielsüchtigen im psychiatrischen Krankenhaus ebenso wenig gebieten wie des die Voraussetzungen des § 64 StGB nicht (mehr) erfüllenden „nur“ Rauschmittelabhängigen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. Mai 1983 – 5 StR 182/83, NStZ 1983, 429, und vom 23. November 1999 – 4 StR 486/99, aaO), der nach geltender Rechtslage aus den angeführten Gründen regelmäßig in den Strafvollzug überwiesen wird. Hinzu kommt, dass der Strafvollzug versucht, dem Problem etwa durch Ein-richtung von Therapiegruppen gerecht zu werden. Dem entspricht, dass sich auch der Angeklagte nach dem Vortrag seines Verteidigers bereits in einer solchen Therapiegruppe befindet.
cc) Nach den vorgenannten Grundsätzen käme die Unterbringung des Angeklagten im psychiatrischen Krankenhaus damit nur noch in Betracht, wenn sich dessen Abhängigkeit bereits in schwersten Persönlichkeitsveränderungen manifestiert hätte. Davon ist nach den Feststellungen jedoch nicht auszugehen. Der Sachverständige, dem das Land-gericht folgt, gelangt lediglich zu der Diagnose einer mittelgradigen kombinierten Persönlichkeitsstörung, die zum Suchtverhalten des Angeklagten geführt habe, „wenn auch mittlerweile beide Störungen sich gegenseitig bedingen“ (UA S. 29). Auch der in den Urteilsgründen dargestellte Lebensweg des noch im Wesentlichen sozial eingeordneten Angeklagten lässt einen derartigen Persönlichkeitsverfall nicht erkennen.
 
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