StGB § 64 Hang

StGB § 64 Hang

BGH, Beschl. v. 08.06.2010 – 3 StR 162/10 - BeckRS 2010, 15789

Für das Vorliegen eines Hangs des Angeklagten zum Rauschmittelmissbrauch im Sinne des § 64 StGB ist der Zeitpunkt der Hauptverhandlung maßgeblich. Ein solcher Hang muss demnach nicht nur während der Anlasstat, sondern auch im Zeitpunkt der letzten tatrichterlichen Hauptverhand­lung gegeben sein. Ferner ist auch für die Gefährlichkeitsprognose entscheidend, ob die Gefahr, dass der Angeklagte infolge seines Hangs erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, im Zeit­punkt der tatrichterlichen Hauptverhandlung besteht.

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 8. Juni 2010 gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen: Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 29. Januar 2010 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landge­richts zurückverwiesen.  Gründe: Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung zur Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe wie auch der Maßregel hat es zur Bewährung ausgesetzt und ausgesprochen, dass Führungsaufsicht eintritt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit der allgemeinen Sachrüge. Das Rechtsmittel hat Erfolg. Die Ver­urteilung des Angeklagten gemäß § 249 Abs. 1, § 250 Abs. 2 Nr. 1, § 253 Abs. 1 und 2, § 255 StGB hat keinen Be­stand, da die Feststellungen des Landgerichts nicht belegen, dass der Angeklagte mit Bereicherungsabsicht gehan­delt hat. 

1. Das Landgericht hat festgestellt: Der alkoholisierte Angeklagte begab sich zu der in einem Wartehäuschen auf dem Bahnsteig eines Bahnhofes sitzenden, gerade mit ihrem Handy telefonierenden Geschädigten, stellte sich hinter diese, fasste sie unvermittelt mit der linken Hand an der linken Schulter und hielt ihr ein mit der rechten Hand ge­führtes Küchenmesser an die Kehle, dessen Klinge 9,5 cm lang war. Dabei forderte er die Zeugin auf, ihm ihr Handy auszuhändigen, was diese aus Angst sofort tat. Anschließend rannte sie schreiend davon. Der Angeklagte legte dar­aufhin das Handy auf den früheren Sitzplatz der Geschädigten und begab sich in Richtung einer Fußgängerzone, wo er von Polizeibeamten festgenommen wurde. Diese Feststellungen beruhen im Wesentlichen auf der Einlassung desAngeklagten, der die Tat eingeräumt und im Übrigen angegeben hat, er könne sich sein Verhalten nicht erklären und wisse nicht, was er mit dem Handy der Zeugin gewollt habe. Im Rahmen der Strafzumessung hat das Landgericht ausgeführt, dass der Angeklagte die Beute, "mit der er ohnehin nichts anfangen wollte", nicht für sich behalten, son­dern zurückgegeben habe und dass die "- unsinnige - Tat" bei Tag begangen worden war.

2. Danach fehlt es für die Verurteilung nach §§ 253, 255 StGB an der Feststellung der Absicht des Angeklagten, sich (oder einen Dritten) rechtswidrig zu bereichern. Das Landgericht hätte insoweit aufklären müssen, welche Vorstel­lungen über den weiteren Verbleib des Handys der Angeklagte hatte (vgl. BGH NStZ 2005, 155 m. w. N.; Fischer, StGB 57. Aufl. § 253 Rdn. 18). Die Feststellungen des Landgerichts zur Einlassung des Angeklagten sowie seine Erwägungen im Rahmen der Strafzumessung sprechen zudem eher dafür, dass das Landgericht gerade nicht vom Vorliegen einer tatbestandsmäßigen Bereicherungsabsicht des Angeklagten ausgegangen ist. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. 

3. Der Senat weist den neuen Tatrichter vorsorglich auf Folgendes hin: Im Falle einer erneuten Verurteilung gemäß § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB wird auf besonders schwere räuberische Erpressung zu erkennen sein; denn die von § 260 Abs. 4 Satz 1 StPO geforderte rechtliche Bezeichnung der Straftat macht die Kennzeichnung der jeweils gegebenen Qualifikation notwendig (vgl. BGH, Urt. vom 18. Februar 2010 - 3 StR 556/09 -m. w. N.). Für das Vorliegen eines Hangs des Angeklagten zum Rauschmittelmissbrauch im Sinne des § 64 StGB ist der Zeitpunkt der Hauptverhand­lung maßgeblich. Ein solcher Hang muss demnach nicht nur während der Anlasstat, sondern -was hier nach den bisher getroffenen Feststellungen zweifelhaft sein könnte - auch im Zeitpunkt der letzten tatrichterlichen Hauptverhandlung gegeben sein. Ferner ist auch für die Gefährlichkeitsprognose entscheidend, ob die Gefahr, dass der Ange­klagte infolge seines Hangs erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, im Zeitpunkt der tatrichterlichen Haupt­verhandlung besteht (vgl. van Gemmeren in MünchKomm-StGB § 64 Rdn. 25, 46). 

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