StGB § 66 – nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung

StGB § 66 – nachtr. Anordnung der Sicherungsverwahrung

BGH,Urt. v. 13.01.2010 - 1 StR 372/09

Zu den Voraussetzungen der nachträglichen Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung.

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung am 16. Dezember 2009 und in der Sitzung vom 13. Januar 2010 für Recht erkannt:

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 27. Februar 2009 wird verworfen. Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Verurteilten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe:

Das Landgericht hat den Antrag der Staatsanwaltschaft zurückgewiesen, gegen den Verurteilten gemäß § 66b Abs. 2 StGB nachträglich die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung anzuordnen. Dagegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Sach- und eine Formalrüge gestützten, vom Generalbundesanwalt nicht vertretenen Revision. Dem Rechtsmittel bleibt der Erfolg versagt.

I. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt: 

1. Der Verurteilte wurde bislang - neben zweier, hier unerheblicher Geldstrafen wegen Diebstahls in den Jahren 1981 und 1982 - wie folgt bestraft:

a) Mit Urteil des Landgerichts München II vom 10. Mai 1985 wurde er wegen Vergewaltigung einer fünfzehnjährigen Schülerin - am 27. August 1984 unter Fesselung und Verschleppung mit seinem Pkw - in Tateinheit mit sexueller Nötigung zu der Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zwei Drittel dieser Strafe verbüßte er bis zum 8. Juni 1988. Die Reststrafe wurde nach Ablauf einer vierjährigen Bewährungszeit mit Wirkung vom 21. Oktober 1992 erlassen.

b) Grundlage des jetzigen Verfahrens - Anlassverurteilung - ist das Urteil des Landgerichts München II vom 16. März 1995. Wegen zweier tateinheitlicher Vergewaltigungen, jeweils mit sexueller Nötigung, (eine Tat im rechtlichen Sinne) am 16./17. April 1994 erkannte das Gericht auf eine Freiheitsstrafe von 14 Jahren.

Der Anlassverurteilung vom 16. März 1995 lag zugrunde, dass der Verurteilte in der Nacht vom 16. auf den 17. April 1994 zwei 14 und 15 Jahre alte Anhalterinnen in seinem speziell hierfür präparierten VW-Bus nach sorgfältiger Tatplanung über mehrere Stunden hinweg sexuell misshandelte und vergewaltigte. Dabei versetzte er die Mädchen unter Bedrohung mit einer Pistole in Todesangst, verklebte deren Mund und fesselte sie. Beiden Mädchen stach er schließlich mit einer Nadel zweimal in die inneren Schamlippen und zog einen Faden durch diese. Die Fäden hielt er bei der Weiterfahrt zunächst in der Hand und verknotete sie später bei der Freilassung seiner Opfer. Zudem führte er ring- und schlauchartige Gegenstände in die Scheide der Mädchen ein. Die Anordnung von primärer Sicherungsverwahrung - gemäß § 66 StGB in der damals geltenden Fassung - schied seinerzeit bereits deshalb aus, weil die vom Gesetz geforderten formellen Voraussetzungen - zwei Vorverurteilungen (§ 66 Abs. 1 StGB) bzw. drei Straftaten (§ 66 Abs. 2 StGB) - fehlten. Gleichwohl führte das damals erkennende Gericht in den Urteilsgründen aus: „Im Übrigen konnte die Strafkammer in Übereinstimmung mit dem Sach-verständigen Prof. Dr. Nedopil“ - er war bestellt zur Beurteilung der Schuldfähigkeit des damaligen Angeklagten - „auch keinen Hang des Angeklagten zu erheblichen Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 und 2 StGB feststellen. Außer der einschlägigen Vorstrafe haben sich diesbezüglich keine sicheren Anhaltspunkte ergeben.“

2. Die Haftzeit des Verurteilten verlief nach den Feststellungen der Strafkammer „ohne besondere Vorkommnisse“. Seine Ehe wurde geschieden (bis zu seiner Inhaftierung in dieser Sache hatte der Verurteilte „ein arbeitsames Leben geführt und für seine Familie gesorgt“). Der Verurteilte bezeichnete sich weiterhin als unschuldig, insbesondere den Mitgefangenen gegenüber, zu denen er allerdings mit Ausnahme des Zeugen B. wenig Kontakt pflegte. Dabei äußerte er, nur eines der Mädchen habe zivilrechtlich Schadensersatz begehrt, dabei auf seine Kosten den Führerschein gemacht und einen Motorroller erworben. Der Zeuge B. drängte ihn immer wieder, das „unrichtige“ Urteil nicht auf sich beruhen zu lassen und ein Wiederaufnahmeverfahren zu betreiben. Vor diesem Hintergrund äußerte der Verurteilte mehrfach, die „Schlampen bekämen ihr Fett ab“, für sie lasse er „sich etwas einfallen“. Diese „in ihrer Bedeutung ungenauen Kraftausdrücke“ belegten indes, so die Strafkammer, keine erhöhte Gewaltbereitschaft. Der Kontext der Äußerungen lasse es zumindest in gleichem Grad wahrscheinlich erscheinen, dass der Verurteilte damit lediglich einer Erörterung der Tat mit seinem Mitgefangenen aus dem Weg gehen wollte. Im Rahmen der Prüfung einer bedingten Entlassung aus der Strafhaft erstattete der Sachverständige Prof. Dr. Athen ein Psychiatrisches Gutachten. Angesichts der nach seiner Einschätzung fortbestehenden Gefährlichkeit des Verurteilten empfahl er eine bedingte Entlassung nicht.

Der Verurteilte bewarb sich während der Strafhaft zweimal für eine Sexualtherapie in anderen Vollzugsanstalten. Von einer dieser Einrichtungen wurde er abgelehnt, da er - im Jahre 1951 geboren - zu alt sei. Die in einer weiteren Anstalt schon begonnene Therapie wurde abgebrochen, da der Verurteilte nach Einschätzung der Therapeuten noch eine zu lange Reststrafe zu verbüßen hatte. Erst im Jahre 2007 - am 17. April 2008 stand das Haftende an - sollte der Verurteilte in die sozialtherapeutische Abteilung seiner Justizvollzugsanstalt verlegt werden. Der Verurteilte widersetzte sich, da er nicht krank sei. Dies wurde mit einem dreitägigen Arrest disziplinarisch geahndet - der einzigen Disziplinarmaßnahme gegen den Verurteilten während der gesamten Haftzeit. Nachdem er - dann wohl doch verlegt - zu einer Mitwirkung an der Therapie gleichwohl nicht zu gewinnen war, wurde er wieder in den Normalvollzug überwiesen. 

3. Am 22. Januar 2008 beantragte die Staatsanwaltschaft beim Landgericht München II die Einleitung des Verfahrens zur Unterbringung des Verurteilten in der nachträglichen Sicherungsverwahrung. Im Hinblick auf die bevorstehende Entlassung beantragte die Staatsanwaltschaft zudem den Erlass eines Unterbringungsbefehls. Diesen Antrag wies das Landgericht München II zurück, das Oberlandesgericht München gab ihm auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft statt. Seit dem Ende der Strafhaft - 17. April 2008 - befand sich der Verurteilte in vorläufiger Unterbringung bis zum Erlass des hier angefochtenen Urteils am 27. Februar 2009, mit dem zugleich der Unterbringungsbefehl aufgehoben wurde. (Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Aufhebung des Unterbringungsbefehls verwarf das Oberlandesgericht München inzwischen mit Beschluss vom 7. Mai 2009.) Der Verurteilte nahm Wohnung bei seinem Bruder in Nordrhein-Westfalen.

4. Im nunmehrigen Verfahren zur Entscheidung über die nachträgliche Sicherungsverwahrung hörte die Strafkammer zwei psychiatrische Sachverständige, Dr. Mattias Hollweg und Dr. Kuznik. Zu einer Exploration war der Verurteilte nicht bereit. Zur Gefährlichkeitsprognose führte die Strafkammer aus: Aus Sicht der Sachverständigen ergab die Beweisaufnahme über die den beiden Urteilen vom 10. Mai 1985 und vom 16. März 1995 zugrunde liegenden Feststellungen hinaus keine neuen relevanten Umstände von Gewicht für die Beurteilung der Gefährlichkeit des Verurteilten, wenn man die Äußerungen zu seinen Opfern - wie die Strafkammer - nicht als ernstlich gemeinte Drohungen ansieht. Dieses und die weitere Bemerkung des Verurteilten dem Zeugen B. gegenüber, wonach eine Frau „nichts wert“ sei, man könne sie „gebrauchen“ und „wegwerfen“, belegten allerdings eine anhaltend frauenverachtende Einstellung. Die Therapieverweigerung im Jahre 2007 stelle keinen die Gefahrprognose erhöhenden Umstand dar. Es sei nachvollziehbar, dass der Verurteilte wegen der bei Gefangenen üblichen Legendenbildung - er sei zu Unrecht verurteilt - in der eigenen Vollzugsanstalt eine Therapie nicht antreten wollte. Insgesamt ergebe sich aber aus den zwei Urteilen aus den Jahren 1985 und 1995 eine ungünstige Prognose mit hoher Rückfallwahrscheinlichkeit. Bei gestörter Sexualpräferenz (ICD10 F65.5) sei eine Steigerung der Gewalt zu verzeichnen durch Hinzutreten sadistischer Handlungen, eine Zunahme der Intensität des Handlungsablaufs und der Erniedrigung der Opfer. Ungünstig zu bewerteten sei auch die Vorplanung - Bereitstellung der Tatwerkzeuge - und das Suchverhalten des Verurteilten (junge Anhalterinnen) bei der letzten Tat. Mit Einschränkung günstig sei das fortgeschrittene Alter des Verurteilten zu sehen. Der Gutachter im Ausgangsverfahren, Prof. Dr. Nedopil, verwies bei seiner Anhörung darauf, dass es 1995 noch Stand der Wissenschaft gewesen sei, eine Wiederholungsgefahr nur dann anzunehmen, wenn zwischen zwei einschlägigen Taten auch positiv Befunde über Auffälligkeiten im Sexualleben getroffen werden könnten. Da nach Angaben der Ehefrau insoweit alles normal verlaufen sei, seien ihm nur die beiden Straftaten als Beurteilungsgrundlage verblieben, zwischen denen ein Zeitraum von knapp zehn Jahren liege. Heute beurteile er das anders. Für die Annahme einer sexuellen Deviation genüge nach dem jetzigen Stand der Wissenschaft nunmehr das Vorliegen von zwei Straftaten. Grund hierfür sei „in der wechselseitigen Beeinflussung sowohl der Fortschritt der Wissenschaft wie auch die erhöhte Sensibilisierung der Öffentlichkeit gegenüber Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“.

II. Die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung hat die Strafkammer abgelehnt. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 1 StGB sei schon mangels Vorliegens der dafür zusätzlichen formellen Voraussetzungen des § 66 StGB rechtlich nicht möglich. Auch die Maßregel nach § 66b Abs. 2 StGB scheide aus. Es lägen keine neuen, erst während des Strafvollzugs erkennbar gewordene Tatsachen von Gewicht vor, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit hinwiesen. Die hier relevanten Tatsachen seien deshalb nicht - wie von § 66b Abs. 2 StGB gefordert - neu, weil die den Hang zu erheblichen Straftaten sowie die Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit begründenden Befundtatsachen bereits zum Zeitpunkt der Anlassverurteilung bekannt gewesen seien. „Vorliegend beruhen die von den Sachverständigen (Dr. Hollweg und Dr. Kuznik) und den sachverständigen Zeugen (Prof. Dr. Nedopil und Prof. Dr. Athen) bekundeten devianten Entwicklungen der Sexualität des Antragsgegners, die Grundlage der Feststellung eines Hanges bilden könnten, auf Tatsachen, die in den Urteilen des Landgerichts München II aus den Jahren 1995 und 1985 festgehalten sind, und den darauf gegründeten fachlichen Schlussfolgerungen dieser Personen. Tatsachen aus der Zeit nach der letzten Verurteilung des Antragsgegners ... haben keinen Eingang in die Bekundungen der sachverständigen Zeugen oder die Gutachten der Sachverständigen gefunden ... und sind auch für das Gericht nicht ersichtlich.“ Prognoserelevant seien auch nicht die „Kraftausdrücke“ des Verurteilten in Bezug auf seine beiden Opfer. Diese hätten der Untermauerung seiner Legende gedient, unschuldig verurteilt worden zu sein. Als Grund hierfür komme in Betracht, dass unter den Insassen einer Vollzugsanstalt diejenigen Gefangenen, die wegen Sexualdelikten verurteilt wurden, zumal bei Opfern im kindlichen und jugendlichen Alter, in der internen Hierarchie auf niedrigster Stufe stehen und daher prädestinierte Ziele für Angriffe der Mitgefangenen seien. Ein erhöhter Gefährlichkeitsgrad könne aus den Äußerungen des Verurteilten deshalb nicht geschlossen werden. Dies sieht die Strafkammer auch darin bestätigt, dass der Verurteilte nach seiner Entlassung fernab vom Umfeld der Geschädigten in Bayern bei seinem Bruder in Nordrhein-Westfalen Wohnung nahm. Auch der fehlende Therapiewille in der Endphase der Strafhaft stelle sich nicht als neue Tatsache im Sinne von § 66b StGB dar. Es könne nicht festgestellt werden, dass der - seinerzeit bestreitende - damalige Angeklagte sich bei der Verhandlung im Jahre 1995 bereit gefunden habe, sich einer Therapie zu unterziehen. Außerdem sei auch die Ablehnung einer Therapie im Jahre2007 inder Vollzugsanstalt, in der er viele Jahre verbracht hat, vor dem Hintergrund seiner Unschuldslegende nachvollziehbar und lasse keinen Schluss auf erhöhte Gefährlichkeit zu.

III. Den Antrag auf Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung hat das Landgericht im Ergebnis zutreffend zurückgewiesen. Die angefochtene Entscheidung entspricht der Rechtslage und ist auch sonst frei von durchgreifenden Rechtsfehlern.

1. Der Rüge der Verletzung formellen Rechts bleibt der Erfolg versagt. Die Revision der Staatsanwaltschaft beanstandet die Ablehnung ihres Beweisantrags vom 23. Februar 2009 auf Vernehmung des Vorsitzenden und eines weiteren Richters des Ausgangsverfahrens. Nach dem Inhalt der Revisionsbegründungsschrift richtet sich die Rüge nur gegen die Zurückweisung der Beweiserhebung über die unter Nr. 3 des Antrags genannten Umstände. Auch insoweit hat die Strafkammer den Beweisantrag mit noch tragfähiger Begründung zurückgewiesen. Über die in den verlesenen Urteilgründen genannten Anknüpfungstatsachen hinaus enthält der Beweisantrag keinen konkreten Tatsachenvortrag zur Feststellung eines Hanges im Zusammenhang mit der Anlassverurteilung.

2. Die Zurückweisung des Antrags auf Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung hält auch sachlich-rechtlicher Prüfung stand. 

a) Die Voraussetzungen des § 66b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB liegen  - wie die Strafkammer im Einzelnen zutreffend dargestellt hat - schon aus formellen Gründen nicht vor. Zusätzlich zu den Voraussetzungen des § 66b Abs. 1 StGB müssen nämlich auch die (übrigen) Voraussetzungen des § 66 StGB erfüllt sein. Das ist aber nicht der Fall: Zwar würde für die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung gemäß § 66b Abs. 1 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB (in der jetzt geltenden Fassung) eine Vorverurteilung vor der Anlassverurteilung genügen. Die Vorverurteilung aus dem Jahre 1985 hat jedoch gemäß § 66 Abs. 4 Satz 3 und 4 StGB wegen „Rückfallverjährung“ außer Betracht zu bleiben. Zwischen dem Ende des hierauf beruhenden Strafvollzugs - am 8. Juni 1988 - und der neuen Tat - am 16. April 1994 - waren mehr als fünf Jahre vergangen. Da die Anlassverurteilung nur wegen einer Tat erfolgte, sind auch die Voraussetzungen einer nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung ohne Vorverurteilung gemäß § 66b Abs. 1 i.V.m. § 66 Abs. 2 und 3 Satz 2 StGB nicht gegeben.

b) Auch § 66b Abs. 2 StGB bietet im vorliegenden Fall keine Grundlage zur Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung. Zwar sind insoweit die formellen Eingangsvoraussetzungen - Anlassverurteilung wegen einer Katalogtat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren - gegeben. Das Landgericht München II verhängte mit Urteil vom 16. März 1995 gegen den Verurteilten wegen eines Verbrechens gegen die sexuelle Selbstbestimmung - Vergewaltigung - eine Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren (14 Jahre). Die von der Strafkammer referierten Darlegungen der Sachverständigen und der sachverständigen Zeugen - das Landgericht selbst äußert sich hierzu nicht ausdrücklich - lassen auch den Schluss zu, dass der Verurteilte infolge eines Hangs zur Begehung erheblicher (Sexual-)Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich ist (zum Erfordernis der Feststellung eines entsprechenden Hangs auch bei § 66b Abs. 2 StGB vgl. BGH, Beschl. vom 9. Januar 2007 - 1 StR 605/06 - [BGHSt 51, 191] Rdn. 21). Dies beruht jedoch allein auf den Feststellungen in den Urteilen vom 10. Mai 1985 und vom 16. März 1995. Die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung gemäß § 66b Abs. 2 StGB setzt aber - wie in den Fällen des Abs. 1 Satz 1 - zusätzlich voraus, dass sich diese Gefährlichkeit ergänzend auch aus der Entwicklung des Verurteilten während des Strafvollzugs ergibt. Es müssen deshalb nach der Anlassverurteilung vor dem Ende des Strafvollzugs Tatsachen - und zwar neue Tatsachen - erkennbar werden, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Betroffenen für die Allgemeinheit hinweisen und in einem prognoserelevanten symptomatischen Zusammenhang mit der Anlassverurteilung stehen (vgl. BGH, Urt. vom 25. November 2005 - 2 StR 272/05 - [BGHSt 50, 284, 296]; Beschlüsse vom 12. Januar 2006 - 4 StR 485/05 - Rdn. 15; 22. Februar 2006 - 5 StR 585/05 - [BGHSt 50, 373, 378]; 9. Januar 2007 - 1 StR 605/06 - Rdn. 10, insoweit in BGHSt 51, 191 nicht abgedruckt; 17. Juni 2008 - 1 StR 227/08 - Rdn. 13; 7. Oktober 2008 - GSSt 1/08 - [BGHSt 52, 379, 389 Rdn. 32]; BVerfG - Kammer - Beschl. vom 23. August 2006 - 2 BvR 226/06 - [BVerfGK 9, 108]). Denn § 66b Abs. 2 StGB eröffnet nicht die Möglichkeit, die bei der Anlassverurteilung gemäß der damaligen und insoweit bis heute unveränderten Rechtslage verwehrte primäre Anordnung der Sicherungsverwahrung (gemäß § 66 Abs. 1 StGB) bei Strafende aufgrund derselben Erkenntnisgrundlage wie zum Zeitpunkt der Anlassverurteilung nachzuholen. § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB, der keine neuen Tatsachen voraussetzt, gilt - ersichtlich - nicht für § 66b Abs. 2 StGB. Dies hat der Gesetzgeber klargestellt: Diese Regelung wurde für „Altfälle“ geschaffen (insbesondere im Hinblick darauf, dass § 66 StGB auf im Beitrittsgebiet begangene Taten zunächst nicht anwendbar war). Durch dieses Gesetz - das am 18. April2007 inKraft getretene Gesetz zur Reform zur Führungsaufsicht und zur Änderung der Vorschriften über die nachträgliche Sicherungsverwahrung vom 13. April 2007 (BGBl I 513) - wurden zugleich in § 66b Abs. 2 StGB die Worte eingefügt, dass „Tatsachen der in Absatz 1 Satz 1 genannten Art“ verwertet werden dürfen, die „nach einer Verurteilung ... erkennbar“ geworden sind. Solche Tatsachen müssen also „neu“ sein. Rechtspolitische Anregungen im Zusammenhang mit dem damaligen Gesetzgebungsverfahren, die nachträgliche Sicherungsverwahrung auch für diejenigen Fälle im Grundsatz zu ermöglichen, in denen - etwa wie hier wegen der eingetretenen „Rückfallverjährung“ - bei der Anlassverurteilung aus rechtlichen Gründen keine Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 1 StGB angeordnet werden konnte und auch gegenwärtig nicht angeordnet werden könnte, blieben erfolglos (vgl. BGH, Urt. vom 17. Juni 2008 - 1 StR 227/08 - Rdn. 14 ff.; Kett-Straub GA 2009, 586,599 f.; zum Anwendungsbereich des § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB vgl. auch BGH, Urt. vom 27. Oktober 2009 - 5 StR 296/09 - Rdn. 25 ff.). Inwieweit eine derartige Regelung in Fällen der vorliegenden Art allerdings überhaupt möglich wäre ohne mit den bestehenden Vorschriften über die „Rückfallverjährung“ (§ 66b Abs. 1 i.V.m. § 66 Abs. 4 Satz 3 StGB) in einen Wertungswiderspruch zu geraten, kann hier dahinstehen.  „Neue Tatsachen“ liegen dann nicht vor, wenn sie dem früheren Tatrichter bekannt waren oder wenn sie ein sorgfältiger Tatrichter hätte aufklären und erkennen müssen. In diesem Sinne erkennbar sind zunächst solche Umstände, die ein Tatrichter nach Maßstab des § 244 Abs. 2 StPO für die Frage der Anordnung der Sicherungsverwahrung hätte aufklären müssen. Hier kam im Zusammenhang mit der Anlassverurteilung die Anordnung einer Sicherungsverwahrung allerdings schon aus formellen Gründen von vorneherein nicht in Betracht. Dann musste sich das damals zuständige Gericht mit der Frage eines Hanges des Angeklagten und seiner Gefährlichkeit im Hinblick auf die Maßregel seinerzeit im Grundsatz auch nicht auseinandersetzen. Für die Beantwortung der Frage, ob in derartigen Fällen eine Tatsache im Sinne von § 66b Abs. 2 StGB neu ist, kann aber auch dann nur maßgebend sein, ob die der Bewertung (von Hang und Gefährlichkeit) zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen im Zeitpunkt der Anlassverurteilung bereits vorlagen und für das damals erkennende Gericht erkennbar waren (vgl. auch BGH, Beschl. vom 25. Juli 2006 - 1 StR 274/06 - Rdn. 12). Nicht neu sind demnach in diesen Fällen solche Tatsachen, die das Gericht, hätte es die Anordnung einer Sicherungsverwahrung zu prüfen gehabt, seinerzeit hätte feststellen müssen und können. Allerdings wird es auf derartige außerhalb der Kognitionspflicht des Gerichts der Anlassverurteilung liegende Erkenntnismöglichkeiten in aller Regel nicht ankommen. Denn Umstände, die den Hang eines Angeklagten zu erheblichen Straftaten und seine Gefährlichkeit begründen, kennzeichnen auch maßgeblich seine Persönlichkeit und sind für die Strafzumessung und die Frage der Schuldfähigkeit von grundlegender Bedeutung. So liegt es jedenfalls in diesem Fall. Deshalb konnte sich der zur Frage der Schuldfähigkeit des damaligen Angeklagten gehörte Sachverständige im Verfahren, das der Anlassverurteilung zugrunde lag, auf derselben Tatsachenbasis auch zum Hang äußern. Dass die Sachverständigen die Frage des Hangs des Verurteilten zu erheblichen Straftaten und seine Gefährlichkeit nunmehr - 14 Jahre später - und zwar aufgrund derselben Anknüpfungstatsachen anders beurteilen, stellt keine neue Tatsache im Sinne von § 66b Abs. 1 und 2 StGB dar (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. November 2005 - 4 StR 483/05 - [BGHSt 50, 275, 279]; 22. Februar 2006 - 5 StR 585/05 - [BGHSt 50, 373, 379, 383]; 25. Juli 2006 - 1 StR 274/06 - Rdn.11 f.; im Unterschied zu § 66b Abs. 3 StGB, vgl. BVerfG  - Kammer - Beschl. vom 5. August 2009 - 2 BvR 2098, 2633/08 - B. I. 3. b) aa) (3)). Voraussetzung für die Einordnung eines während des Strafvollzugs bekannt gewordenen Sachverhalts als „neue Tatsache“ im Sinne des § 66b StGB ist, dass er die Gefährlichkeit des Betroffenen höher oder in einem grundsätzlich anderen Licht erscheinen lässt (vgl. BGH, Beschl. vom 12. September 2007 - 1 StR 391/07). Derartiges konnte die Strafkammer vorliegend nicht feststellen (wie dies auch das Oberlandesgericht München in seinem eingehend begründeten Beschluss vom 7. Mai 2009 zutreffend dargelegt hat). Als möglicherweise „neue Tatsachen“ standen allein die gegenüber Mitgefangenen geäußerten Drohungen in Bezug auf die Tatopfer im Raum. Dass hieraus kein Schluss auf eine erhöhte Gefährlichkeit gezogen werden kann, hat die Strafkammer ausführlich und tragfähig damit begründet, dass dies lediglich Teil der - in der Vollzugsanstalt für einen Sexualstraftäter mit jugendlichen Opfern geradezu existenznotwendigen - Unschuldslegende gewesen sei. Diese Bewertung des Landgerichts ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Generalbundesanwalt hat dies mit seinen Ausführungen in der Revisionshauptverhandlung ebenso beurteilt und deshalb beantragt, die Revision der Staatsanwaltschaft zu verwerfen. Dem folgte der Senat aus den dargelegten Gründen. 

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