StGB § 66 Zulässiges Verteidigerverhalten kein Anknüpfungspunkt für die Gefährlichkeit
BGH, Urt. v. 11.11.2020 – 1 StR 277/20
Das Bestreiten des Tötungsvorsatzes als zulässiges Verteidigungsverhalten darf bei der Anordnung einer Sicherungsverwahrung weder zur Begründung eines Hanges noch als Anknüpfungspunkt für die Gefährlichkeit des Angeklagten verwertet werden.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts – zu 3. auf dessen Antrag – gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO am 11. November 2020 beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München II vom 21. Februar 2020 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und einem Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Die mit der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg und ist im Übrigen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Das Urteil weist weder im Schuldspruch noch im Strafausspruch einen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
2. Die auf § 66 Abs. 1 StGB gestützte Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung hat hingegen keinen Bestand, weil das Landgericht zulässiges Verteidigungsverhalten des Angeklagten zur Begründung eines Hanges zur Begehung erheblicher Straftaten und insbesondere zur Begründung seiner Gefährlichkeit für die Allgemeinheit herangezogen hat.
a) Die Schwurgerichtskammer hat insoweit ausgeführt, dass der Angeklagte sich in der Hauptverhandlung zwar teilweise geständig eingelassen, jedoch versucht habe, die Gewalttat zu verharmlosen, weil er den Tötungsvorsatz in Abrede gestellt habe. Damit liege zwar ein teilweises Einräumen der objektiven Umstände der Tatbegehung vor, aber kein vollumfängliches, von Schuldeinsicht und Reue getragenes Geständnis. Dies spreche dafür, dass beim Angeklagten mangels ausreichendender Auseinandersetzung mit der Tat auch in Zukunft mit vergleichbaren erheblichen Straftaten zu rechnen sei.
b) Diese Ausführungen lassen besorgen, dass das Schwurgericht die Grenzen zulässigen Verteidigungsverhaltens des Angeklagten verkannt hat. Zulässiges Verteidigungsverhalten – vorliegend lediglich im Bestreiten des Tötungsvorsatzes – darf weder hangbegründend noch als Anknüpfungspunkt für die Gefährlichkeit des Angeklagten verwertet werden (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. August 2014 – 1 StR 320/14 Rn. 7 und vom 24. Oktober 2019 – 4 StR 200/19 Rn. 7 f. jeweils mwN). Denn müsste der Angeklagte befürchten, dass zulässiges Verteidigungsverhalten zur Begründung der Anordnung der Sicherungsverwahrung zu seinem Nachteil verwertet wird, wäre er in seiner Entscheidung, wie er sich gegen die Anklagevorwürfe verteidigen will, nicht mehr frei.
3. Der Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung des Maßregelausspruchs mit den zugehörigen Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO). Der Strafausspruch ist von dem Rechtsfehler nicht betroffen.