StGB § 66a Hangfeststellung und Gefährlichkeitsprognose im Rahmen der Anordnung einer vorbehaltenen Sicherungsverwahrung

BGH, Urt. v. 04.02.2021 – 4 StR 448/20

Zu den Voraussetzungen der endgültigen Anordnung vorbehaltener Sicherungsverwahrung im Nachverfahren gemäß § 66a Abs. 3 StGB (amtl. LS).

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 4. Februar 2021 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:

Auf die Revision des Verurteilten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 8. Juli 2020 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat die mit Urteil des Landgerichts Essen vom 29. Mai 2019 vorbehaltene Sicherungsverwahrung angeordnet. Hiergegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

1. Der Beschwerdeführer war im ersten Rechtsgang mit Urteil des Landgerichts Essen vom 16. Februar 2017 wegen einer am 13. Mai 2014 begangenen Tat der versuchten räuberischen Erpressung in Tateinheit mit dem Versuch der Beschaffung von Betäubungsmitteln in sonstiger Weise und mit vorsätzlicher Körperverletzung unter Einbeziehung der Strafen aus dem Urteil des Landgerichts Berlin vom 9. April 2015 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt worden; ferner wurde seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vorbehalten. Auf die Revision des Beschwerdeführers hob der Senat dieses Urteil mit Beschluss vom 19. Juli 2017 - 4 StR 245/17- im Maßregelausspruch auf; die weiter gehende Revision wurde verworfen und das Urteil im Schuldund im Strafausspruch rechtskräftig. Im zweiten Rechtsgang sah das Landgericht Essen mit Urteil vom 9. Februar 2018 von der Anordnung eines Vorbehalts ab. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft hob der Senat diese Entscheidung mit Urteil vom 22. November 2018 - 4 StR 253/18 - auf. Im dritten Rechtsgang ordnete das Landgericht mit Urteil vom 29. Mai 2019 nunmehr den Vorbehalt der Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung an. Das Landgericht ist zu der Überzeugung gelangt, dass der Verurteilte wahrscheinlich einen Hang zur Begehung von Raubund Körperverletzungsdelikten habe und aufgrund dieses Hanges wahrscheinlich für die Allgemeinheit gefährlich sei. Das sachverständig beratene Landgericht hat ausgeführt, dass der in schwierigen familiären Verhältnissen aufgewachsene, früh verhaltensauffällige und langjährig drogenabhängige Verurteilte in den Jahren 2002 bis 2014 „in hoher Frequenz“ wegen räuberischer Erpressung, räuberischen Diebstahls, Raubes und Körperverletzung straffällig geworden sei und die Taten ein übereinstimmendes Muster insofern zeigten, als der Verurteilte immer dann mit Gewalt drohe oder sie einsetze, wenn er seine Ziele auf anderem Wege nicht erreiche. Seine strafrechtliche Vorgeschichte und seine durch eine inzwischen wahrscheinlich verfestigte dissoziale Persönlichkeitsstörung geprägte Persönlichkeit belegten wahrscheinlich eine eingewurzelte, intensive innere Neigung des inzwischen 39 Jahre alten Verurteilten zur Begehung von gravierenden Raub- und Körperverletzungsdelikten. Auch wenn er nunmehr seine Abkehr von Gewalt bekundet habe und sein Verhalten im Vollzug zuletzt frei von Aggressivität gewesen sei, stelle dies die  Annahme eines wahrscheinlichen Hanges im Sinne des § 66a Abs. 1 Nr. 3 StGB und seine wahrscheinliche Gefährlichkeit nicht in Frage. Im Rahmen der Ermessensausübung hat das Landgericht den „hier sehr hohen Grad der Wahrscheinlichkeit“ der hangbedingten Gefährlichkeit und die geringe Aussicht berücksichtigt, dass sich hieran bis zum nahen Ende des Strafvollzugs am 25. Juli 2020 noch etwas ändere. Das Urteil ist nach Verwerfung der Revision des Verurteilten durch den Senat (4 StR 497/19) seit dem 23. April 2020 rechtskräftig.

2. Im Nachverfahren hat das Landgericht nunmehr die Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung angeordnet, weil der Verurteilte einen in seiner Persönlichkeit wurzelnden Hang zur Begehung von schwerwiegenden Raub- und Köperverletzungsdelikten habe und deshalb für die Allgemeinheit gefährlich sei. Die Maßregelanordnung sei verhältnismäßig, zumal der Verurteilte „für die von ihm ausgehende Gefahr weitestgehend selbst verantwortlich“ sei.

II.

Der Anordnung der Sicherungsverwahrung im Nachverfahren steht ein Verfahrenshindernis nicht entgegen. Die Frist des § 66a Abs. 3 Satz 1 StGB in der Fassung vom 22. Dezember 2010 (BGBl I 2300), deren Versäumnis ein Verfahrenshindernis zur Folge hätte (vgl. BGH, Urteile vom 7. August 2012 - 1 StR 98/12, NStZ 2013, 100 und vom 8. Juni 2016 - 2 StR 88/16, NStZ-RR 2017, 7 mwN), ist gewahrt. Das Landgericht hat die vorbehaltene Sicherungsverwahrung mit Urteil vom 8. Juli 2020 und damit vor dem Strafende am 25. Juli 2020 angeordnet.

Dass die Entscheidung im Nachverfahren, die unverzüglich nach der am 23. April 2020 eingetretenen Rechtskraft des Urteils vom 29. Mai 2019 ergangen ist, entgegen der Sollvorschrift des § 275a Abs. 5 StPO nicht spätestens sechs Monate vor der vollständigen Vollstreckung der Freiheitsstrafe getroffen wurde, begründet kein Verfahrenshindernis (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 275a Rn. 5; Greger in KK-StPO, 8. Aufl., § 275a Rn. 7; Gerhold in MüKo-StPO § 275a Rn. 53; Stuckenberg in LR-StPO, 12. Aufl., § 275a Rn. 18).

III.

Das Urteil hält einer sachlich-rechtlichen Überprüfung nicht stand.

1. Gemäß § 66a Abs. 3 Satz 2 StGB ist die Sicherungsverwahrung im Nachverfahren anzuordnen, wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Tat oder seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass von ihm erhebliche Straftaten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Ergibt die erforderliche Gesamtwürdigung aller Umstände, dass der Verurteilte mit bestimmter  Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird und deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist, so sind die materiellen Anforderungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung im Nachverfahren erfüllt.

a) Eine Hangfeststellung ist - entgegen der Auffassung des Landgerichts - nicht vorausgesetzt. Für ein solches Verständnis spricht der eindeutige Wortlaut des § 66a Abs. 3 Satz 2 StGB sowie der aus den Gesetzesmaterialien ersichtliche Wille des Gesetzgebers. Auf die Hangfeststellung sollte angesichts der Schwierigkeiten, unter den „künstlichen, nämlich stark kontrollierenden und reglementierten Bedingungen des Strafvollzugs“ entscheidende weitere Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Hanges zu gewinnen (so ausdrücklich BT-Drucks. 14/8586, S. 7 zu § 66a StGB aF; vgl. auch BT-Drucks. 17/3403, S. 31), verzichtet werden. Die erforderliche Restriktion der Maßregelanordnung im Nachverfahren in Fällen wahrscheinlicher Hangfeststellung und wahrscheinlicher Gefährlichkeit des Verurteilten sollte durch besondere Anforderungen an die Gefährlichkeitsprognose ausgeglichen werden; die Anordnung der Sicherungsverwahrung sollte in Fällen fehlender Hangfeststellung in der Regel nur in Betracht kommen, wenn eine „Fehlentwicklung des Gefangenen im Strafvollzug“ positiv festgestellt werden kann (vgl. BTDrucks. 14/8586, S. 7; zurückhaltender BT-Drucks. 17/3403, S. 32 [„zu pauschal und weitreichend“]).

Für eine solche Auslegung sprechen schließlich auch systematische Überlegungen. Das Rechtsinstitut der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung ist als „zweiaktiges Verfahren“ konzipiert (vgl. BT-Drucks. 17/3403, S. 30). Das mit dem Ausspruch des Vorbehalts der Sicherungsverwahrung endende Anordnungsverfahren und das sich hieran anschließende Nachverfahren bilden nach der gesetzgeberischen Konzeption eine Einheit. Die in erster Linie vergangenheitsbezogene Frage eines Hanges ist im Anordnungsverfahren umfassend zu prüfen und verbindlich zu beantworten. Ist im Anordnungsverfahren ‒ nur ‒ die Wahrscheinlichkeit eines Hanges festgestellt, ist den hiermit verbundenen Prognoseunsicherheiten im Nachverfahren bei der Erstellung der Gefährlichkeitsprognose Rechnung zu tragen.

b) Die Gefährlichkeitsprognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Gesamtwürdigung aller prognostisch relevanten Umstände zu entwickeln. Sie erfordert eine umfassende Analyse der Täterpersönlichkeit und seiner bisherigen Legalbiographie. Die mit Fortschreiten des Lebensalters erfahrungsgemäß eintretenden Haltungsänderungen (vgl. BGH, Urteile vom 16. April 2020 – 4 StR 8/20 Rn. 6; vom 20. November 2007 - 1 StR 442/07, StV 2008, 139 und vom 11. Mai 2005 - 1 StR 37/05, BGHSt 50, 121, 127) sowie etwaige Erkrankungen des Verurteilten sind im Hinblick auf ihre Aussagekraft für eine künftige Legalbewährung zu bewerten und in die Gesamtwürdigung einzustellen. Ferner sind die Wirkungen des Strafvollzugs und mögliche Verhaltensänderungen des Verurteilten bis zur Entscheidung des Gerichts im Nachverfahren besonders in den Blick zu nehmen. Die Wirkungen des (langjährigen) Strafvollzugs sind regelmäßig unter Einbeziehung der Frage, ob und inwieweit der Verurteilte von den besonderen Behandlungsangeboten (vgl. § 66c StGB) zu profitieren vermochte, in die Gesamtwürdigung einzustellen. Schließlich ist auch die konkrete  Entlassungssituation des Verurteilten in den Blick zu nehmen und zu prüfen, ob eine fortbestehende Gefährlichkeit durch flankierende Maßnahmen wie Auflagen und Weisungen, Therapiemaßnahmen oder durch die Unterbringung in einer betreuten Wohneinrichtung auf ein vertretbares Maß reduziert werden kann.

aa) Die Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66a Abs. 3 Satz 2 StGB setzt im Rahmen der Prüfung der Gefährlichkeit des Verurteilten tatbestandlich nicht voraus, dass substantiell neue Tatsachen in dem strengen Sinne, wie sie von der Rechtsprechung für die Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung im Rahmen des § 66b StGBaF entwickelt worden sind (vgl. BGH, Urteile vom 17. Februar 2011 - 3 StR 394/10, NStZ 2011, 513, 514 und vom 8. Juli 2005 - 2 StR 120/05, BGHSt 50, 188, 195, jeweils zu § 66a Abs. 2 StGB in der Fassung vom 27. Dezember 2003; Dessecker in NK-StGB, 5. Aufl., § 66a Rn. 25; Kinzig in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 66a Rn. 22), festgestellt werden können. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass die Gefährlichkeitsprognose unter Einbeziehung neu hinzutretender prognoserelevanter Umstände seit Anordnung des Vorbehalts der Maßregel nunmehr eindeutig positiv begründet werden kann (BT-Drucks. 17/3403, S. 31; BGH, Urteil vom 7. Februar 2011 - 3 StR 394/10; Kinzig in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 66a Rn. 22).

bb) Für die Darlegung der Anordnungsvoraussetzungen des § 66a Abs. 3 Satz 2 StGB in den schriftlichen Urteilsgründen gelten grundsätzlich keine besonderen Anforderungen (zu den Darlegungsanforderungen im Verfahren der Anordnung des Vorbehalts vgl. § 267 Abs. 6; Wenske in MüKo-StPO, 1. Aufl., § 267 Rn. 436 ff.). Die Erwägungen, auf die das Gericht seine  Gefährlichkeitsprognose stützt, sind in den Urteilsgründen aus sachlich-rechtlichen Gründen so vollständig und genau darzulegen, dass diese für das Revisionsgericht nachzuvollziehen ist. In Fällen, in denen - wie hier - in der Ausgangsverurteilung sowohl ein Hang als auch eine Gefährlichkeit des

Verurteilten (nur) für wahrscheinlich gehalten worden sind, bestehen jedoch besondere Darlegungsanforderungen.

Es ist im Einzelnen vollständig, lückenlos und nachvollziehbar darzulegen, dass und aufgrund welcher zusätzlichen Tatsachen das Gericht (nunmehr) zu der positiven Feststellung gelangt, dass der Verurteilte für die Allgemeinheit gefährlich ist (vgl. BT-Drucks. 17/3403, S. 31). Es genügt regelmäßig nicht, lediglich die schon im Ausgangsverfahren bekannten Tatsachen neu zu bewerten (BGH, Urteil vom 7. Februar 2011 - 3 StR 394/10).

2. Gemessen hieran halten die tatgerichtlichen Erwägungen zur Gefährlichkeitsprognose einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Sie sind lückenhaft.

a) Das Landgericht hat seine Gefährlichkeitsprognose - der Sachverständigen folgend – maßgeblich mit der von ihr gestellten Diagnose begründet, dass bei dem Verurteilten eine „kombinierte Persönlichkeitsstörung (schwere Borderline-Störung des emotional-instabilen Typs und dissoziale Störung) mit affektpsychotischen Episoden“ vorliege; es bestehe eine „Gemengelage aus dissozialer und emotional-instabiler Persönlichkeit, die durch den Konsum von Betäubungsmitteln oder einen entsprechenden Suchtdruck sogar psychotische Formen annehme“. Auf dieser  Persönlichkeitsstörung beruhe die bisherige Straffälligkeit des Verurteilten. Die „Borderline-Erkrankung“ sei derart stark ausgeprägt, dass sie einer erfolgreichen Behandlung der außerdem bestehenden Polytoxikomanie wie überhaupt einer Behandlung des Verurteilten innerhalb und  außerhalb des Strafvollzugs entgegenstehe. Dem Verurteilten sei störungsbedingt eine psychosoziale Anpassung nie gelungen. Er sei wiederholt wegen räuberischer Erpressung, räuberischen Diebstahls, Raubes und wegen Körperverletzung straffällig geworden. Die hohe Rückfallgeschwindigkeit der von ihm seit dem Jahr 2002 begangenen Straftaten belege den in seiner Persönlichkeit wurzelnden Hang zur Begehung erheblicher Straftaten. Die Sachverständige sah es vor diesem Hintergrund als „sicher“ an, dass der Verurteilte nach seiner Entlassung aus dem Strafvollzug aufgrund der bestehenden schweren Persönlichkeitsstörung und der nicht ausreichend behandelbaren schweren  Suchterkrankung den Anlassdelikten vergleichbare erhebliche Straftaten begehen werde. Dass der Verurteilte während seiner Inhaftierung keine gewalttätigen Auffälligkeiten mehr gezeigt habe, stehe der Gefährlichkeitsprognose nicht entgegen, weil die eingetretene Beruhigung auf die stabile Substitution, die spezielle Vollzugssituation, mit der Personen mit dem Störungsbild des Verurteilten gut zurechtkämen, und - möglicherweise - auf seine medikamentöse Behandlung zurückzuführen sei. Die Gefahr erneuter Rückfälligkeit könne nicht dadurch reduziert werden, dass der Verurteilte nach Haftentlassung zu seiner Schwester ziehe und ihm Weisungen im Rahmen der Führungsaufsicht erteilt würden. Denn es fehle an der zur Vermeidung erneuter Straffälligkeit erforderlichen „hochstrukturierten Umgebung“. Ein außerhalb des Straf- oder Maßregelvollzugs bestehendes psychiatrisches und sozialtherapeutisches Betreuungsnetz könne eine Rückfallgefahr im Übrigen nur dann mildern, wenn der Verurteilte dies akzeptiere; aufgrund der „schweren Borderline-Erkrankung“ bestünden erhebliche Zweifel, dass der Verurteilte zu einer entsprechenden Mitarbeit überhaupt in der Lage sei.

b) Damit ist die Gefährlichkeitsprognose nicht tragfähig belegt.

aa) Den Urteilsgründen lässt sich auch in ihrem Zusammenhang keine nachvollziehbare  Umschreibung des an anderer Stelle im Urteil als Kombination einer schweren „Borderline-Erkrankung des emotional instabilen Typs“ und einer dissozialen Persönlichkeitsstörung umschriebenen Störungsbildes entnehmen. Die Anknüpfungstatsachen, auf deren Grundlage die Sachverständige zu dieser Diagnose gelangt ist, sind in den Urteilsgründen nicht wiedergegeben. Die von der Sachverständigen gezogenen Schlussfolgerungen sind daher nicht nachzuvollziehen. Soweit die Sachverständige zur Begründung ihrer - von früheren Sachverständigengutachten abweichenden

- Diagnose auf das Verhalten des Verurteilten im Maßregelvollzug in den Jahren 2011 bis 2013 sowie auf seine Behandlung im Justizvollzugskrankenhaus in den Jahren 2016 bis 2018 verwiesen und die dort dokumentierte „psychotische Dekompensation“ für die abweichende Einordnung des Störungsbildes besonders hervorgehoben hat, ist dies in Ermangelung näherer Ausführungen ebenso wenig nachzuvollziehen wie die konkreten Auswirkungen des Störungsbildes auf das Denken, Fühlen und Handeln des Verurteilten. Darüber hinaus bleibt offen, ob und inwieweit sich die von der Sachverständigen gestellte Diagnose mit dem im Justizvollzugskrankenhaus diagnostizierten Störungsbild einer „bipolaren affektiven Störung“ mit psychotischen Episoden vereinbaren lässt. Auf eine exakte Beschreibung, Einordnung und Bewertung der nunmehr erstmals diagnostizierten Borderline-Persönlichkeitsstörung, die regelmäßig mit besonderen Schwierigkeiten verbunden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Februar 1997 - 4 StR 672/96, BGHSt 42, 385), durfte hier angesichts ihrer zentralen - ungünstigen - Bedeutung für die Gefährlichkeitsprognose des Verurteilten nicht verzichtet werden.

bb) Darüber hinaus lässt sich den Urteilsgründen nicht zweifelsfrei entnehmen, ob und inwieweit die in den Jahren 2001, 2004, 2006 und 2008 begangenen früheren vier Taten sowie die der Anlassverurteilung zugrundeliegenden drei Taten aus dem Jahr 2014 auf diesem Störungsbild beruhen.

cc) Schließlich fehlt es an den erforderlichen lückenlosen und nachvollziehbaren Feststellungen zum Verlauf des seit dem Jahr 2017 andauernden Strafvollzugs in dieser Sache und einer  Auseinandersetzung insbesondere mit den dem Verurteilten seit der Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung mit Urteil vom 29. Mai 2019 unterbreiteten Behandlungsangeboten zur Vermeidung des Maßregelvollzugs. Den Urteilsgründen ist insbesondere nichts zum Inhalt der Vollzugsplanung und dazu zu entnehmen, welche Behandlungsmaßnahmen dem Verurteilten angeboten worden sind. Soweit in den Urteilsgründen Erwähnung findet, dass der Verurteilte wöchentliche Gespräche mit der Anstaltspsychologin geführt hat, hätte es auch insoweit näherer Erörterung zum Anlass und zu den möglichen Wirkungen dieser Gespräche im Hinblick auf das Vollzugsverhalten des Verurteilten bedurft, welches in den Urteilsgründen als weitgehend unauffällig und frei von Aggressionen beschrieben wird. Eine solche Behandlungsmaßnahme und eine durch sie möglicherweise mitbewirkte Verhaltensänderung hätte als ein möglicher gegenläufiger Aspekt in die Gefährlichkeitsprognose eingestellt werden müssen.

c) Der Senat vermag ein Beruhen des Urteils auf diesen Erörterungsmängeln nicht auszuschließen.

IV.

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass es sich angesichts der Schwierigkeit der prognostischen Fragestellung empfehlen dürfte, einen weiteren psychiatrischen  Sachverständigen hinzuzuziehen.

Die auf der Grundlage der sachverständigen Einschätzung vorzunehmende Gefährlichkeitsprognose obliegt dem Tatgericht. Es hat sich selbstständig auf der Grundlage einer umfassenden Analyse der bisherigen Delinquenz des Verurteilten, seiner Persönlichkeit und seiner Entlassungsperspektive die Überzeugung zu bilden, ob er in einem Grad für die Allgemeinheit gefährlich ist, der seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung rechtfertigt. Dabei wird insbesondere das Vollzugsverhalten des Verurteilten in den Blick zu nehmen sein. Soweit die Urteilsgründe  Feststellungen dazu enthalten, dass es im Jahr 2016 zu verbalen Aggressionen des Verurteilten gegenüber Mitgefangenen und Vollzugsbediensteten kam und er im Jahr 2018 in zwei Fällen in seinem Haftraum randalierte, wird das Landgericht die eingeschränkte Aussagekraft des Vollzugsverhaltens für die Legalprognose in Freiheit zu berücksichtigen haben. Auch unfreundliche und gemeinschaftswidrige Verhaltensweisen können nicht ohne weiteres als Hinweis auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten gewertet werden, wenn sie sich als ubiquitär und vollzugstypisch erweisen (BGH, Beschluss vom 10. November 2006 - 1 StR 483/06).

Sollte das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht erneut zu dem Ergebnis gelangen, dass dem Verurteilten, der die gegen ihn verhängte Schuldstrafe am 25. Juli 2020 vollständig verbüßt hatte, eine negative Gefährlichkeitsprognose zu stellen ist, wird im Rahmen der Prüfung der  Verhältnismäßigkeit der Maßregelanordnung zu prüfen sein, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang dem Verurteilten im Strafvollzug - dem Rechtsgedanken des § 66c Abs. 1 Nr. 1 StGB entsprechend ‒ eine ausreichende Betreuung angeboten worden ist. Sollte die Prüfung ergeben, dass dem Verurteilten seitens der Vollzugsbehörden kein ausreichendes Angebot gemacht worden ist, wäre dies als Abwägungsgesichtspunkt in die Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Maßregelanordnung einzustellen. Denn das verfassungsrechtliche Abstandsgebot, das durch § 66c StGB verwirklicht werden soll (vgl. Kinzig in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 66c Rn. 1), verlangt, dass schon während des Strafvollzugs alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um die Gefährlichkeit des Verurteilten zu reduzieren, wenn später die Anordnung der Sicherungsverwahrung in Betracht kommt. Insbesondere muss gewährleistet sein, dass etwa erforderliche psychiatrische, psycho- oder sozialtherapeutische Behandlungen zeitig beginnen, mit der gebotenen hohen Intensität durchgeführt und möglichst vor dem Strafende abgeschlossen werden (BVerfGE 131, S. 268; 289; 128, S. 326, 379). Daher ist die Verhältnismäßigkeit der Sicherungsverwahrung besonders kritisch zu prüfen, wenn dem Verurteilten aufgrund eines von ihm nicht zu beeinflussenden Verfahrensverlaufs (hier: späte Rechtskraft des Vorbehalts der Sicherungsverwahrung aufgrund wiederholter Aufhebung rechtsfehlerhafter Maßregelentscheidungen) faktisch die Möglichkeit genommen worden ist, die Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung durch die Wahrnehmung von Betreuungsangeboten abzuwenden.