StGB § 73 Reformatio in peius verbietet Erhöhung der Einzelstrafe; „außergerichtliche Einziehung“
BGH, Urt. v. 09.03.2021 – 6 StR 48/21
1. Das Verbot, auf die Revision der Angeklagten das Urteil zu ihrem Nachteil zu verändern , schlie.t nicht nur eine Erhöhung der Gesamtstrafe aus, sondern steht auch einer Erhöhung der Einzelstrafen entgegen. Das gilt selbst dann, wenn die nunmehr ausgeurteilte Gesamtstrafe niedriger ausgefallen ist.
2. Die Feststellungen zur Person gehören zur Straffrage. Hebt das Revisionsgericht ein Urteil im Strafausspruch auf, muss der nunmehr zur Entscheidung berufene Tatrichter dazu eigene neue Feststellungen treffen. Eine Bezugnahme auf das aufgehobene Urteil scheidet demgegenüber aus.
3. Bei einer Forderung kann der „Verzicht“ i. S. einer „außergerichtlichen Einziehung“ bei verständiger Würdigung (§§ 133, 157 BGB) eine auf Abschluss eines Abtretungsvertrags i. S. von § 398 BGB gerichtete Willenserklärung (§ 145 BGB) darstellen, die nach Maßgabe von § 147 I 1 BGB der Annahme durch den Vertreter der Staatsanwaltschaft bedarf.
Der 6. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. März 2021 beschlossen:
Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 12. November 2020 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hatte die Angeklagte wegen Begünstigung in Tateinheit mit leichtfertiger Geldwäsche in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Ferner hatte es eine Einziehungsentscheidung getroffen. Mit Beschluss vom 7. April 2020 hat der Senat das Urteil im Schuldspruch geändert und den Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Nunmehr hat das Landgericht die Angeklagte auf Grundlage des rechtskräftigen Schuldspruchs wegen vierfacher leichtfertiger Geldwäsche zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt und die Einziehung des Wertes von Tatobjekten angeordnet. Hiergegen richtet sich die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision. Das Rechtsmittel erzielt mit der Sachrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
1. Der Strafausspruch begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. a) Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift hierzu ausgeführt:
„Das Landgericht hat bei der Bemessung der Einzelstrafen, die es für die Taten 9 und 16 verhängt hat (sieben beziehungsweise neun Monate Freiheitsstrafe) gegen das in § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO normierte Verbot der Schlechterstellung verstoßen. Obschon das frühere Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 4. September 2019 nur von der Angeklagten angefochten worden war, sind für die genannten Taten höhere Einzelstrafen als zuvor (jeweils sechs Monate Freiheitsstrafe) verhängt worden. Das Verbot, auf die Revision der Angeklagten das Urteil zu ihrem Nachteil zu verändern, schließt nicht nur eine Erhöhung der Gesamtstrafe aus, sondern steht zudem einer Erhöhung der Einzelstrafen entgegen (vgl. BGH, Urteil vom 3. März 1959 – 5 StR 4/59, BGHSt 13, 41, 42; Beschlüsse vom 4. Februar 1999 – 4 StR 13/99, juris Rn. 3 und vom 23. August 2000 – 2 StR 171/00, BGHR StPO § 357 Erstreckung 7). Das gilt selbst dann, wenn – wie hier – die nunmehr ausgeurteilte Gesamtstrafe niedriger ausgefallen ist (vgl. Schäfer/Sander/von Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 1551a); denn bei der Verhängung von Einzelstrafen handelt es sich um selbständige, der Rechtskraft fähige tatrichterliche Entscheidungen (vgl. BGH, Urteil vom 21. Mai 1951 – 3 StR 224/51, BGHSt 1, 252, 254).“ Dem folgt der Senat. Er kann nicht ausschließen, dass auch die in den Fällen 1 und 11 verhängten Einzelstrafen von der rechtsfehlerhaften Erhöhung beeinflusst sind.
b) Zudem hat das Landgericht dem neuen Urteil gemäß § 353 Abs. 2 StPO aufgehobene Feststellungen zu Grunde gelegt, indem es zum Werdegang und zur Person der Angeklagten die in dem aufgehobenen Urteil getroffenen Feststellungen als „bindend“ (UA S. 4) übernommen und lediglich ergänzende Feststellungen getroffen hat. Die Feststellungen zur Person gehören zur Straffrage, über die das zu neuer Verhandlung und Entscheidung berufene Tatgericht auf der Grundlage neuer, von ihm selbst getroffener Feststellungen umfassend neu befinden muss (vgl. BGH, Beschluss vom 20. November 2016 − 4 StR 542/16, NStZ 2017, 108).
2. Keinen Bestand hat ferner die Einziehungsentscheidung, weil das Landgericht nicht geprüft hat, ob der Einziehung der Forderung der auf dem Konto sichergestellten Forderung der in der Hauptverhandlung erklärte Verzicht entgegenstand.
a) Die Angeklagte ist nach § 111b Abs. 1 Satz 1, § 111c Abs. 2 Satz 1 und 2 StPO i.V.m. § 829 Abs. 1 Satz 1 und 2 ZPO nach wie vor Inhaberin des gegen die kontoführende Bank gerichteten Auszahlungsanspruchs (§ 675 Abs. 1, § 667 BGB) und wäre nach § 111d Abs. 1 Satz 1 StPO, § 136 i.V.m. § 135 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht gehindert, die gepfändete Forderung an die Staatskasse als Pfändungsgläubigerin zu übertragen (vgl. MüKo BGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 136 Rn. 5).
b) Bei dem Verzicht im Sinne einer „außergerichtlichen Einziehung“ handelt es sich um eine rechtsgeschäftliche, an den Justizfiskus gerichtete Willenserklärung, die auf Übertragung des Eigentums an einem sichergestellten Gegenstand gerichtet ist (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Dezember 2018 – 5 StR 198/18, BGHSt 63, 305 Rn. 15 ff.). Mit der Annahme des Angebots durch den Staat geht das Eigentum auf diesen über (§ 929 Satz 2 BGB). Bei einer Forderung stellt der „Verzicht“ bei verständiger Würdigung (§§ 133, 157 BGB) eine auf Abschluss eines Abtretungsvertrags im Sinne von § 398 BGB gerichtete Willenserklärung (§ 145 BGB) dar, die nach Maßgabe von § 147 Abs. 1 Satz 1 BGB der Annahme durch den Vertreter der Staatsanwaltschaft bedurft hätte. Es wäre allerdings denkbar, dass der Verzichtserklärung der Angeklagten kein rechtsgeschäftlicher Wert zukam und es sich um eine reine prozessuale Erklärung handelte, mit der die Angeklagte etwa unwiderruflich auf die Erhebung von Rechtsmitteln oder auf Einwendungen gegen eine etwaige Sicherstellungsmaßnahme verzichtete. Feststellungen zum Erklärungsinhalt der in den Urteilsgründen als „Verzicht auf Rückgabe“ bezeichneten Erklärung der Angeklagten und zu einer rechtsgeschäftlich relevanten Reaktion des Vertreters der Staatsanwaltschaft fehlen indessen und müssen nachgeholt werden. Denn im Falle einer wirksamen Abtretung wäre der staatliche Einziehungsanspruch erfüllt und die Einziehung insoweit ausgeschlossen (vgl. BGH, aaO Rn. 33).
3. Für den Fall, dass die Einziehung der Forderung nicht ausgeschlossen sein sollte, weist der Senat ergänzend auf das Folgende hin:
a) Bei der im Wege der Pfändung sichergestellten Forderung handelt es sich um das Tatobjekt der Geldwäsche im Sinne von § 74 Abs. 2 StGB. Mangels anderweitiger Feststellungen zu einer etwaigen Vermischung mit anderen Kontokorrentpositionen ist dieses noch in der ursprünglichen Form vorhanden, so dass für § 74c Abs. 1 StGB kein Raum bliebe.
b) Im Tenor wäre zum Ausdruck zu bringen, dass die Einziehung auf die bereits nach § 111c Abs. 2 StPO sichergestellte Forderung gegenständlich beschränkt ist, um zu verhindern, dass wegen des Einziehungsbetrags in das weitere Vermögen der Angeklagten vollstreckt wird.