StPO § 108: Durchsuchungsanordnung, Gefahr im Verzug, Beweisverwertungsverbot,

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Koblenz, Beschl. v. 04.03.2021 - 1 Ws 53/21

Leitsatz: 1.Die gerichtliche Anordnung der Freiheitsentziehung durch eine rechtskräftige Entscheidung umfasst alle Maßnahmen gegen den Verurteilten, die zur Verwirklichung des Strafausspruchs notwendig werden, mithin auch die Durchsuchung der Wohnung zwecks Ergreifung des - der Ladung zum Strafantritt nicht folgenden - Beschuldigten auf der Grundlage eines durch die Staatsanwaltschaft erlassenen Vollstreckungshaftbefehls; einer gesonderten richterlichen Durchsuchungsanordnung bedarf es insoweit nicht.
2. Die Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft für die Anordnung einer Wohnungsdurchsuchung liegt nicht vor, wenn sich vor Ort befindliche Polizeibeamte davon überzeugt hatten, dass sich niemand in der seitdem von ihnen überwachten Wohnung befand. und wenn die Durchsuchung an einem Werktag zu dienstüblichen Zeiten stattfinden soll, zu denen der Ermittlungsrichter oh-ne Weiteres in absehbarer Zeit zu erreichen war.
3. Zur (bejahten) Annahme eines Beweisverwertungsverbotes.



1 Ws 53/21

Oberlandesgericht Koblenz

Beschluss

In dem Strafverfahren
gegen pp.

Verteidiger Rechtsanwalt Thomas Scheffler, Waldhilbershei-
mer Straße 1, 55452 Windesheim

wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln
hier: weitere Haftbeschwerde

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht am 4. März 2021 beschlossen:

1. Auf die weitere Beschwerde des Beschuldigten wird der Beschluss des Land-gerichts Bad Kreuznach vom 7. Januar 2021 aufgehoben.
Der Beschuldigte ist unverzüglich aus der Untersuchungshaft zu entlassen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Beschuldigten trägt die Staatskasse.

Gründe:

Der Beschuldigte befand sich aufgrund des auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gestützten Haftbefehls des Amtsgerichts Bad Kreuznach vom 21. Oktober 2020 (Az. 41 Gs 1392/20, BI. 46 f. d.A.), hinsichtlich des Haftgrundes (nunmehr Wiederholungsgefahr) abgeändert mit Beschluss des Amtsgerichts Bad Kreuznach vom 22. Oktober 2020 (Az. 41 Gs 1410/20, Bl. 48, 55 d.A.), zu-nächst seit dem 22. Oktober 2020 in Untersuchungshaft (BI. 48, 83 d.A.), die in der Zeit vom 26. Oktober bis zum 25. November 2020 zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe unterbrochen wurde (BI. 222 d.A.).

In dem Haftbefehl wird ihm ein am 20. Oktober 2020 in seiner damaligen Wohnung begangenes bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln zur Last gelegt, wobei diesem Vorwurf das Ergebnis einer Wohnungsdurchsuchung am vorgenannten Tag zugrunde liegt. Beamte der Polizei-inspektion Bad Kreuznach hatten die Wohnung des Beschuldigten zunächst gegen 9.52 Uhr -nach vergeblichem Klopfen und Rufen - durch die unverschlossene Wohnungstür betreten, um den Beschuldigten aufgrund eines in dem Verfahren 3300 Js 11971/19 der Staatsanwaltschaft Mainz bestehenden Vollstreckungshaftbefehls festzunehmen, die Wohnung nach ihm durch-sucht, ihn jedoch nicht angetroffen und auf dem Couchtisch im Wohnzimmer eine weiße Substanz nebst typischen Betäubungsmittel-Utensilien sowie in einer Papiertüte auf dem Sofa eine Plastikbox mit transparentem Deckel, die eine grünliche Substanz beinhaltete, vorgefunden (BI. 86 f. d.A.). Der daraufhin gegen 10 Uhr von den Beamten zwecks (weiterer) Durchsuchung der Wohnung kontaktierte Bereitschaftsstaatsanwalt vertrat ausweislich seiner dienstlichen Stellungnahme (BI. 211 f. d.A.) die Auffassung, der Vollstreckungshaftbefehl stelle eine hinreichende Grundlage für eine Durchsuchung der Wohnung dar, zumal etwa durch das Auffinden von Unter-lagen eventuell auch Rückschlüsse auf den aktuellen Aufenthaltsort des Beschuldigten möglich seien. Rein vorsorglich - da er nicht ausschließen könne, dass die Rechtsfrage streitig sei - würde er dennoch - nachdem er Dezernenten der Betäubungsmittelabteilung nicht erreicht hatte -versuchen, die Ermittlungsrichterin zu kontaktieren, damit sie Bescheid wisse und „notfalls (deklaratorisch)" die Durchsuchung legitimiere. Er traf sodann die Ermittlungsrichterin sowie deren Vertreterin nicht in ihren Büros an, die Mitarbeiterin der Geschäftsstelle befand sich in einem Telefonat und die Mitarbeiterin einer weiteren Geschäftsstelle teilte ihm mit, dass sich die Ermittlungs-richterin grundsätzlich im Hause befinde, die Vertreterin nicht. Der Staatsanwalt schilderte nun-mehr einer weiteren Richterin kurz den Sachverhalt, die die Vermutung äußerte, der zweite Vertreter sei wohl der dienstjüngste Richter, ohne angeben zu können, wer dies sei. Daraufhin teilte der Staatsanwalt den Polizeibeamten gegen 10.30 Uhr mit, er habe die Ermittlungsrichterin und ihre Vertreterin nicht erreichen können, sehe die Voraussetzungen für eine weitere Durchsuchung als gegeben und "trage insoweit die Verantwortung" (BI. 87, 212 d.A.). Aufgrund dieser - von den Polizeibeamten als solche verstandenen - Durchsuchungsanordnung erfolgte die Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten, im Rahmen derer insbesondere größere Mengen an Betäubungsmitteln, ein Baseballschläger, Feinwaagen, Verpackungsmaterial und ein Handy aufgefunden und sichergestellt wurden. Der Verwertung dieser Beweismittel widersprach der Beschuldigte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 30. November 2020 (BI. 186 f. d.A.).

Im Termin zur mündlichen Haftprüfung am 1. Dezember 2020 hob das Amtsgericht Bad Kreuz-nach den Haftbefehl auf (Az. 41 Gs 1569/20, BI. 201, 203 f. d.A.). da die bei der Durchsuchung aufgefundenen Beweismittel einem Beweisverwertungsverbot unterlägen. Der Beschuldigte wurde am selben Tag aus der Untersuchungshaft entlassen (BI. 221 d.A.). Auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft (BI. 214 ff. d.A.) hob das Landgericht Bad Kreuznach den letztgenannten Be-schluss des Amtsgerichts mit Beschluss vom 7. Januar 2021 auf (BI. 236 ff. d.A.), woraufhin der Beschuldigte am 14. Januar 2021 erneut festgenommen wurde und sich seitdem in Untersuchungshaft befindet (BI. 265, 269 ff. d.A.). Gegen den Beschluss des Landgerichts legte der Be-schuldigte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 20. Januar 2021, eingegangen am selben Tage (BI. 286 ff. d.A.) weitere Beschwerde ein, der das Landgericht mit Beschluss vom 25. Januar 2021 nicht abhalf (BI. 293 d.A.). Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt mit Votum vom 2. Februar 2021 (BI. 309 ff. d.A.), die weitere Beschwerde als unbegründet zu verwerfen. Der Beschuldigte nahm hierzu mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 12. Februar 2021 (BI. 326 ff. d.A.), dem Senat übermittelt am 25. Februar 2021 (BI. 324 d.A.) Stellung.

Die weitere Haftbeschwerde ist gemäß § 310 Abs. 1 Nr. 1 StPO statthaft und hat auch in der Sache Erfolg. Die im Rahmen der Wohnungsdurchsuchung bei dem Beschuldigten sichergestellten Beweismittel unterliegen - mit Ausnahme derer, die bereits bei der ersten Durchsuchung der Wohnung zwecks Ergreifung des Beschuldigten festgestellt wurden - einem Beweisverwertungs-verbot, so dass kein dringender Tatverdacht hinsichtlich des dem Beschuldigten zur Last gelegten bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln besteht. Bezüglich des verbleibenden Tat-verdachts des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln erweist sich eine Fortdauer der Untersuchungshaft als unverhältnismäßig.

1. Das Betreten der Wohnung durch die Polizeibeamten nach vergeblichem Klopfen und Rufen sowie deren anschließende Durchsuchung zur Ergreifung des Beschuldigten erfolgten rechtmäßig.

Zwar stellt der durch die Staatsanwaltschaft gemäß § 457 Abs. 2 StPO erlassene Vollstreckungs-haftbefehl für sich genommen keine hinreichende Ermächtigung hierfür dar. Jedoch umfasst die gerichtliche Anordnung der Freiheitsentziehung durch eine rechtskräftige Entscheidung alle Maß-nahmen gegen den Verurteilten, die zur Verwirklichung des Strafausspruchs notwendig werden, mithin auch die Durchsuchung der Wohnung zwecks Ergreifung des - der Ladung zum Strafantritt nicht folgenden - Beschuldigten auf der Grundlage eines durch die Staatsanwaltschaft erlassenen Vollstreckungshaftbefehls; einer gesonderten richterlichen Durchsuchungsanordnung bedarf es insoweit nicht (vgl. OLG Düsseldorf, 2 Ws 289/81 v. 27.07.1981 - NJW 1981, 2133; OLG Frankfurt, 3 Ws 62/63 v. 26.11.1963 - NJW 1964, 785; KK-StPO/Bruns, 8. Auflage 2019, § 105 Rn. 6; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Auflage 2020, § 457 Rn. 11; a.A. KK-StPO/Appl, 8. Auflage 2019, § 457 Rn. 11; Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Auflage 2010, § 457 Rn. 22 ff.). Dem steht entgegen der Auffassung des Verteidigers insbesondere auch nicht der Wortlaut des zwischen-zeitlich eingefügten § 457 Abs. 3 S. 3 StPO entgegen (so allerdings KK-StPO/Appl, a.a.O.), wo-nach die notwendig werdenden gerichtlichen Entscheidungen das Gericht des ersten Rechtszuges trifft. Denn hierbei handelt es sich lediglich um eine Regelung der Zuständigkeit, die in dieser Weise bereits vor der Gesetzesänderung angenommen wurde (vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O.; OLG Frankfurt, a.a.O.).

Die im Rahmen dieser ersten Durchsuchung aufgefundenen Beweismittel sind damit als Zufalls-funde gemäß § 108 Abs. 1 StPO verwertbar. Der Verweis des Verteidigers auf § 108 Abs. 1 S. 3 StPO verfängt nicht, da sich diese Vorschrift nur auf eine Durchsuchung der Wohnung eines Dritten zum Zwecke der Ergreifung des Beschuldigten gemäß § 103 Abs. 1 S. 2 StPO bezieht. Verwertbar sind damit jedenfalls die in der auf dem Sofa befindlichen Papiertüte (BI. 31 d.A., bei dem Fundort „Safe" - BI. 33 d.A. - handelt es sich offenbar um einen Übertragungsfehler) aufgefundenen - verkaufsfertig abgepackten - 8,7 g Marihuana (vgl. BI. 33, 35, 86 f., 89 f. d.A.). Inwieweit den Polizeibeamten - entsprechend der Auffassung der Staatsanwaltschaft (BI. 215 d.A.) und des Landgerichts (BI. 241 d.A.) - bereits bei der ersten Durchsuchung möglicherweise noch weitere der im Wohnzimmer aufgefundenen Beweismittel auffielen, ist angesichts der Formulierung „unter anderem" in dem polizeilichen Vermerk (BI. 86 f. d.A.) unklar und bedarf der Abklärung.

2. Die sodann nach Rücksprache mit dem Staatsanwalt durchgeführte (weitere) Durchsuchung der Wohnung war demgegenüber wegen Missachtung des Richtervorbehaltes rechtswidrig, weil eine gemäß Art. 13 Abs. 2 GG, § 105 Abs. 1 S. 1 StPO grundsätzlich erforderliche richterliche Durchsuchungsanordnung nicht vorlag und eine Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft nicht bestand.

Die dem vorliegenden Vollstreckungshaftbefehl vorausgehende gerichtliche Entscheidung stellte unter keinem denkbaren Gesichtspunkt eine Grundlage für die erfolgte Durchsuchung zum Zwecke des Auffindens von Beweismitteln hinsichtlich des neuen Tatverdachts dar.

Nach Art. 13 Abs. 2 Hs. 2 GG i.V.m. § 105 Abs. 1 S. 1 StPO dürfen Durchsuchungen zwar ausnahmsweise auch durch die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen (§ 152 GVG) an-geordnet werden, wenn Gefahr im Verzug besteht. Gefahr im Verzug ist anzunehmen, wenn die richterliche Anordnung nicht mehr eingeholt werden kann, ohne dass der Zweck der Maßnahme -regelmäßig die Sicherung von Beweismitteln - gefährdet würde (vgl. BGH, 4 StR 15/20 v. 04.06.2020 - NStZ 2020, 621; 2 StR 46/15 v. 06.10.2016 - BGHSt 61, 266; 3 StR 210/11 v. 30.08.2011 - NStZ 2012, 104; 5 StR 546/06 v. 18.04.2007 - BGHSt 51, 285). Diese Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft - auf die sich der Staatsanwalt infolge seiner fehlerhaften Rechtsauffassung auch gar nicht ausdrücklich beruft - lag jedoch ersichtlich nicht vor. Angesichts der vor Ort befindlichen Polizeibeamten, die sich davon überzeugt hatten, dass sich niemand in der seitdem von ihnen überwachten Wohnung befand, drohte bereits keinerlei Beweismittelverlust. Hinzu kommt, dass ein Ermittlungsrichter an einem Werktag zu dienstüblichen Zeiten ohne Weiteres in absehbarer Zeit zu erreichen war. Nach den seitens des Staatsanwalts eingeholten Informationen befand sich sogar die originär zuständige Ermittlungsrichterin im Haus, die sich zu dem Zeitpunkt lediglich nicht in ihrem Büro aufhielt.

3. Die Rechtswidrigkeit der auf Anordnung der Staatsanwaltschaft erfolgten (weiteren) Wohnungs-durchsuchung hat vorliegend auch ein Verwertungsverbot hinsichtlich der dabei aufgefundenen Beweismittel zur Folge.

Zwar führt die Rechtswidrigkeit einer Beweiserhebung nicht ohne weiteres zu einem Beweisverwertungsverbot (vgl. BVerfG, 2 BvR 2072/10 v. 20.05.2011 - NJW 2011, 2783; BGH, 3 StR 390/17 v. 03.05.2018 - NStZ 2019, 227; 5 StR 546/06 v. 18.04.2007 - BGHSt 51, 285; KK-StPO/Bruns, a.a.O., § 105 Rn. 21). Die Annahme eines Beweisverwertungsverbotes ist aber zumindest bei schwerwiegenden. bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen, bei denen die grundrechtlichen Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen worden sind (vgl. BVerfG, 2 BvR 2072/10 v. 20.05.2011 - NJW 2011, 2783; BGH, 3 StR 390/17 v. 03.05.2018 - NStZ 2019, 227; 2 StR 46/15 v. 06.10.2016 - BGHSt 61, 266; 2 StR 394/15 v. 21.04.2016 - StV 2016, 539; 3 StR 21.0/11 v. 30.08.2011 - NStZ 2012, 104; OLG Zweibrücken, 1 OLG 2 Ss 3/18 v. 18.06.2018 - NStZ 2019, 301; Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, StPO, 63. Auflage 2020, § 105 Rn. 19) bzw. einer bewussten Missachtung des Richtervorbehalts oder der Verkennung seiner Voraussetzungen in gleichwertig grober Weise (vgl. BGH, 4 StR 15/20 v. 04.06.2020 - NStZ 2020, 621; 5 StR 566/18 v. 27.11.2018 - NStZ-RR 2019, 94; 5 StR 546/06 v. 18.04.2007 - BGHSt 51, 285; KK-StPO/Bruns, a.a.O., § 105 Rn. 22) geboten.

Von einem willkürlichen oder bewussten Verstoß ist vorliegend in der Gesamtschau nicht auszugehen, ein schwerwiegender Fehler liegt jedoch aufgrund der oben geschilderten Umstände vor. Der Senat verkennt hierbei nicht, dass dem Beschuldigten mit dem Vorwurf des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln ein schweres Verbrechen zur Last liegt (vgl. zur Berücksichtigung dieses Umstandes BGH, 2 StR 25/15 v. 17.02.2016 - NStZ 2016, 551; OLG Köln, 81 Ss 65/09 v. 27.10.2009 - StV 2010, 14) und es sich angesichts der Fortsetzung einer zunächst -auf der Grundlage der dem Vollstreckungshaftbefehl vorausgegangenen gerichtlichen Entscheidung - zulässigen Durchsuchung um einen Verstoß minderen Gewichts handelt (vgl. für eine zu-nächst gefahrenabwehrrechtlich zulässige Wohnungsdurchsuchung BGH, 3 StR 390/17 v. 03.05.2018 - NStZ 2019, 227; 5 StR 566/18 v. 27.11.2018 - NStZ-RR 2019, 94, wobei aber - an-ders als hier - die meisten Beweismittel schon gesichtet wurden). Der Verfahrensverstoß wiegt jedoch so schwer - das Landgericht geht insofern in im Ausgangspunkt ähnlicher Einschätzung von einem „gerade noch als leichtfertig einzustufenden Verstoß" aus -, dass trotz dieser Umstände ein Beweisverwertungsverbot anzunehmen ist.

Die sich aus der dienstlichen Stellungnahme des Staatsanwalts ergebende Rechtsauffassung, der Vollstreckungshaftbefehl stelle eine Grundlage für die weitere Wohnungsdurchsuchung dar, entbehrt jeglicher Grundlage. Selbst wenn die Annahme noch vertretbar erscheinen könnte, die dem Haftbefehl vorangegangene Gerichtsentscheidung berechtige auch zu einer Durchsuchung zwecks Auffindens von Anhaltspunkten für den aktuellen Aufenthalt des Festzunehmenden, ist es jedenfalls fernliegend und objektiv unvertretbar, von einer Berechtigung zum Suchen nach Beweismitteln hinsichtlich eines neuen Tatverdachts - hier eines Verstoßes gegen das BtMG - aus-zugehen. Dies war aber sowohl ausweislich der polizeilichen Vermerke als auch der dienstlichen Stellungnahme des Staatsanwaltes zweifellos das einzige angestrebte Ziel der Maßnahme. Angesichts dieses ins Auge springenden Umstandes musste es dem Staatsanwalt bewusst sein, dass eine richterliche Anordnung erforderlich war, so dass sein Rechtsirrtum nicht geeignet ist, sein unzureichendes Bemühen um einen richterlichen Beschluss zu rechtfertigen. Insoweit hatte der Staatsanwalt offenbar auch selbst zumindest gewisse Zweifel, da sich ansonsten das Aufsuchen eines Ermittlungsrichters zwecks Erlangung einer „deklaratorischen" Anordnung erübrigt hätte.

In Anbetracht der offensichtlich fehlenden Dringlichkeit der Durchsuchung ist es auch für den Senat nicht nachvollziehbar, dass der Staatsanwalt neben den vorgenommenen, oben geschilderten Erkundigungen nicht weitere naheliegende Maßnahmen ergriffen hat, um einen Ermittlungsrichter zu erreichen. Abgesehen davon, dass er ohne Weiteres auf die Rückkehr der zuständigen Ermittlungsrichterin hätte warten bzw. eine Rückrufbitte bei der Geschäftsstelle hinterlassen können, war die Richterin auch jederzeit - mittels Rufumleitung auf ihr Mobiltelefon - telefonisch erreichbar (BI. 203 d.A.), was der Staatsanwaltschaft zudem per Rundmail bekannt gegeben worden war (BI. 212 d.A.). Dennoch hat der Staatsanwalt nicht einmal einen Anrufversuch unternommen. Es ist darüber hinaus auch nicht ersichtlich, dass am Vormittag eines Werktages kein sonstiger vertretungsberechtigter und -bereiter Richter erreichbar gewesen sein könnte, die Zuständigkeiten hätten sich problemlos durch eine Einsichtnahme in den Geschäftsverteilungsplan oder weiteres Nachfragen ergeben. Die seitens des Staatsanwaltes sodann getroffene Durchsuchungsanordnung - nur als solche ist auch die ausweislich seiner dienstlichen Stellungnahme erfolgte Mitteilung der „Verantwortungsübernahme" zu verstehen - entbehrte daher jeder nachvollziehbaren Grundlage.

Bei einer derart schwerwiegenden Verkennung des Richtervorbehalts kommt dem Aspekt eines möglichen hypothetisch rechtmäßigen Ermittlungsverlaufs, d.h. dem Umstand, dass bei richtiger Verfahrensweise ein Durchsuchungsbeschluss mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erlangen gewesen wäre, keine Bedeutung mehr zu (vgl. BGH, 4 StR 15/20 v. 04.06.2020 - NStZ 2020, 621; 2 StR 46/15 v. 06.10.2016 - BGHSt 61, 266; 2 StR 394/15 v. 21.04.2016 - StV 2016, 539; 3 StR 210/11 v. 30.08.2011 - NStZ 2012, 104; 5 StR 546/06 v. 18.04.2007 - BGHSt 51, 285; KK-StPO/Bruns, a.a.O., § 105 Rn. 22; Meyer-Goßner/ Schmitt/Köhler, a.a.O., § 105 Rn. 19).

4. Gegen den Beschuldigten besteht damit hinsichtlich des dem Haftbefehl zugrunde liegenden Tat-geschehens derzeit lediglich der dringende Verdacht des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln hinsichtlich der - verkaufsfertig abgepackten - 8,7 g Marihuana. Unabhängig davon, ob seine An-gaben im Rahmen der Vorführung am 22. Oktober 2020 (BI. 48 ff. d.A.), wonach er insbesondere Betäubungsmittel von seinem vorgeblichen Mitbewohner gekauft, für diesen Geld bei Kunden ein-gesammelt sowie eine Schuldenliste geschrieben habe, auch verwertbar sind, soweit ihm die einem Beweisverwertungsverbot unterliegenden Beweismittel vorgehalten wurden (vgl. hierzu BGH, 3 StR 390/17 v. 03.05.2018 - NStZ 2019, 227 m.w.N.), ergibt sich auch hieraus kein konkreter darüber hinausgehender Verdacht. Insoweit erweist sich eine Fortdauer der Untersuchungshaft angesichts der hierfür zu erwartenden Strafe jedoch als unverhältnismäßig.

Dies gilt ebenso für den Verdacht des Handeltreibens mit bzw. Besitzes von Betäubungsmitteln am ersten Festnahmetag hinsichtlich der bei ihm (offenbar neben einer Schuldenliste, BI. 80 d.A.) aufgefundenen 0,35 g Amphetamin (BI. 79, 80, 82, 102 d.A.) sowie am Tag der zweiten Festnahme hinsichtlich der von ihm ausgehändigten zwei Ecstasy-Pillen und einer geringen Menge Amphetamin (BI. 265 d.A.). wobei diese Taten ohnehin nicht Gegenstand des Haftbefehls sind.

5.Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 467 Abs. 1, 473, Abs. 3 StPO.