§ 22 Nr 5 StPO, § 275 Abs 2 S 2 StPO, § 338 Nr 7 StPO: Mitwirkung eines abgelehnten Richters, Absetzungsfrist für das Urteil

BGH, Beschluss vom 13. Oktober 2021 – 2 StR 418/19 –, juris

Fundstellen

StraFo 2022, 290-291 (red. Leitsatz und Gründe)

Verfahrensgang

vorgehend BGH 2. Strafsenat, 13. Oktober 2021, 2 StR 418/19, Urteil

vorgehend LG Köln 10. Große Strafkammer, 12. Oktober 2018, 110 KLs 9/17, Urteil

nachgehend BGH 2. Strafsenat, 13. Oktober 2021, 2 StR 418/19, Urteil

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 12. Oktober 2018, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Köln zurückverwiesen.

Gründe

1 Das Landgericht hat den Angeklagten wegen tateinheitlich begangener zweifacher fahrlässiger

Tötung zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat.

2 Die hiergegen gerichtete, auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat bereits mit der Verfahrensrüge – die Richter der Strafkammer hätten zu einem Zeitpunkt an der schriftlichen Abfassung der Urteilsgründe mitgewirkt, zu dem sie von der Ausübung des Richteramts gemäß § 22 Nr. 5 StPO ausgeschlossen gewesen seien – Erfolg. Auf die Sachrüge kommt es damit nicht an.

I.

Folgendes Verfahrensgeschehen liegt der Rüge der Verletzung formellen Rechts zu

Grunde:

Das angefochtene Urteil wurde am 12. Oktober 2018 nach 48 Verhandlungstagen verkündet. Am 22. Oktober 2018 bzw. 29. November 2018 wurden der Vorsitzende sowie die Beisitzer der Strafkammer in einem vor einer anderen Strafkammer des Landgerichts rechtshängigen Verfahren als Zeugen vernommen. Ebenso wie im vorliegenden Verfahren war dort Gegenstand die Klärung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit für den Tod von zwei Geschädigten im Zusammenhang mit dem Einsturz des Historischen Archivs der Stadt Köln sowie zweier Wohngebäude am 3. März 2009. Als Zeugen haben die Richter Angaben zu dem Einlassungsverhalten der hiesigen Angeklagten gemacht. Das Urteil im vorliegenden Verfahren ist am 25. Januar 2019 abgefasst und mit den Unterschriften der drei Richter versehen zu den Akten gebracht worden.

II.

Die Rüge, die Richter der Strafkammer seien gemäß § 22 Nr. 5 StPO von der Mitwirkung an der Unterzeichnung des Urteils ausgeschlossen gewesen (§ 338 Nr. 7 StPO), dringt durch. Die Richter waren aus Rechtsgründen gehindert, das Urteil zu unterschreiben.

1. Die Verfahrensrüge ist zulässig erhoben. Dem steht nicht entgegen, dass der Revisionsführer das prozessuale Geschehen unter einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt – hier § 338 Nr. 2 StPO – gewürdigt hat (vgl. Senat, Beschluss vom 11. November 2020 – 2 StR 241/20, StraFo 2021, 152).

2. Der vom Beschwerdeführer geltend gemachte Rechtsverstoß begründet den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 7 StPO.

a) Nach dieser Vorschrift ist ein Urteil unter anderem dann aufzuheben, wenn es nicht innerhalb der Absetzungsfrist des § 275 Abs. 1 Satz 2 und Satz 4 StPO vollständig – und damit einschließlich der Unterschriften sämtlicher an der Entscheidung beteiligten Richter (§ 275 Abs. 2 Satz 1 StPO) – zu den Akten gebracht ist (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Oktober 1989 ‒ 3 StR 155/89, BGHR StPO § 275 Abs. 1 Satz 1 Akten 1).

Ein Richter, der aus tatsächlichen Gründen seine Unterschrift nicht mehr leisten kann oder aus Rechtsgründen nicht mehr leisten darf, ist dabei grundsätzlich an der Unterschrift gehindert (vgl. Senat, aaO, StraFo 2021, 152, 153; LR-StPO/Stuckenberg, 26. Aufl., § 275 Rn. 45).

Eine solche Verhinderung aus Rechtsgründen liegt insbesondere auch dann vor, wenn der Richter nach § 22 StPO von der Ausübung des Richteramts ausgeschlossen ist. Einem ausgeschlossenen Richter ist jede weitere richterliche Tätigkeit in der betroffenen Sache verwehrt (vgl. LR-StPO/Siolek, 27. Aufl., § 22 Rn. 52); der Ausschluss nach § 22 StPO wird kraft Gesetzes in dem Zeitpunkt wirksam, in dem der Ausschlussgrund entsteht und wirkt für die Zukunft (KK-StPO/Scheuten, 8. Aufl., § 22 Rn. 20; LR-StPO/Siolek, aaO). Eine weitere Tätigkeit des ausgeschlossenen Richters birgt – auch noch nach der Urteilsverkündung – die Gefahr eines Eingriffs in die Rechtspflege, die Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt; er kann durch seine Autorität die Gestaltung der Urteilsgründe bis zu deren vollständiger Absetzung maßgeblich beeinflussen (vgl. Senat, aaO). Nach Eintritt des Ausschlussgrundes ist dem Richter eine – rechtskonforme – Herstellung der Urteilsgründe ebenso wenig möglich wie die Teilnahme an einer Fassungsberatung oder die Urteilsunterzeichnung (vgl. Senat, aaO). Gleichwohl getätigte Amtshandlungen sind fehlerhaft; dies wird regelmäßig zu bedenken sein, wenn die Gerichtsverwaltung um eine Aussagegenehmigung für einen noch mit der Absetzung der Urteilsgründe in derselben Sache befassten Richter ersucht wird (vgl. Senat, aaO).

b) Hieran gemessen ist das Urteil nicht vollständig innerhalb der mit dem 25. Januar 2019 abgelaufenen Urteilsabsetzungsfrist zu den Akten gelangt, da der Vorsitzende sowie die Beisitzer der Strafkammer nach ihren Zeugenvernehmungen vom 22. Oktober 2018 und 29. November 2018 in dieser Sache von der weiteren Ausübung des Richteramts gemäß § 22 Nr. 5 StPO ausgeschlossen und aus rechtlichen Gründen an der Leistung der Unterschrift gehindert waren. Angesichts ihrer Aussagen im Parallelprozess zur Einlassung der Angeklagten in hiesigem Verfahren sind sie zu demselben Tatgeschehen im Sinne der Vorschrift förmlich als Zeugen vernommen worden (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 22. Mai 2007 – 5 StR 530/06, NStZ 2007, 711). Ihre Bekundungen erfassten auch Fragen, die im Hinblick auf die Schuld- und Straffrage in den im hiesigen Verfahren abzusetzenden Urteilsgründen in tatsächlicher sowie rechtlicher Hinsicht zu bewerten waren.

3. Da sämtliche Richter der Strafkammer im Parallelverfahren als Zeugen vernommen worden und damit kraft Gesetzes von der Ausübung des Richteramts ausgeschlossen waren, bestand im Übrigen auch keine Möglichkeit, einen Verhinderungsvermerk nach § 275 Abs. 2 Satz 2 StPO anzubringen, da hierzu nur diejenigen Richter berufen sind, die an der Hauptverhandlung teilgenommen haben (vgl. Senat, Beschluss vom 12. Mai 1993 – 2 StR 191/93, BGHR StPO § 275 Abs. 2 Satz 1 Unterschrift 4).

4. Der aufgezeigte Rechtsfehler entzieht dem Urteil die Grundlage; es war daher mit den Feststellungen aufzuheben. Die Sache bedarf insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.

III.

Ergänzend bemerkt der Senat:

Das neue Tatgericht wird Gelegenheit haben, sich – deutlicher als bisher geschehen – mit der Garantenstellung und den sich daraus ergebenden Pflichten des auf Seiten der Bauherrin – hier die K. V. AG (im Folgenden: K. ) – als sog. „örtlicher Bauüberwacher“ eingesetzten Angeklagten zu befassen.

Im Ausgangspunkt zutreffend ist die Strafkammer davon ausgegangen, dass grundsätzlich der Bauherr als Veranlasser des Bauvorhabens für die von diesem ausgehenden Gefahren einzustehen hat, die hieraus folgende Verantwortlichkeit – nämlich die nach Lage der Verhältnisse erforderlichen Vorkehrungen zum Schutze anderer Personen zu treffen (vgl. BGH, Urteil vom 13. November 2008 – 4 StR 252/08, BGHSt 53, 38, 41 f.) – jedoch auf einen Bauunternehmer übertragen kann (vgl. zu den den Bauherrn im Falle der Übertragung noch treffenden Pflichten: BGH, Urteil vom 21. April 1964 – 1 StR 72/64, BGHSt 19, 286, 288 f.).

Im Zusammenhang mit der danach für die Bestimmung der den Angeklagten treffenden Pflichten bedeutsamen Frage, ob die K. die Bauleitung vollständig auf die Bauunternehmen der Arbeitsgemeinschaft (ARGE) übertragen hat oder zumindest teilweise in der Verantwortung für die Baustelle geblieben ist, ist nicht nur der Inhalt der zwischen den Beteiligten geschlossenen Verträge, sondern sind auch die tatsächlichen Umstände auf der Baustelle maßgeblich (vgl. schon RG, Urteil vom 2. Februar 1923 – IV 659/22, RGSt 57, 205, 206; Fischer, StGB, 68. Aufl., § 13 Rn. 36 mwN).

Nach den bisherigen Feststellungen ist es zumindest nicht ausgeschlossen, dass der Angeklagte – entsprechend der Wertung des Landgerichts – durch die von ihm wahrgenommenen Tätigkeiten auf der Baustelle eine Verantwortlichkeit für sämtliche von ihr ausgehenden Gefahren innehatte und insoweit für diese auch strafrechtlich einstandspflichtig war. Ob dies tatsächlich der Fall war, der Angeklagte mit seinem Handeln also eine strafrechtliche Verantwortung auch gegenüber Dritten übernehmen wollte oder ob er sich nur auf eine bloße Überprüfung der Einhaltung der vertraglichen Pflichten der betreffenden Bauunternehmen beschränkte, bedarf jedoch – umfassender als bisher geschehen – einer Würdigung der gesamten rechtlichen und tatsächlichen Umstände der Verhältnisse auf der Baustelle. Hierbei werden vor allem auch das Vertragsverhältnis des Angeklagten zur K. sowie eine etwaige dadurch begründete besondere Vertrauensstellung (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 8. November 2000 – 5 StR 433/00, BGHSt 46, 196, 203) näher in den Blick zu nehmen sein. Unter diesem Gesichtspunkt bedarf zudem die Beziehung zwischen K. und ARGE eingehender Bewertung.

Sollte auch das neue Tatgericht seiner Wertung den Inhalt des Vertrags zwischen der K. und der ARGE insoweit zu Grunde legen, wie darin der K. gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 3 VOB/B ein Anordnungsrecht gegenüber der ARGE zugestanden wird, wird es zu berücksichtigen haben, dass diese Vorschrift grundsätzlich weniger die Verteilung von Verantwortung für die von der Baustelle ausgehenden Gefahren zum Inhalt hat, als vielmehr ermöglicht, den Auftragnehmer zur Wahrung der vertraglichen Bauleistung anzuhalten (vgl. hierzu Ganten/Jansen/Voit/Junghenn, VOB-Kommentar, 3. Aufl., VOB/B, § 4 Rn. 184 mwN).