StPO § 24 Abs. 2 Fall Schreiber II
StPO § 24 Abs. 2 Fall Schreiber II
BGH, Beschl. v. 28.07.2015 – 1 StR 602/14 – NStZ 2016, 164
Die Aufforderung des Vorsitzenden gegenüber dem Angeklagten Körperausscheidungen (hier Erbochenes) aufzubewahren, um diese von einem Arzt untersuchen zu lassen, um feststellen zu können, ob die vom Angeklagten behauptete Erkrankung tatsächlich vorliegt, begründet keine Besorgnis der Befangenheit i.S.d. § 24 Abs. 2 StPO.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 28. Juli 2015 gemäß § 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 14. November 2013 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Das Landgericht hatte den Angeklagten am 5. Mai 2010 wegen Steuerhinterziehung in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Soweit ihm in der Anklage darüber hinaus Vergehen der Bestechung und Beihilfe zur Untreue zur Last gelegt worden waren, hatte das Landgericht das Verfahren im Hinblick auf den Vorwurf der Bestechung wegen Eintritts der Verfolgungsverjährung und hinsichtlich der Beihilfe zur Untreue eingestellt, weil insoweit eine Auslieferung durch Kanada nicht bewilligt worden war. Das Landgericht hatte weiter angeordnet, dass von der in Kanada erlittenen Auslieferungshaft neun Tage auf die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe angerechnet werden. Dieses Urteil hob der Senat auf die Revision des Angeklagten - soweit er verurteilt worden war - mit den Feststellungen zur Ansässigkeit des Angeklagten, zu den von ihm erzielten Gewinnen sowie zur Höhe des zu versteuernden Einkommens und der verkürzten Steuern auf. Die weitergehende Revision des Angeklagten wurde verworfen. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft hob der Senat das Urteil mit den Feststellungen auf, soweit das Verfahren hinsichtlich des Vorwurfs der Bestechung eingestellt worden war. Ausgenommen waren hiervon die Feststellungen, soweit sie die Einrichtung der Rubrikkonten „Holgart“ und die diesbezüglichen Kontobewegungen zum Gegenstand hatten. Im Umfang der Aufhebung verwies der Senat die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurück (BGH, Urteil vom 6. September 2011 - 1 StR 633/10, wistra 2012, 29). Nunmehr hat das Landgericht den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hinsichtlich des Vorwurfs der Bestechung hat es das Verfahren wegen Eintritts der Verfolgungsverjährung eingestellt. Zudem hat es ausgesprochen, dass die im Ausland erlittene Freiheitsentziehung von 166 Tagen im Maßstab 1:1 auf die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe angerechnet wird. Der Angeklagte wendet sich mit seiner auf mehrere Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützten Revision gegen seine Verurteilung wegen Steuerhinterziehung. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO).
I.-II. [...]
III. Die vom Angeklagten erhobenen Verfahrensrügen haben keinen Erfolg.
1. Die Revision rügt die Verletzung der § 24 Abs. 2, § 338 Nr. 3 StPO. Sie macht geltend, dass ein Befangenheitsantrag gegen die Vorsitzende zu Unrecht abgelehnt worden sei. Der Antrag war gestützt auf eine Maßnahme der Vorsitzenden zur Objektivierung der Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten, die nach Ansicht der Revision grob unverhältnismäßig und menschenrechtswidrig gewesen sei und die Befangenheit der Vorsitzenden gegenüber dem Angeklagten belege.
a) Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
Gegen den Angeklagten, der sich von 1999 bis 2009 dem Verfahren durch Flucht entzogen hatte, fand ab dem 17. September 2012 die Hauptverhandlung statt. Wegen eines am 5. März 2012 erlittenen Herzinfarktes des Angeklagten war er nur maximal zweimal zwei Stunden täglich verhandlungsfähig. Nach dem 32. Verhandlungstag erkrankte der Angeklagte am Samstag, dem 20. Juli 2013. Zu diesem Zeitpunkt waren noch fünf Verhandlungstage terminiert, nämlich der 22., 24. und 30. Juli sowie der 2. und 9. August 2013. Die Terminierung gestaltete sich - auch wegen des nachdrücklichen Wunsches der Verteidigung, dass alle drei Verteidiger jeden Termin wahrnehmen können - schwierig. Am Morgen des 22. Juli 2013 legte der Angeklagte ein Attest seines Hausarztes vor, nach dem er
an einer Gastroenteritis reiseunfähig erkrankt sei und die voraussichtliche Krankheitsdauer fünf bis acht Tage betrage. Die Vorsitzende beauftragte daraufhin den Sachverständigen S., der während der Hauptverhandlung anwesend war und den Gesundheitszustand des Angeklagten überwachte, mit der Begutachtung des Angeklagten auf seine Verhandlungsfähigkeit. Nach Rückmeldung des Sachverständigen hob sie den Termin am 22. Juli 2013 auf. Nach Angaben des Sachverständigen bestanden keine Bedenken, den Termin vom 24. Juli 2015 aufrechtzuerhalten. Am Morgen des 24. Juli 2013 teilte der Sachverständige der Vorsitzenden mit, der Angeklagte habe ihm gegenüber telefonisch angegeben, dass die Erkrankung fortdauere. Die vom Angeklagten geschilderten andauernden Symptome - Erbrechen, Schwindel - seien relativ schwer objektiv mittels differenzierter Diagnostik überprüfbar, aber typisch für die Erkrankung. Üblicherweise sei innerhalb von 36 bis 48 Stunden mit einer Besserung zu rechnen. Es seien aber auch bestimmte Viren als Infektionsquellen möglich, die solche Symptome auslösten, bei denen die Krankheit länger andauere. Der Nachweis der Krankheitsursache sei oft schwierig, er gelinge teilweise, indem
Erbrochenes und Blut untersucht würden, um eine endgültige Diagnose stellen zu können. Dies werde dann durchgeführt, wenn sich das Krankheitsbild über einen längeren Zeitraum erstrecke und mit üblichen Medikamenten nicht bessern lasse. Daraufhin verfügte die Vorsitzende die Aufhebung des Termins vom 24. Juli 2013. Sie teilte dies dem Sachverständigen im Rahmen eines weiteren Telefonats mit und beauftragte ihn, den Angeklagten an diesem Tag, „gegebenenfalls gegen Abend abermals körperlich zu untersuchen, um die Beschwerden zu objektivieren und eine Einschätzung wegen der Herzthematik zu erlangen.“ Des Weiteren bat sie den Sachverständigen, dem Angeklagten mitzuteilen, er möge für den Fall, dass er sich abermals erbrechen sollte, das Erbrochene aufbewahren. Dies gab der Sachverständige an den Angeklagten weiter, der dem nachkam. Die aufbewahrte Körperausscheidung wurde vom Sachverständigen bei der körperlichen Untersuchung am Abend einem Befund unter zogen, was zum Ausschluss einer akuten Magen-/Speisenröhrenblutung und dem Verdacht auf eine Schleimhautentzündung führte. Laboruntersuchungen veranlasste der Sachverständige ohne Rücksprache mit der Vorsitzenden jedoch nicht.
Mit Schreiben vom 25. Juli 2013 lehnte der Angeklagte die Vorsitzende wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. Er machte geltend, die „Anordnung“, Erbrochenes aufzubewahren, belege ein Misstrauen gegen den Angeklagten, der dadurch objektiv unwürdig, wie ein Objekt behandelt worden sei. Die Umsetzung der Anordnung sei nur unter Überwindung seines Ekelgefühls möglich gewesen, zudem habe ihn seine Frau dabei unterstützen müssen, was zusätzlich entwürdigend sei. Es trete hinzu, dass die Richterin neben seinem Hausarzt auch dem Sachverständigen, die beide schon die Verhandlungsunfähigkeit festgestellt hätten, nicht vertraut habe. Der Angeklagte habe zu besorgen, dass die Vorsitzende „dafür eintritt, dass er weiter krank bleibt und sich deswegen übergeben muss, um Erbrochenes zu produzieren oder aber sie ihn nun körperlich und psychisch traktieren will.“ Daraufhin gab die abgelehnte Richterin in ihrer dienstlichen Stellungnahme an, die Maßnahme habe dazu gedient, die geltend gemachten Beschwerden zu objektivieren und gegebenenfalls Folgeuntersuchungen zu ermöglichen.
Den auf dieses Geschehen gestützten Ablehnungsantrag hat das Landgericht in der Besetzung nach § 27 StPO - nach weiteren Ablehnungsanträgen, auch die Beisitzerinnen betreffend, über deren Ablehnung zuvor entschieden worden war - durch Beschluss vom 30. Juli 2013 zurückgewiesen. Hierbei hat es darauf abgestellt, dass die Befolgung der Anordnung zwar mit Unannehmlichkeiten verbunden, aber dennoch zur sicheren Feststellung der Erkrankung unter Beachtung des Beschleunigungsgrundsatzes verhältnismäßig gewesen sei.
b) Die Ablehnung eines Richters ist nach § 24 Abs. 2 StPO nur gerechtfertigt, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zur Annahme hat, der Richter nehme ihm gegenüber eine innere Haltung ein, die seine erforderliche Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit störend beeinflussen kann (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 8. Mai 2014 - 1 StR 726/13, NJW 2014, 2372 f. mwN). Allein das Misstrauen als rein subjektives Empfinden des Ablehnenden genügt demnach nicht (BGH, Urteil vom 13. März 1997 - 1 StR 793/96, BGHSt 43, 16, 18).
c) Mit Recht hat hiernach die Strafkammer das Ablehnungsgesuch verworfen. Der Angeklagte konnte, was der Senat nach Beschwerdegrundsätzen zu prüfen hatte, keinen Anlass zur Besorgnis der Befangenheit und zu Zweifeln an der Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit der Vorsitzenden Richterin haben.
aa) Die beanstandete Vorgehensweise der Vorsitzenden Richterin erweist sich als sachgerecht. Die Erkrankung des Angeklagten hatte die vom Sachverständigen angegebene typische Dauer von 36 bis 48 Stunden am Morgen des 24. Juli 2013 nach Ausbruch am 20. Juli 2013 schon deutlich überschritten. Dass sie daher den Sachverständigen mit der körperlichen Untersuchung beauftragte, diente der Objektivierung der Beschwerden und der Abklärung des Einflusses auf die
bestehende Herzerkrankung, wie die Vorsitzende schon in ihrer Verfügung vom 24. Juli 2014 niederlegte. Es gehört gerade vor dem Hintergrund des in Haftsachen - der gegen den Angeklagten bestehende Haftbefehl war nur außer Vollzug gesetzt - geltenden Beschleunigungsgrundsatzes zu den Aufgaben des Vorsitzenden, die behauptete Verhandlungsunfähigkeit zu überprüfen und damit eine möglichst effektive Durchführung der Hauptverhandlung zu gewährleisten. Soweit die Revision geltend macht, dies sei nicht erforderlich gewesen, weil zwei eindeutige medizinische Voten für Verhandlungsunfähigkeit vorgelegen hätten, verkennt sie schon die Ausrichtung der Maßnahme auf den nächsten Verhandlungstag, den 30. Juli 2013. Denn für den 22. und 24. Juli 2013 hatte die Vorsitzende, dem Votum des Hausarztes bzw. des gerichtlich bestellten Sachverständigen folgend, die Verhandlung wegen akuter Erkrankung bereits abgesetzt. Dass von der Vorsitzenden die Sicherung der zukünftigen Verhandlungsfähigkeit, die kein medizinisches Zeugnis abdeckte, intendiert war, ergibt sich auch aus dem von ihr in den Blick genommenen abendlichen Untersuchungszeitpunkt. Hinzu kam, dass die Einschätzung des Sachverständigen auf der telefonischen Mitteilung des Angeklagten beruhte, was keine zuverlässige Grundlage für eine Diagnose darstellt. Medizinische Untersuchungen sind aber zumeist mit Eingriffen in die Intimsphäre des zu Untersuchenden - was die Revision beanstandet - verbunden. Dieser Eingriff mag durch die Begutachtung von Körperausscheidungen, die zu diesem Zweck aufzubewahren sind, intensiviert worden sein. Gleichwohl stellt diese Methode zur medizinischen Befunderhebung - üblicher freilich für andere Körperausscheidungen, was die damit verbundene Beeinträchtigung aber nicht entscheidend verändert - angesichts des damit verfolgten Zwecks keine unzumutbare Untersuchung dar und führt nicht dazu, dass die Vorsitzende hiermit den Boden einer ordnungsgemäßen Verhandlungsleitung verlassen hätte. Denn es war zu berücksichtigen, dass der Sachverständige diese Untersuchungsmethode sowohl zur Objektivierung der geschilderten Symptome als auch zum Ausschluss einer viralen und die zukünftige Verhandlungsfähigkeit in Frage stellenden Infektion benannt hat. Dass die Vorsitzende im Rahmen der ihr obliegenden Anleitung des Sachverständigen einen dahingehenden Auftrag erteilt hat, ist vor diesem Hintergrund nicht zu beanstanden. Letztlich wurde die Körperausscheidung auch vom Sachverständigen untersucht und diente der diagnostischen Einordnung. Dass der Sachverständige dann keinen Anlass sah, eine Laboruntersuchung zu veranlassen, unterfällt seinem Verantwortungsbereich.
bb) Es besteht für einen vernünftigen bzw. verständigen Angeklagten kein Anlass, aufgrund einer solchen sachgerechten Verfahrensweise anzunehmen, der Richter habe ihm gegenüber in der Sache selbst bereits eine innere Haltung angenommen, die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann. Insbesondere die in dem Ablehnungsantrag geltend gemachte Sorge, die Richterin wolle, dass er krank bleibe und ein Erbrechen provozieren, um ihn zu traktieren, entbehrt vor dem Hintergrund, dass die Aufforderung nur für den Fall abermaligen Erbrechens gegolten und der Angeklagte selbst fortdauerndes Erbrechen geltend gemacht hat, jeder vernünftigen Grundlage.
cc) Dass das Oberlandesgericht München auf eine für zulässig erachtete Beschwerde des Angeklagten für die „im Rahmen der Verfügung vom 24. Juli 2013 … getroffene Anordnung, wonach der Angeklagte das von ihm an diesem Tag Erbrochene in einem Eimer aufzubewahren und dem Sachverständigen zur Verfügung stellen sollte“, die Rechtswidrigkeit festgestellt hat, ändert an dieser Wertung nichts.
Der Senat ist zuständig für die Entscheidung, ob der Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO vorliegt.
Dabei hat er nach Beschwerdegrundsätzen über die geltend gemachte Befangenheit zu entscheiden. Dass das Oberlandesgericht eine frühere Beschwerdeentscheidung für diesen Sachverhalt - ungeachtet § 305 StPO - getroffen hat, entfaltet keinerlei Bindungswirkung für den Senat.
Die Wertung des Oberlandesgerichts, die Maßnahme sei nicht zweckdienlich und entwürdigend, nicht auch nur annähernd „verhältnismäßig“ und beeinträchtige tiefgreifend die Menschenwürde und das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Angeklagten, teilt der Senat aus den oben dargestellten Gründen nicht. Ob dies auf den Abweichungen im zugrunde gelegten Sachverhalt beruht, kann dahinstehen.
d) Dass mit dieser Verfahrensrüge (auch) eine Verletzung des Art. 101 Abs. 2 GG im Ablehnungsverfahren geltend gemacht werden soll, lässt sich dem Revisionsvorbringen schon nicht entnehmen (zum Erfordernis der Klarstellung der Angriffsrichtung insoweit BGH, Beschluss vom 9. Juni 2009 - 4 StR 461/08). Jedenfalls ist die gewählte Reihenfolge nicht willkürlich (vgl. auch BGH, Beschluss vom 25. April 2014 - 1 StR 13/13). Denn die Ablehnung der Beisitzerinnen
war zwar auf die Mitwirkung an der Aufforderung gestützt, in der Entscheidung über den Antrag ist aber eine solche Mitwirkung ausgeschlossen worden, weswegen kein Entscheiden in eigener Sache erfolgte.
2. Die Rüge der Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens in Verbindung mit dem Rechtsgedanken des § 29 StPO bleibt ebenfalls ohne Erfolg. […]