StPO § 24: Staatsanwältin, Richter, Ehepaar, Befangenheit
Gericht / Entscheidungsdatum: LG Freiburg, Beschl. v. 22.01.2021 – 17/19 6 Ns 270 Js 36278/18
Leitsatz: Die Besorgnis der Befangenheit (§ 24 StPO) ist nicht allein deswegen begründet, weil der bei der Hauptverhandlung mitwirkende Richter mit der Staatsanwältin verheiratet ist.
In pp.
Eine Besorgnis der Befangenheit des Berichterstatters RLG Dr. X liegt nicht vor.
Gründe
I.
Der Angeklagte wurde mit Urteil des Amtsgerichts- Jugendschöffengericht - Freiburg vom pp. vom Vorwurf des gemeinschaftlichen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung freigesprochen. Für die im Verfahren erlittene Untersuchungshaft ordnete das Gericht die Verpflichtung zur Entschädigung an. Gegen dieses Urteil legte die Staatsanwaltschaft form- und fristgerecht Berufung und gegen die Entschädigungsentscheidung sofortige Beschwerde ein. Das Ziel der Rechtsmittel ist die Verurteilung des Angeklagten wegen der angeklagten Tat und die Aufhebung der Entschädigungsentscheidung. Die sachbearbeitende Staatsanwältin ist die Ehefrau des nach dem Kammergeschäftsverteilungsplan zuständigen Richters RLG Dr. X. Der Kammervorsitzende zeigte in Absprache mit und für den Berichterstatter diesen Umstand den Verfahrensbeteiligten mit Mail vom pp. gem. § 30 StPO an. Der zuständige Abteilungsleiter teilte daraufhin mit, der dargelegte Sachverhalt dürfte die Besorgnis der Befangenheit begründen, der Verteidiger schloss sich zunächst dieser Auffassung an. Der Vorsitzende bat daraufhin den Berichterstatter um eine dienstliche Stellungnahme. Dieser äußerte sich wie folgt:
„Ganz allgemein möchte ich zunächst klarstellen, dass die persönliche Beziehung zu meiner Frau nach meiner Auffassung keinen Einfluss auf Standpunkte nimmt, die ich in Bezug auf Sachverhalte beziehe, mit denen ich mich beruflich als Richter befasse. Ich bin überzeugt, dass meine Frau und ich, private und dienstliche Belange insofern klar voneinander zu trennen wissen. Konkret zum oben genannten Verfahren meine ich mich zu erinnern, dass meine Frau mir nach der mündlichen Verhandlung beim Amtsgericht von der Verhandlung und dem Ausgang des amtsgerichtlichen Verfahrens berichtet hat. Aufgrund des Zeitablaufs kann ich mich an den genauen Gesprächsablauf nicht mehr erinnern. Nach meiner Erinnerung habe ich selbst aber keine Stellung dazu bezogen, zu welcher Überzeugung ich aufgrund der Beweislage gekommen wäre. Schon mangels Aktenkenntnis und persönlichem Eindruck aus der Hauptverhandlung wäre ich dazu nicht in der Lage gewesen.“
Der Abteilungsleiter hielt nach Vorliegen der Stellungnahme des Berichterstatters an seiner Auffassung fest, da unabhängig von einer tatsächlichen Beeinflussung oder Befangenheit jedenfalls vor dem Hintergrund des Informationsaustauschs aus der Sicht eines „vernünftigen“ Ablehnenden ein Grund gegeben sei, der geeignet sei, Misstrauen in die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Einen Befangenheitsantrag gegen den Berichterstatter stellte der Abteilungsleiter nicht. Der Verteidiger teilte nunmehr mit, nach Kenntnisnahme von der Stellungnahme des Berichterstatters hege er keine Besorgnis der Befangenheit hinsichtlich seines Einsatzes laut Geschäftsverteilungsplan. Gegebenenfalls wäre an eine Vertretung der sachbearbeitenden Staatsanwältin im vorliegenden Verfahren durch einen anderen Staatsanwalt oder Staatsanwältin zu denken. Der Angeklagte selbst hatte sich dahingehend geäußert, ihm sei diese Konstellation „egal“.
II.
Eine Besorgnis der Befangenheit des Berichterstatters RLG Dr. X liegt nicht vor.
Die Selbstanzeige des Berichterstatters wäre nur dann begründet, wenn die mitgeteilten Umstände vom Standpunkt eines anfechtungsberechtigten Beteiligten einen vernünftigen Grund für die Besorgnis abgeben, der betreffende Richter werde nicht unparteiisch entscheiden (vgl. Scheuten in KK-StPO, 8. Aufl. 2019, § 30, Rn. 5 mwN). Dies ist vorliegend nicht der Fall.
Persönliche Verhältnisse sind zwar grundsätzlich geeignet, die Entscheidungsfreiheit eines Richters zu beeinträchtigen oder wenigstens den Anschein zu erwecken, dies könne der Fall sein, was auch § 22 Nr. 1 bis 3 StPO aufzeigt. Die dienstlichen und persönlichen Verhältnisse sind allerdings durch die Ausschließungsgründe der §§ 22, 23 StPO grundsätzlich erschöpfend geregelt, eng auszulegen und dürfen - auch angesichts des Rechts auf den gesetzlichen Richter - nicht dadurch erweitert werden, dass für bestimmte Fälle § 24 StPO „zur Lückenfüllung“ herangezogen wird (vgl. Scheuten in KK-StPO, 8. Aufl. 2019, § 24, Rn. 7 mwN). Soweit nicht die im Gesetz aufgeführten engen persönlichen Verhältnisse vorliegen, die zu einem Ausschluss eines Richters führen, darf man folglich grundsätzlich von der Fähigkeit eines Richters ausgehen, sich von Befangenheit frei zu halten, und von der Einsicht der Prozessbeteiligten, dass der Richter dies tun werde (vgl. Siolek in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl. 2016, § 24, Rn. 30).
Danach kann die eheliche oder verwandtschaftliche Beziehung eines Richters zu einer mit dem Verfahren befassten Staatsanwältin nicht allgemein zu dessen erfolgreicher Ablehnung führen (vgl. nur OLG Karlsruhe BeckRs 2016,11603; BGH BeckRS 2011, 24828; BGH NJW 2004, 163). Besondere individuelle Gründe, die ausnahmsweise eine andere Beurteilung gebieten würden, ergeben sich aus den Stellungnahmen der Beteiligten oder aus sonstigen konkreten Umständen nicht. Allein der Umstand, dass die Staatsanwältin nach der erstinstanzlichen Verhandlung vor knapp einem Jahr ihrem Ehemann von dem Fall berichtet hat, genügt hierfür nicht. Allgemein ist von einem Berufsrichter kraft Ausbildung und berufsethischem Verständnis zu erwarten, dass er nur nach Recht und Gesetz objektiv entscheidet und sich durch persönliche Beziehungen nicht beeinflussen lässt.