StPO § 243 Abs. 4 S. 2 kein Beruhen bei Verstoß gegen Mitteilungspflicht bei Einstellung
StPO § 243 Abs. 4 S. 2 kein Beruhen bei Verstoß gegen Mitteilungspflicht bei Einstellung
BGH, Beschl. v. 10.05.2016 – 1 StR 571/15 – BeckRS 2016, 12728
Zwar sind auch Gespräche über eine vollständige Verfahrenseinstellung gemäß § 153a StPO mitteilungsbedürftig nach § 243 Abs. 4 StPO, jedoch kann vorliegend ausnahmsweise das Beruhen der Verurteilung auf dem Verfahrensverstoß ausgeschlossen werden. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführer am 10. Mai 2016 gemäß § 154 Abs. 2, § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten H. gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 15. Dezember 2014 wird
a) das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte H. hinsichtlich Ziffer III.8. der Urteilsgründe wegen Steuerhinterziehung in vier Fällen (Gewerbesteuer 2003 bis 2006) und versuchter Steuerhinterziehung (Gewerbesteuer 2007) verurteilt worden ist; im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen dieses Angeklagten der Staatskasse zur Last;
b) das Urteil, soweit es den Angeklagten H. betrifft,
aa) im Schuldspruch dahingehend geändert, dass der Angeklagte H. wegen Steuerhinterziehung in neun Fällen, wegen versuchter Steuerhinterziehung, wegen Beihilfe zum gewerbs- und bandenmäßigen Betrug und wegen Beihilfe zur gewerbs- und bandenmäßigen Urkundenfälschung in Tateinheit mit Beihilfe zur unrichtigen Darstellung, zum Kreditbetrug und zum Kapitalanlagebetrug verurteilt ist;
bb) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision des Angeklagten H. sowie die Revision der Angeklagten G. werden verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels des Angeklagten H. , an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
4. Die Beschwerdeführerin G. hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagte G. wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs sowie gewerbs- und bandenmäßiger Urkundenfälschung in Tateinheit mit unrichtiger Darstellung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren mit Bewährung und wegen Kredit- und Kapitalanlagebetrugs zu einer Gesamtgeldstrafe von 300 Tagessätzen zu je zehn Euro verurteilt. Den Angeklagten H. hat es wegen Steuerhinterziehung in 13 Fällen, wegen versuchter Steuerhinterziehung in zwei Fällen, wegen Beihilfe zu einem gewerbs- und bandenmäßigen Betrug und wegen Beihilfe zu einer gewerbs- und bandenmäßigen Urkundenfälschung in Tateinheit mit Beihilfe zu einer unrichtigen Darstellung, mit Beihilfe zu einem Kreditbetrug und mit Beihilfe zu einem Kapitalanlagebetrug zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die vom Angeklagten H. eingelegte Revision hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen sind die Revisionen der Angeklagten, mit denen sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügen, aus den vom Generalbundesanwalt angeführten Gründen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
[…]
II. Die Revisionen im Übrigen bleiben ohne Erfolg.
1. Die von den Revisionen erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch. Insbesondere liegt kein durchgreifender Verstoß gegen § 243 Abs. 4 StPO darin, dass der Kammervorsitzende ein Telefonat vom 13. Oktober 2011 mit dem Verteidiger der Angeklagten G. , in dem sich der Verteidiger unter anderem erkundigte, ob eine Verfahrenseinstellung nach § 153a StPO in Betracht käme, nicht in der am 10. April 2013 begonnenen Hauptverhandlung mitteilte. Bei dem Angeklagten H. ist bereits fraglich, ob die Rüge zulässig erhoben wurde, da das Telefonat explizit nur die Angeklagte G. und den anderweitig Verfolgten T. betraf. Zwar sind auch Gespräche über eine vollständige Verfahrenseinstellung gemäß § 153a StPO mitteilungsbedürftig nach § 243 Abs. 4 StPO (BVerfG, Beschluss vom 21. April 2016 – 2 BvR 1422/15, Rn. 20, StV 2016, 409; a.A. noch KG, Beschluss vom 10. Januar 2014 – [2] 161 Ss 132/13 [47/13], NStZ 2014, 293), jedoch kann vorliegend ausnahmsweise das Beruhen der Verurteilung auf dem Verfahrensverstoß ausgeschlossen werden. Das im Vorfeld der Hauptverhandlung geführte Telefonat hatte einen organisatorischen Hintergrund. Die eher vage gehaltene An- frage, ob eine Verfahrenseinstellung in Betracht komme, stellte eine sondierende Äußerung der Verteidigung ohne verbindliche Zusage des Gerichts dar, so dass der Informationsgehalt des Gespräches bereits als gering einzustufen ist. Die erst drei Jahre später erfolgten Unterredungen zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung, die schließlich Grundlage der Verfahrensabsprache wurden und das Telefonat vom 13. Oktober 2011 damit überholt er- scheinen lassen, sind umfassend mitgeteilt worden. Vor diesem Hintergrund kann hier eine informelle Verfahrensabsprache schon im Ansatz ausgeschlossen werden. Die Rechtsstellung und die Verteidigungsmöglichkeit der Angeklagten werden gleichfalls nicht berührt. Selbst wenn in der Nichtmitteilung der allenfalls vagen Andeutung eine Verletzung des § 243 Abs. 4 StPO zu sehen wäre, beruht das Urteil daher nicht auf dem Verfahrensverstoß.
2. Auch die Überprüfung des Urteils aufgrund der erhobenen Sachrügen hat im verbleibenden Umfang keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Die missverständliche Verwendung des Begriffs „Gefährdungsschaden“ ist unschädlich und stellt keinen Rechtsfehler dar.