StPO § 244 Ablehnung Beweisantrag – formalisierter Dialog

StPO § 244 Ablehnung Beweisantrag – formalisierter Dialog

BGH, Beschl. vom 20.12.2006 – 2 StR 444/06 

Die Begründung der Ablehnung eines Beweisantrages soll den Antragsteller in die Lage versetzen, sich auf die Prozesssituation einzurichten und gegebenenfalls neue Anträge stellen zu können. Dies erfordert, dass ihm die Ablehnungsgründe in der Hauptverhandlung mitgeteilt werden, so dass er darauf noch reagieren kann. Ein Beruhen des Urteils auf der unzulänglichen Ablehnung eines Beweisantrags kann dementsprechend nur dann abgeschlossen werden, wenn die Gründe der Bedeutungslosigkeit der Beweisbehauptung auf der Hand lagen, so dass der Antragsteller im Bilde war und in seiner Prozessführung nicht beeinträchtigt wurde.

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 3. Juli 2006 in den Fällen II. 1. bis 5. der Urteilsgründe und im Gesamtstrafenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen. Gründe: Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sechs Fällen, wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von dreizehn Jahren verurteilt sowie Betäubungsmittel und Mobiltelefone eingezogen. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, die er auf Verfahrensrügen und auf die Sachrüge stützt. Das Rechts-mittel hat mit einer Verfahrensrüge in den Fällen II. 1. bis 5. der Urteilsgründe Erfolg; im Übrigen ist es aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 16. September 2006 unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.  

1. Die Verurteilung des Angeklagten in den Fällen II. 1. bis 5. der Urteilsgründe beruht auf der Aussage des Zeugen Erdogan D. Der Zeuge hat bekundet, dass er den Angeklagten im September 2001 kennen gelernt habe. Im Mai 2002 sei der Angeklagte mit einem dunklen Van vom Typ Ford Galaxy oder VW Sharan o. ä. nach Stuttgart gekommen, um ein für ihn bestimmtes Kilogramm Heroin abzuholen (Fall II. 3. der Urteilsgründe). Der Angeklagte habe erklärt, er habe auf dem Weg nach Stuttgart einen Unfall gehabt, an dem er nicht schuld gewesen sei, weshalb er vom Unfallgegner einen Leihwagen gestellt bekommen habe. Der Angeklagte hat sich dahin eingelassen, dass er den Zeugen D. erst im Januar 2003 kennen gelernt habe. Im Februar 2003 sei er zu einem Besuch des Zeugen D. nach Neuötting gefahren, auf dieser Fahrt sei es zu einem Unfall gekommen und er habe einen Renault Espace als Ersatzfahrzeug bekommen. In der Hauptverhandlung beantragte der Angeklagte die Einvernahme des Geschäftsführers K. der K. GmbH zum Beweis der Tatsache, dass er nach dem Unfall vom 14. Februar 2003 einen Mietwagen Renault Scenic angemietet habe, um die Fahrt vom Unfallort fortsetzen zu können, und seiner Ehefrau sowie des Leiters der Kraftfahrzeug-Zulassungsstelle Darmstadt zum Beweis der Tatsache, dass der Citroen Xantia nach dem Unfall noch im Februar 2003 verschrottet worden und eine Abmeldung des Fahrzeugs erfolgt sei. Die Strafkammer hat diese Beweisanträge zurückgewiesen, da die behauptete Tatsache, nämlich dass der Angeklagte nach einem Unfall vom 14. Februar 2003 einen Mietwagen angemietet habe und den Citroen Xantia verschrotten ließ, für die Entscheidung ohne Bedeutung sei (§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO). Im Übrigen habe die Zeugin Ki. bereits bestätigt, dass der Citroen nach einem Unfall, bei dem sie allerdings nicht zugegen gewesen sei, verschrottet worden sei. In den Urteilsgründen hat die Strafkammer hierzu ausgeführt (UA S. 37 f.): Die Einlassung des Angeklagten und die Aussage seiner Ehefrau stünden der Aussage des Zeugen D. nicht entgegen. Auch wenn der Angeklagte im Februar 2003 einen Unfall mit dem Citroen Xantia gehabt und als Leihwagen einen Renault Espace erhalten habe, könne die Fahrt nach Stuttgart wie von dem Zeugen D. geschildert im Mai 2002 stattgefunden haben. Der Zeuge habe lediglich wiedergegeben, was der Angeklagte ihm zu dem Fahrzeug gesagt habe, dass es sich um einen Leihwagen handele, da er auf der Fahrt unverschuldet einen Unfall gehabt habe. Ob dies zutreffe, könne der Zeuge nicht sagen, weil er auf der Fahrt nicht dabei gewesen sei. Im Übrigen habe der Zeuge hinsichtlich des Zeitpunkts, des Ziels und der anwesenden Personen eine völlig andere Situation beschrieben als der Angeklagte, so dass es denkbar erscheine, dass beide Fahrten tatsächlich stattgefunden haben.

2. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss der Beschluss, mit dem ein Beweisantrag wegen Bedeutungslosigkeit der behaupteten Tatsachen abgelehnt wird, die Erwägungen anführen, aus denen der Tatrichter ihnen keine Bedeutung beimisst. Wird die Bedeutungslosigkeit aus tatsächlichen Umständen gefolgert, so müssen die Tatsachen angegeben werden, aus denen sich ergibt, warum die unter Beweis gestellte Tatsache, selbst wenn sie erwiesen wäre, die Entscheidung des Gerichts nicht beeinflussen könnte (BGH NStZ 1997, 503; NStZ-RR 2002, 68 f.; StV 2005, 113, 115 m.w.N.). Der Beschluss muss es den Verfahrensbeteiligten, insbesondere dem Antragsteller, ermöglichen, sich auf die durch die Ablehnung des Beweisantrags geschaffene Prozesslage einzustellen. Die erforderliche Begründung entspricht grundsätzlich den Begründungserfordernissen bei der Würdigung von durch Beweisaufnahme gewonnenen Indiztatsachen in den Urteilsgründen. Diesen Anforderungen wird der Beschluss der Strafkammer nicht gerecht. Seine Begründung beschränkt sich im Wesentlichen auf die sinngemäße Wiedergabe des Gesetzeswortlauts. Auch aus dem Zusatz, dass die Zeugin Ki. die behaupteten Tatsachen teilweise bereits bestätigt habe, wird nicht erkennbar, warum die Kammer diese als bedeutungslos ansieht. Die Erklärung hierfür gibt die Strafkammer erst in den Urteilsgründen. Die unzulängliche Begründung des Beschlusses wird dadurch jedoch nicht geheilt. Die Begründung der Ablehnung eines Beweisantrags soll den Antragsteller in die Lage versetzen, sich auf die Prozesssituation einzurichten und gegebenenfalls neue Anträge stellen zu können. Dies erfordert, dass ihm die Ablehnungsgründe in der Hauptverhandlung mitgeteilt werden, so dass er darauf noch reagieren kann. Ein Beruhen des Urteils auf der unzulänglichen Ablehnung eines Beweisantrags kann dementsprechend nur dann ausgeschlossen werden, wenn die Gründe der Bedeutungslosigkeit der Beweisbehauptung auf der Hand lagen, so dass der Antragsteller im Bilde war und in seiner Prozessführung nicht beeinträchtigt wurde. Das kann im vorliegenden Fall nicht festgestellt werden. Die Frage einer Falschbelastung des Angeklagten durch D. war von entscheidender Bedeutung für die Beweiswürdigung der Strafkammer. Sie hat aus ganz verschiedenen Gründen (Unfall nur Erzählung des Angeklagten oder tatsächlich zwei verschiedene Fahrten mit Unfällen) angenommen, dass die unter Beweis gestellte Indiztatsache im Falle ihres Erwiesenseins keine Auswirkungen auf die Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen D. gehabt hätte. Dass diese Gründe für alle Verfahrensbeteiligten auf der Hand lagen, kann nicht ohne weiteres angenommen werden.  Der Verfahrensfehler führt zur Aufhebung der Verurteilung in den Fällen II. 1. bis 5. der Urteils­gründe, die auf der Aussage des Zeugen D. beruhen, und der Gesamtstrafe. Zwar berührt der Beweisantrag unmittelbar lediglich die Angaben des Zeugen im Fall II. 3. der Urteilsgründe. Es ist aber nicht auszuschließen, dass eine Falschaussage des Zeugen in diesem Fall Auswirkungen auf die Würdigung seiner Glaubwürdigkeit auch in den anderen Fällen gehabt hätte. Die Betäubungsmittelgeschäfte in den Fällen II. 1. bis 5. der Urteilsgründe sollen nach der Aussage des Zeugen alle in den Jahren 2001/2002 stattgefunden haben, also vor dem Zeitpunkt, zu dem der Angeklagte den Zeugen erst kennen gelernt haben will. In den Fällen II. 6. bis 8. der Urteilsgründe beruht die Verurteilung hingegen ausschließlich auf anderen Beweismitteln, sie werden durch den Verfahrensfehler ersichtlich nicht berührt. Im Falle einer neuerlichen Verurteilung wird der neue Tatrichter Gelegenheit haben, in den Fällen II. 1. bis 5. der Urteilsgründe anhand der vorhandenen Indizien (Wirkstoffgehalte der sichergestellten Betäubungsmittel in den anderen Fällen, Mengen, Preise) realistische Wirkstoffgehalte festzustellen. 

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