StPO § 244 Abs. 2 Beweiswürdigung bei Akteneinsicht der Nebenklage

StPO § 244 Abs. 2 Beweiswürdigung bei Akteneinsicht der Nebenklage
BGH, Beschl. v. 05.04.2016 – 5 StR 40/16 – NStZ 2016, 367

1. Der Tatrichter muss den Umstand, dass ein Nebenkläger vor seiner Aussage in der Hauptverhandlung vermittelt durch einen Rechtsanwalt Kenntnis vom Akteninhalt erlangt hat, im Zuge seiner Beweiswürdigung grundsätzlich nicht aufgreifen. Regelmäßig drängt auch in Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen die Aufklärungspflicht des Gerichts nicht dazu, Feststellungen zur Wahrnehmung des sich aus § 406 e I StPO ergebenden Akteneinsichtsrechts zu treffen.
2. Eine beweiswürdigende Erörterung der Aktenkenntnis des Nebenklägers ist allerdings dann geboten, wenn Hinweise auf eine konkrete Falschaussagemotivation des Zeugen oder Besonderheiten in seiner Aussage hierzu Anlass geben.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. April 2016 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 16. Oktober 2015 wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin durch seine Revision entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Ergänzend zum Antrag des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat:
Die Verfahrensbeanstandung, das Landgericht wäre im Rahmen seiner Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) gehalten gewesen, den Umstand in die  Beweisaufnahme einzuführen, dass der Nebenklagevertreterin im Vorfeld der Hauptverhandlung vollständige Akteneinsicht gewährt worden war, und die daran anknüpfende sachlich-rechtliche Beanstandung der Beweiswürdigung haben keinen Erfolg. Der Senat hat bereits entschieden, dass grundsätzlich keine Erörterungspflicht in Bezug auf eine etwaige Kenntnis eines Nebenklägers vom Inhalt der Verfahrensakten besteht (BGH, Beschluss vom 15. März 2016 – 5 StR 52/16). Regelmäßig drängt auch in Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen die Aufklärungspflicht das Gericht nicht dazu, Feststellungen zur Wahrnehmung des sich aus § 406e Abs. 1 StPO ergebenden Akteneinsichtsrechts zu treffen. Auch in solchen Fällen bedarf es im Rahmen der Beweiswürdigung in der Regel keiner ausdrücklichen Würdigung des Umstands, dass ein Verletzter vermittelt durch einen Rechtsanwalt Zugang zum Inhalt der Ermittlungsakten – insbesondere auch zu Niederschriften seiner früheren Vernehmungen – hatte. Denn mit der Wahrnehmung dieses gesetzlich eingeräumten Verletztenrechts geht nicht typischerweise eine Entwertung des Realitätskriteriums der Aussagekonstanz einher (aA wohl OLG Hamburg, Beschluss vom 24. Oktober 2014 – 1 Ws 110/14, NStZ 2015, 105, 107;
BeckOK-StPO/Eschelbach, § 261 Rn. 55.3). Durch die generalisierende Annahme, dass mit Akteneinsicht durch den Nebenklägervertreter die Glaubhaftigkeit der Angaben eines Belastungszeugen stets in besonderer Weise in Zweifel zu ziehen sei, würde zudem seine freie Entscheidung, Akteneinsicht zu beantragen, beeinträchtigt werden (vgl. zu § 52 StPO: LRStPO/ Ignor/Bertheau, 26. Aufl., § 52 Rn. 40). Maßgeblich sind stets die Umstände des Einzelfalls. Diese können etwa dann zu einer ausdrücklichen Bewertung möglicher Aktenkenntnis des (einzigen) Belastungszeugen im Rahmen der Beweiswürdigung drängen, wenn Hinweise auf eine konkrete Falschaussagemotivation des Zeugen oder Besonderheiten in seinen Aussagen hierzu Anlass geben. Daran fehlt es hier. In der Person der Nebenklägerin oder in ihren Aussagen liegen keine Umstände vor, durch die das Landgericht sich zu einer Erstreckung der Beweisaufnahme auch auf den genannten Gesichtspunkt hätte gedrängt sehen müssen und die eine ausdrückliche Würdigung auch dieses Aspekts im Rahmen der durch das Landgericht eingehend und sorgfältig vorgenommenen Analyse der Angaben der Nebenklägerin erforderlich gemacht hätten.