StPO § 244 Abs. 2 Unterbliebene Entscheidung über die erweiterte Einziehung des Wertes von Taterträgen - Verletzung der Aufklärungspflicht
BGH, Urt. v. 24.02.2021 – 6 StR 214/20
Der 6. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 24. Februar 2021für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 16. Januar 2020 aufgehoben, soweit eine Entscheidung über die erweiterte Einziehung des Wertes von Taterträgen beim Angeklagten A. unterblieben ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen - Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in elf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Außerdem hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt und die Einziehung des Wertes der durch die abgeurteilten Taten erlangten Erträge in Höhe von 28.512,50 Euro angeordnet. Mit ihrer auf eine Verfahrensbeanstandung und die Sachrüge gestützten Revision wendet sich die Staatsanwaltschaft dagegen, dass eine Entscheidung über die Einziehung des Wertes von Erträgen des Angeklagten aus anderen rechtswidrigen Taten in Höhe von 40.000 Euro unterblieben ist. Das insoweit wirksam beschränkte (vgl. BGH, Urteil vom 16. Juli 2020 – 4 StR 91/20 Rn. 1 mwN), vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat mit der Verfahrensrüge Erfolg.
Mit dieser beanstandet die Staatsanwaltschaft zu Recht, dass das Landgericht unter Verletzung seiner Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) davon abgesehen hat, Feststellungen zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Angeklagten zu treffen und zu diesem Zweck eine Vielzahl von Aktenbestandteilen – im Wesentlichen Urkunden – zum Gegenstand der Hauptverhandlung zu machen, aus denen sich konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Angeklagte durch andere rechtswidrige Taten Erträge in Höhe von 40.000 Euro erlangte, so dass insoweit eine erweiterte Einziehung in Betracht gekommen wäre (§ 73a Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB).
1. Die Rüge ist in zulässiger Weise (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) erhoben worden. Die Beschwerdeführerin hat insbesondere die Beweismittel, deren Verwertung sie vermisst, und die zu erwartenden Beweisergebnisse jeweils konkret bezeichnet. Sie hat auch die Umstände aufgezeigt, durch die das Landgericht sich zu den Beweiserhebungen hätte gedrängt sehen müssen, und es ist dem Senat allein aufgrund der Revisionsbegründung möglich zu prüfen, ob der behauptete Aufklärungsmangel vorliegt.
2. Die Rüge ist auch begründet.
a) Die von der Revision im Einzelnen bezeichneten Aktenbestandteile lassen darauf schließen, dass die Voraussetzungen für eine Anordnung der erweiterten Einziehung eines Betrages in Höhe von 40.000 Euro vorlagen.
Auskünften aus dem zentralen Fahrzeugregister und verschrifteten WhatsApp-Chatverläufen lässt sich entnehmen, dass der Angeklagte im April 2017 einen Porsche Panamera zum Preis von mindestens 40.000 Euro erwarb und diesen zu dem für die erweiterte Einziehung maßgeblichen Zeit- punkt der Anknüpfungstaten (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 1. Juli 2004 – 4 StR 226/04 Rn. 4 mwN) auch noch besaß. Aufgrund der Ermittlungsergebnisse zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Angeklagten ist indes davon auszugehen, dass das Kaufgeld nicht legalen Ursprungs war, sondern aus nicht konkret feststellbaren rechtswidrigen Taten herrührte. Ausweislich eines Vermögensverzeichnisses, das der Angeklagte am 25. April 2018 ausfüllte, verfügte er über kein Vermögen und bezog Arbeitslosengeld in Höhe von 836 Euro pro Monat.
Nach einem Bericht zum Finanz- und Vermögensstatus des Angeklagten vom 12. September 2019 erhielt er seit März 2019 keine Leistungen mehr, weil er für das Jobcenter nicht erreichbar war. Steuerlich wurde er bundesweit nicht geführt, und seit November 2018 bzw. Ende Mai 2019 verfügte er auch nicht mehr über Konten bzw. Kontoberechtigungen. Abfragen bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht sowie Gesamtumsatzaufstellungen der Commerzbank belegen, dass der Angeklagte in der Zeit vom 1. Januar 2016 bis zum 27. November 2018 Inhaber eines einzigen Bankkontos bei der Commerzbank war, auf dem praktisch kein nennenswertes Guthaben und auch keine nennenswerten Einkünfte zu verzeichnen waren. Gleiches gilt für die Konten seiner beiden Kinder, für die er jeweils verfügungsberechtigt war.
Schließlich ergibt sich aus einer Vielzahl vorgetragener weiterer Aktenbestandteile, dass der Lebensstil des Angeklagten mit seinen seit Jahren allenfalls geringfügigen legalen Einkünften nicht in Einklang zu bringen ist. Einem Vertragsangebot vom 16. Dezember 2017 und verschiedenen WhatsApp-Chatprotokollen aus der Zeit vom 7. Dezember 2017 bis zum 19. März 2018 ist zu entnehmen, dass er seinerzeit einen Bentley Continental GT zum Preis von 37.000 Euro erwarb sowie den Kauf einer Immobilie im Wert von 100.000 Euro plante, und einem polizeilichen Sachstandsbericht vom 22. Mai 2018 zufolge wurde dem Angeklagten im September 2017 Bargeld in Höhe von 40.000 Euro gestohlen.
b) Das Landgericht hätte sich auch angesichts der zur Person getroffenen Feststellungen unter Aufklärungsgesichtspunkten gedrängt sehen müssen, von diesen Aktenbestandteilen in der Hauptverhandlung Kenntnis zu nehmen und eine Entscheidung über die erweiterte Einziehung zu treffen, zumal die Staatsanwaltschaft ein entsprechendes Begehren schon in der Anklageschrift zum Ausdruck gebracht und in der Hauptverhandlung einen darauf gerichteten Antrag gestellt hatte. Außerdem waren die genannten Beweismittel bereits Gegenstand eines im Ermittlungsverfahren gestellten Antrags der Staatsanwaltschaft auf Erlass eines Vermögensarrests zur Sicherung der erweiterten Einziehung und – nach ablehnender Entscheidung des Landgerichts – eines Beschwerdeverfahrens, in dem das Beschwerdegericht schließlich einen Vermögensarrest in Höhe von 40.000 Euro anordnete.
3. Der Senat verweist die Sache an eine allgemeine Strafkammer zurück, weil sich das Verfahren nur noch gegen einen Erwachsenen richtet.