StPO § 247 Beschränkung der Verteidigung durch Veränderung der Sitzordnung

BGH, Urt. v. 16.02.2021 – 4 StR 517/20

Zur Annahme einer unzulässigen Beschränkung der Verteidigung iSd § 338 Nr. 8 StPO muss dargelegt wer- den, dass tatsächlich bestimmte und möglicherweise entscheidungserhebliche Umstände infolge der vom Gericht bestimmten Sitzordnung nicht zur Sprache gekommen sind.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 16. Februar 2021 gemäß § 349 Abs. 2 StPO beschlossen:

1.  Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Detmold vom 3. August 2020 wird verworfen.

2.  Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern und sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Seine hiergegen eingelegte Revision bleibt erfolglos.

1.  Die vom Angeklagten erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch.

a)  Soweit der Angeklagte beanstandet, die Strafkammer habe gegen Verfahrensrecht verstoßen, weil sie angeordnet habe, dass er für die Dauer der Vernehmung der Nebenklägerinnen in den Zuschauerraum zu verbringen sei, zeigt er keinen Rechtsverstoß zu seinem Nachteil auf.

aa)  Eine Verletzung von § 247 Satz 1 i.V.m. § 338 Nr. 5 StPO liegt nicht vor, weil der Ange- klagte nicht aus dem Sitzungszimmer entfernt wurde und an seiner Sitzposition auch weiterhin in Sicht- und Hörweite des Verfahrensgeschehens und damit nicht abwesend im Sinne von § 338 Nr. 5 StPO war (vgl. Franke in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 338 Rn. 83 mwN). Die Unterbrechung des ständigen Kontaktes zu seinem Verteidiger ändert daran nichts.

bb)  Eine durch diese Maßnahme bewirkte unzulässige Beschränkung der Verteidigung im Sinne des § 338 Nr. 8 StPO ist bereits nicht hinreichend dargetan (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Zwar kann auch eine – wie hier – im Beschlusswege angeordnete Umgestaltung der Sitzordnung gemäß § 176 GVG zu einer unzulässigen Beschränkung der Verteidigung in einem für das Urteil wesentlichen Punkt führen. Dies setzt aber voraus, dass bei dieser nur auf grobe Ermessensfehler hin überprüfbaren Anordnung die Rechtsposition des Angeklagten oder seines Verteidigers grundlegend verkannt und ihre Mitwirkungsmöglichkeiten tatsächlich entscheidungserheblich eingeschränkt wurden (vgl. BGH, Beschluss vom 1. August 2018 – 5 StR 228/18, NStZ 2019, 297 Rn. 4 mwN; Schmitt in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 338 Rn. 59). Für die Vortragspflicht des Revisionsführers bedeutet dies, dass er auch die Tatsachen vorzubringen hat, aus denen sich ein konkreter Zusammenhang zwischen dem geltend gemachten Verfahrensfehler und einem für die Entscheidung bedeutsamen Punkt ergibt (vgl. BGH, Beschluss vom 11. November 2004 – 5 StR 299/03, NJW 2005, 300, 303; Urteil vom 26. Mai 1981 – 1 StR 48/81, BGHSt 30,

131, 135 f. mwN; siehe auch Beschluss vom 11. Februar 2014 – 1 StR 355/13, NStZ 2014, 347 Rn. 18). Diesen Erfordernissen wird das Revisionsvorbringen nicht gerecht. Zwar wird geltend gemacht, dass es dem intellektuell eingeschränkten Angeklagten von der ihm zugewiesenen Sitzposition im Zuhörerraum aus nicht möglich gewesen sei, direkt mit seinem Verteidiger Kontakt aufzunehmen und Nachfragen vorzubringen. Auch habe er dieses Defizit aufgrund seiner mangelnden Erinnerungsfähigkeit nicht nach seiner Rückkehr auf die Anklagebank ausgleichen können. Aus diesem Vorbringen – seine Richtigkeit unterstellt – ergibt sich aber nur, dass die durch die Änderung der Sitzordnung bewirkte Beschränkung der Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten generell geeignet war, seine Verteidigung zu beeinträchtigen. Dass tatsächlich bestimmte und möglicherweise entscheidungserhebliche Umstände infolge der von der Strafkammer bestimmten Sitzordnung nicht zur Sprache gekommen sind, zeigt die Revision nicht auf (vgl. BGH, Urteil vom 26. Mai 1981 – 1 StR 48/81, BGHSt 30, 131, 135 [zur selektiven Beiziehung von Spurenakten]). Dies wäre aber erforderlich gewesen, um wenigstens die Möglichkeit eines konkret-kausalen Zusammenhangs zwischen den durch die Sitzordnung bewirkten Beschränkungen der Verteidigung und einem bedeutsamen Punkt im Urteil gemäß § 338 Nr. 8 StPO darzutun.

b)  Es kann dahinstehen, ob – wie der Generalbundesanwalt meint – die Rüge, das Landgericht habe bei der Ablehnung eines Antrages auf Einholung eines Gutachtens zur Aussagetüchtigkeit der Zeugin M. und zur Glaubhaftigkeit ihrer Angaben gegen § 244 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 2 StPO verstoßen, schon deshalb unzulässig ist, weil zu einer Einwilligung der Zeugin in eine Exploration nichts vorgetragen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Januar 2013 – 1 StR 602/12, NStZ 2013, 672; Beschluss vom 5. Oktober 2004 – 1 StR 284/04). Diese Auffassung ist rechtlich bedenklich, weil die aussagepsychologische Begutachtung eines Zeugen nicht notwendig dessen Exploration unter seiner Mitwirkung bedarf. Vielmehr ist es je nach Fallgestaltung regelmäßig möglich, dem Sachverständigen auf anderem Wege die erforderlichen Anknüpfungstatsachen für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen zu verschaffen (vgl. BGH, Urteil vom 21. August 2014 − 3 StR 208/14, NStZ-RR 2015, 17 f. mwN; siehe dazu auch BGH, Beschluss vom 31. Januar 2017 ‒ 4 StR 531/16). Die Rüge ist aber jedenfalls deshalb nicht zulässig erhoben, weil das in der Antragsbegründung in Bezug genommene und für den Revisionsvortrag wesentliche Protokoll der polizeilichen Vernehmung der Zeugin M. nicht vorgelegt worden ist, obwohl dies nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO erforderlich war (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 13. Mai 2020 – 4 StR 533/19 Rn. 7 mwN).

Die Rüge wäre aber auch unbegründet. Denn bei dem abgelehnten Antrag handelte es sich nicht um einen Beweisantrag im Sinne des § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO, weil es an der insoweit erforderlichen bestimmten Behauptung einer konkreten Beweistatsache fehlt (vgl. dazu Becker in: Löwe- Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 244 Rn. 103 mwN). Das Ersuchen, der Sachverständige möge einer bestimmten Frage nachgehen, reicht dafür ebenso wenig aus, wie die Anregung, dass sich das Gutachten dabei mit einer näher bezeichneten Problematik auseinander zu setzen haben werde.

Eine zulässige Aufklärungsrüge ist nicht erhoben.

c)  Der Rüge, das Landgericht habe bei der Ablehnung des Antrages auf Einholung eines ärztlichen Sachverständigengutachtens zu der Beweisfrage, „ob der Angeklagte ... in der Lage ist, ...“ gegen § 244 Abs. 4 StPO verstoßen, bleibt der Erfolg ebenfalls versagt. Auch dieser Antrag enthält keine bestimmte Behauptung einer konkreten Beweistatsache (vgl. dazu BGH, Urteil vom 14. April 1999 ‒ 3 StR 22/99, NJW 1999, 2683, 2684; Trüg/Habetha in: MünchKommStPO, § 244 Rn. 111 mwN) und ist daher kein nach § 244 Abs. 3, Abs. 4 StPO zu beurteilender Beweisantrag. Eine zulässige Aufklärungsrüge ist auch hier nicht erhoben.

d)  Schließlich weist auch die Ablehnung des Antrags auf Einholung eines ärztlichen Gutachtens zum notwendigen Eintritt einer Verletzung am Genital der Zeugin V. bei einer Penetration durch den Angeklagten keinen Rechtsfehler auf. Die Strafkammer hat in ihrem Ablehnungsbeschluss rechtsfehlerfrei dargelegt, dass dieser Erkenntnis für ihre Entscheidung keine tatsächliche Bedeutung zukommt (§ 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 StPO), weil es zu einer schnellen Abheilung einer solchen Verletzung gekommen sein kann und deshalb dem unauffälligen Befund bei der kinder- gynäkologischen Untersuchung des Genitals der Zeugin mehrere Wochen nach dem verfahrens- gegenständlichen Übergriff, auf den die Revision im weiteren abhebt, auch dann keine gegen eine Penetration durch den Angeklagten sprechende Indizwirkung zukommt, wenn diese notwendig mit einer Verletzung verbunden gewesen wäre.

2.  Die Überprüfung des Schuld- und Strafausspruchs aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).