StPO § 257 Abs. 2 – Meldung zu Wort als Rügevoraussetzung - § 265 Rechtlicher Hinweis, Zeitpunkt

StPO § 257 Abs. 2 – Meldung zu Wort als Rügevoraussetzung - § 265 Rechtl. Hinweis, Zeitpunkt

BGH, Beschl. vom 24.10.2006 – 1 StR 503/06 – NStZ 2007, 234 = StraFo 2007, 67

1. Wer eine Verletzung des Rechts aus § 257 Abs. II StPO rügen will, muss vortragen, dass er sich zu Wort gemeldet habe, um eine solche Erklärung abzugeben, ihm dies aber verwehrt worden sei.

2. Ein Hinweis gem. § 265 StPO ist zu erteilen, sobald sich erstmals die Möglichkeit einer anderen rechtlichen Beurteilung ergibt, also so früh wie möglich. Eine Verfahrensrüge, der Hinweis sei verspätet erfolgt, kann jedoch in aller Regel keinen Erfolg haben, wenn kein Antrag auf Aussetzung des Verfahrens gestellt worden war.

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 5. Juli 2006 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.  Gründe: Der zur Tatzeit fast 19 Jahre alte Angeklagte wurde wegen Mordes zu Jugendstrafe verurteilt. Seine Revision, die auf eine Reihe von Verfahrensrügen und die näher ausgeführte Sachrüge gestützt ist, ist unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. Die Revision rügt, es sei "keine ordnungsgemäße Terminsladung gegenüber der Jugendgerichtshilfe" erfolgt. Sollte damit gemeint sein, dass die Jugendgerichtshilfe nicht zur Hauptverhandlung geladen worden sei, wäre der Vortrag unwahr (vgl. SA Bd. III Bl. 624, SA Bd. IV Bl. 654). Sollte gemeint sein, die Jugendgerichtshilfe sei zwar geladen worden, aber nicht ordnungsgemäß, wäre der Vortrag mangels weiterer Darlegungen (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) aus sich heraus nicht verständlich. Die Bewertung eines Vorgangs als nicht ordnungsgemäß kann Ergebnis einerrechtlichen Überprüfung dieses Vorgangs sein, die konkrete Angabe von Tatsachen, die diese Bewertung tragen sollen, aber nicht ersetzen (vgl. BGH NJW 2006, 1220, 1222). 

2. Ist die Jugendgerichtshilfe geladen, ergibt sich allein daraus, dass in der Hauptverhandlung niemand von der Jugendgerichtshilfe anwesend war, kein Rechtsfehler (BGH StraFo 2003,379 m. w. N.). Die auch im Übrigen unzutreffende Auffassung der Revision, Hinweise gemäß § 265 StPO müssten auch gegenüber der Jugendgerichtshilfe erteilt werden, geht auch deshalb ins Leere. 

3. Soweit die Revision rügt, der Jugendhilfebericht sei in der Hauptverhandlung verlesen worden, trägt sie nicht vor, dass dies im allseitigen Einverständnis geschah (SA Bd. IV Bl. 678). Damit fehlt auch insoweit gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO gebotener Vortrag. Der Hinweis auf das allseitige Einverständnis zeigt nämlich die Rechtsgrundlage auf, auf die die Verlesung gestützt wurde. Dies ist für die Prüfung der Zulässigkeit der Verlesung wesentlich. Das Ergebnis dieser Prüfung könnte unterschiedlich ausfallen, je nachdem, ob die Verlesung etwa auf § 256 StPO gestützt war (vgl. hierzu Diemer in KK 5. Aufl. § 256 Rdn. 5; Laubenthal, Jugendgerichtshilfe im Strafverfahren 1993 S.118 m. N.), oder wie offenbar hier, auf § 251 Abs.1 Nr.1 StPO (vgl. zum inhaltlich identischen § 251 Abs. 2 Satz 1 StPO F. Laubenthal aaO S. 118, 119). Näher nachzugehen braucht der Senat alledem im Hinblick auf den unzureichenden Revisionsvortrag aber nicht. Da die Revision auch den Inhalt des Jugendhilfeberichts nicht mitteilt, könnte der Senat im Übrigen selbst dann, wenn feststünde, dass die Verlesung fehlerhaft war - was nicht der Fall ist -, ohnehin nicht prüfen, ob sie sich zum Nachteil des Angeklagten auf das Urteil ausgewirkt haben kann. 

4. Die Revision macht geltend, es sei keine Gelegenheit zur Stellungnahme nach der Verlesung des Jugendhilfeberichts erteilt worden. Hinsichtlich des Angeklagten ist dies ausweislich des (von der Revision auch insoweit nicht vorgetragenen) Hauptverhandlungsprotokolls falsch (SA Bd. IV Bl. 678). Dem Verteidiger ist die Befugnis, sich nach einer Beweiserhebung zu äußern - ebenso wie dem Staatsanwalt - nur auf Verlangen einzuräumen, § 257 Abs. 2 StPO. Dementsprechend muss derjenige, der eine Verletzung dieses Rechts rügen will, vortragen, dass er sich zu Wort gemeldet habe, um eine solche Erklärung abzugeben, ihm dies aber verwehrt worden sei (vgl. Gollwitzer in Löwe/Rosenberg StPO 25. Aufl. § 257 Rdn. 26). Schon daran fehlt es. Ebenso wenig ist vorgetragen, dass der als Voraussetzung für eine derartige Verfahrensrüge in der Regel erforderliche Gerichtsbeschluss (§ 238 Abs. 2 StPO) eingeholt wurde (vgl. Julius in HK 3. Aufl. § 257 Rdn. 10, 12; Diemer in KK 5. Aufl. § 257 Rdn. 5), und warum, vor allem im Hinblick auf die Schlussausführungen (§ 258 Abs. 1 StPO), die behauptete Verletzung von § 257 Abs. 2 StPO auf das Urteil irgend einen Einfluss gehabt haben könnte (vgl. Julius aaO Rdn. 12; Gollwitzer aaO Rdn. 27,28 m. w. N.). 

5. Die Revision macht geltend, es wäre möglich gewesen, einen während der Hauptverhandlung gemäß § 265 StPO erteilten Hinweis schon in einem früheren Stadium der Hauptverhandlung zu erteilen. Es trifft zu, dass ein Hinweis gemäß § 265 StPO zu erteilen ist, sobald sich erstmals die Möglichkeit einer anderen rechtlichen Beurteilung ergibt, also so früh wie möglich (vgl. Meyer-Goßner, StPO 49. Aufl. § 265 Rdn. 32; Engelhardt in KK 5. Aufl. § 265 Rdn.18 m. w. N.). Ob dies hier der Fall war, mag dahinstehen. Eine Verfahrensrüge, der Hinweis sei verspätet erfolgt, kann jedoch in aller Regel keinen Erfolg haben, wenn - wie auch hier - kein Antrag auf Aussetzung des Verfahrens gestellt worden war (vgl. BGH, Urteil vom 2. Juni 1982 - 2 StR 182/82; Engelhardt aaO). Hierauf hat auch der Vertreter der Nebenklage im vom 14. September 2006 zur Erwiderung auf das Revisionsvorbringen zutreffend hingewiesen. Gründe des Einzelfalls, die vorliegend ausnahmsweise eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten, sind nicht erkennbar.

6. Auch die auf Grund der Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben, wie dies auch der Generalbundesanwalt im Einzelnen zutreffend vorgetragen hat. 

7. Der Senat bemerkt, dass es zweckmäßig gewesen wäre, wenn die Staatsanwaltschaft gemäß § 347 Abs. 1 Satz 2 StPO von der Möglichkeit einer Revisionsgegenerklärung Gebrauch gemacht hätte (vgl. BGH StV 2006, 286,287 m. w. N.). Insbesondere Hinweise auf die Ladung der Jugendgerichtshilfe (vgl. oben 1.), das allseitige Einverständnis mit der Verlesung des Jugendhilfeberichts (vgl. oben 3.) und die Beachtung von § 257 Abs.1 StPO in der Hauptverhandlung (vgl. oben 4.) hätten die Überprüfung des entsprechenden Revisionsvorbringens nicht unerheblich erleichtert (Nr. 162 Abs. 2 RiStBV). Auch Hinweise des Vorsitzenden auf die genannten Punkte hätten hilfreich sein können (vgl. BGH StraFo 2003, 379,380 m. w. N.).

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