StPO § 260 Korrektur der Urteilsformel durch das Revisionsgericht

BGH, Urt. v. 27.01.2021 – 6 StR 399/20

Die Korrektur eines vom Sitzungsprotokoll abweichenden Urteilstenors in der Urteilsurkunde durch das Revisionsgericht setzt eine ordnungsgemäß erhobene Verfahrensrüge voraus.
Der 6. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. Januar 2021 beschlossen:
Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 9. Juli 2020,

a) soweit es den Angeklagten G. betrifft,

aa) im Schuldspruch dahin klargestellt, dass er des Diebstahls in drei Fällen und der leichtfertigen Geldwäsche in zwei Fällen schuldig ist,

bb) in den Aussprüchen über die Einzelstrafen in den Fällen II. 2. und 3. der Urteilsgründe und die Gesamtstrafe aufgehoben; jedoch bleiben die jeweils zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten,

b) soweit es den Angeklagten J. betrifft, im Strafausspruch aufgehoben; jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.

Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten G. ausweislich der Sitzungsniederschrift wegen Diebstahls in drei Fällen und wegen „leichtfertiger Geldwäsche“ in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt; das schriftliche Urteil weist demgegenüber eine Verurteilung wegen Diebstahls in drei Fällen und wegen (vorsätzlich begangener) „Geldwäsche“ in zwei Fällen aus. Den Angeklagten J. hat das Landgericht wegen Diebstahls in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Außerdem hat es Einziehungsentscheidungen getroffen. Die auf Verfahrensbeanstandungen und die Sachrüge gestützten Revisionen der Angeklagten haben in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen sind die Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Der Angekl. G beanstandet zu Recht, dass die Urteilsformel anders verkündet worden sei, als in der Urteilsurkunde wiedergegeben. Der authentische Wortlaut der Urteilsformel ergibt sich allein aus der nach § 274 StPO maßgeblichen Sitzungsniederschrift (vgl. BGH Beschl. v. 9.5.2001 – 2 StR 42/01, NStZ-RR 2002, 100; v. 6.2.2013 – 1 StR 529/12 Rn. 3 mwN). Der Senat stellt den Schuldspruch insoweit klar.

3a) Der Senat teilt die vom 3. Strafsenat (vgl. BGH Beschl. v. 3.5.2019 – 3 StR 462/18 Rn. 3 f.) und vom 5. Strafsenat (vgl. BGH Beschl. v. 23.6.2020 – 5 StR 189/20 Rn. 4 f.) vertretene Auffassung, wonach die Korrektur eines vom Sitzungsprotokoll abweichenden Urteilstenors in der Urteilsurkunde durch das Revisionsgericht eine ordnungsgemäß erhobene Verfahrensrüge voraussetzt.
Der Ansicht des 1. Strafsenats, dass die Übereinstimmung der protokollierten und der im schriftlichen Urteil enthaltenen Urteilsformel von Amts wegen zu prüfen sei, weil „die Existenz eines erstinstanzlichen Urteils und dessen Inhalt“ ebenso wie eine wirksame Anklageerhebung und ein wirksamer Eröffnungsbeschluss „gewissermaßen“ Verfahrensvoraussetzung für das Revisionsverfahren sei (vgl. BGH Urt. v. 10.10.2019 – 1 StR 632/18, NStZ 2020, 371, 372; nicht tragend), vermag der Senat dagegen nicht zu folgen.

4b) Dem Revisionsvorbringen lässt sich eine entsprechende Verfahrensrüge entnehmen. Dem steht nicht entgegen, dass der Beschwerdeführer die Divergenz zwischen dem ausweislich des Sitzungsprotokolls verkündeten und dem in der Urteilsurkunde wiedergegebenen Urteilstenor im Rahmen seiner Ausführungen zur Sachrüge beanstandet hat. Der Sache nach richtet er sich gegen das Verfahren, wie sich auch aus einer Bezugnahme auf sein Vorbringen zur Begründung der – erfolglosen – Verfahrensrüge ergibt, das Urteil sei nicht innerhalb des sich aus § 275 Abs. 1 S. 2 StPO ergebenden Zeitraums zu den Akten gebracht worden (§ 338 Nr. 7 StPO). Die Rüge ist ordnungsgemäß erhoben, weil sich die beanstandete Abweichung der in der Hauptverhandlung verkündeten von der in der Urteilsgründe wiedergegebenen Urteilsformel allein aufgrund des Rügevorbringens beurteilen lässt (§ 344 Abs. 2 S. 2 StPO).

2. Die in den Fällen II.2 und 3 der Urteilsgründe gegen den Angekl. G verhängten Strafen haben keinen Bestand. …

3. Der Strafausspruch gegen den Angekl. J hält rechtlicher Überprüfung insgesamt nicht stand. Das LG hat jeweils strafschärfend berücksichtigt, dass der Angekl. „zur Tatzeit mehrfach, unter anderem einschlägig vorbelastet“ war und dabei insbesondere auf fünf ausländische Verurteilungen abgestellt, die nach deutschem Recht tilgungsreif wären. Nach den Feststellungen wurde der seinerzeit noch jugendliche bzw. heranwachsende Angekl. von September 1995 bis 4.2.1997 in Polen viermal zu Freiheitsstrafen von bis zu einem Jahr verurteilt, aus denen am 28.2.1997 eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten gebildet wurde. Der Angekl. verbüßte davon sechs Monate; der Strafrest wurde zur Bewährung ausgesetzt und schließlich erlassen. Das nächste Strafurteil gegen ihn erging erst am 4.4.2003.
Das LG hat bei der strafschärfenden Bewertung der ersten fünf Verurteilungen des Angekl. berücksichtigt, dass der Angekl. seinerzeit „Jugendlicher bzw. Heranwachsender“ war und nach deutschem Recht „Jugendstrafrecht anzuwenden gewesen wäre“. Es hat indes nicht bedacht, dass ausländische Verurteilungen nicht mehr verwertet werden dürfen, wenn sie nach deutschem Recht tilgungsreif wären (vgl. BGH Beschl. v. 19.10.2011 – 4 StR 425/11, NStZ-RR 2012, 305; v. 19.1.2015 – 3 StR 588/14). Das wäre hier der Fall.
Wenn am 28.2.1997 gegen den Angekl. J eine Jugendstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verhängt und die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung ausgesetzt worden wäre, hätte die Tilgungsfrist gem. § 46 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d BZRG fünf Jahre betragen. Ein Fall der Fristverlängerung nach § 46 Abs. 3 BZRG hätte nicht vorgelegen. Der Ablauf der Frist wäre nicht gem. § 47 Abs. 2 BZRG gehemmt gewesen, weil diese Vorschrift bei ausländischen Verurteilungen nicht anwendbar ist (vgl. BeckOK StPO/Bücherl, 38. Ed., BZRG § 47 Rn. 4). Auch die Eintragung der Verurteilung vom 4.4.2003 hätte keine Ablaufhemmung bewirkt, weil bereits Tilgungsreife eingetreten gewesen wäre (vgl. dazu BeckOK StPO/Bücherl, aaO Rn. 13).

4. Im Umfang der Aufhebung bedarf die Sache neuer Verhandlung und Entscheidung. Die jeweils zugehörigen Feststellungen können aufrechterhalten bleiben, weil sie von den Rechtsfehlern nicht berührt sind (siehe § 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, sofern sie den bisherigen nicht widersprechen.