StPO § 261 - Vernehmung eines Richters als Zeuge - keine unmittelbare Verwertung des vorgehaltenen Protokolls
StPO § 261 - Vernehmung eines Richters als Zeuge - keine unmittelbare Verwertung des vorgehaltenen Protokolls
BGH, Beschl. v. 09.02.2010 - 4 StR 660/09 = NStZ 2010, 406
Zwar ist es nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zulässig, einen Richter als Zeugen über die von der das Zeugnis in der Hauptverhandlung verweigernden Person gemachten Aussagen zu vernehmen, sofern er an einer richterlichen Vernehmung dieser Beweisperson beteiligt war. Auch dürfen dem Richter, der die Vernehmung durchgeführt hat, die Vernehmungsprotokolle - notfalls durch Vorlesen - als Vernehmungsbehelf vorgehalten werden. Grundlage der Feststellung des Sachverhalts kann jedoch nur das in der Hauptverhandlung erstattete Zeugnis des Richters über den Inhalt der früheren Aussage des jetzt die Aussage verweigernden Zeugen sein, nicht aber der Inhalt der Vernehmungsniederschrift selbst. Deshalb genügt nicht, wenn der Richter lediglich erklärt, er habe die Aussage richtig aufgenommen; verwertbar ist nur das, was - ggf. auf den Vorhalt hin - in die Erinnerung des Richters zurückkehrt.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 9. Februar 2010 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 7. Oktober 2009 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in fünf Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit sexueller Nötigung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und vier Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechts-mittel hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
1. Die Jugendschutzkammer hat den Angeklagten des sexuellen Missbrauchs seiner Tochter A. insbesondere aufgrund deren für glaubhaft erachteter Aussage als überführt angesehen. Dabei hat das Landgericht - im Ansatz zu Recht - auch der Aussageentstehung eine besondere Bedeutung zuerkannt und in diesem Zusammenhang festgestellt, A. habe bereits 1997 ihrer Halbschwester J. R. erzählt, ihr Vater habe an ihr "herumgegrabscht" und versucht, in ihr Geschlechtsteil einzudringen; dabei habe sie, A. , geweint und gefragt, ob J. und ihr Mann nicht hörten, wie sie nachts "Aua, aua, Vati, hör auf!" rufe, was beide bis dahin jedoch nicht gehört hatten. Weiter hat das Landgericht in diesem Zusammenhang festgestellt, einige Zeit später habe J. R. nachts bei ihrer Rückkehr in ihre Wohnung A. in der darüber liegenden Wohnung rufen hören "Hör auf, es tut weh, lass das!" und auch das Wort "Vati" vernommen (UA 9). Bei diesen Feststellungen konnte sich das Landgericht nicht auf die Aussage der J. R. stützen, die in der Hauptverhandlung das Zeugnis verweigert hat. Deshalb hat das Landgericht hierzu den Richter am Amtsgericht B. gehört, der J. R. im Ermittlungsverfahren vernommen hatte. Zum Inhalt seiner Aussage heißt es in dem angefochtenen Urteil: "Zwar konnte sich der Zeuge B. so gut wie nicht mehr an die Sache erinnern, er wusste jedoch noch, dass er - wie stets - die Antworten der damaligen Zeugin selbst zusammengefasst und ins Diktiergerät gesprochen habe. Auf Vorhalt der betreffenden Passage der Vernehmung bestätigte der Zeuge B., es müsse damals so gewesen sein“ (UA 22).
2. Wie die Revision zu Recht rügt, hat das Landgericht hiermit gegen § 252 i.V.m. § 261 StPO verstoßen. Zwar ist es nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zulässig, einen Richter als Zeugen über die von der das Zeugnis in der Hauptverhandlung verweigernden Person gemachten Aussagen zu vernehmen, sofern er an einer richterlichen Vernehmung dieser Beweisperson beteiligt war (vgl. Meyer-Goßner StPO 52. Aufl. § 252 Rdn.14 m. Nachw.). Auch dürfen dem Richter, der die Vernehmung durchgeführt hat, die Vernehmungsprotokolle - notfalls durch Vorlesen - als Vernehmungsbehelf vorgehalten werden (vgl. BGH NJW 2000, 1580). Grundlage der Feststellung des Sachverhalts kann jedoch nur das in der Hauptverhandlung erstattete Zeugnis des Richters über den Inhalt der früheren Aussage des jetzt die Aussage verweigernden Zeugen sein, nicht aber der Inhalt der Vernehmungsniederschrift selbst. Deshalb genügt nicht, wenn der Richter lediglich erklärt, er habe die Aussage richtig aufgenommen; verwertbar ist nur das, was - ggf. auf den Vorhalt hin - in die Erinnerung des Richters zurückkehrt (BGH, Beschl. vom 4. April 2001 - 5 StR 604/00, StV 2001, 386; Meyer-Goßner aaO Rdn. 15). Hier ergibt sich aus den allein maßgebenden Urteilsgründen, dass Richter am Amtsgericht B. als Zeuge keine genügende Erinnerung mehr an den Inhalt der Aussage der J. R. hatte. Es ist deshalb nahe liegend, dass das Landgericht bei den Feststellungen zu den Beobachtungen der J. R. nicht auf die Aussage des Richters B., sondern auf das Protokoll ihrer richterlichen Vernehmung zurückgegriffen hat. Das war nicht zulässig. Der aufgezeigte Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Urteils. Denn das Landgericht hat ausdrücklich für die Annahme der Glaubhaftigkeit der Angaben von A. auch auf deren erste Offenbarung gegenüber ihrer Halbschwester und darauf abgestellt, dass J. R. "aufgrund deren nächtlichen verzweifelten Rufens von einem Missbrauch A. s durch (den Angeklagten) erfahren“ habe (UA 20 und 22). Das Urteil lässt auch nicht erkennen, dass das Landgericht etwa auf andere Weise über die nächtliche Wahrnehmung der J. R. Beweis erhoben hat. Der Senat kann danach letztlich nicht ausschließen, dass das Landgericht ohne die Verwertung der früheren Angaben der J. R. zu einer anderen Beweiswürdigung gelangt wäre.
3. Über die Sache ist deshalb insgesamt neu zu entscheiden. Für das weitere Verfahren weist der Senat mit Blick auf UA 15 vorsorglich darauf hin, dass die im Bundeszentralregister getilgte frühere Verurteilung des Angeklagten gemäß § 51 Abs. 1 BZRG auch nicht bei der Beweiswürdigung zum Nachteil des Angeklagten verwendet werden darf.
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