StPO § 261 Zweifelsgrundsatz und BtM-Eigenkonsum

BGH, Beschl. v. 25.08.2020 – 4 StR 158/20

Nach dem Zweifelsgrundsatz ist bei unsicherer Erkenntnislage von der für den Angeklagten günstigsten Variante auszugehen, sofern es dafür tatsächliche Anhaltspunkte gibt. Besitzt der Täter Betäubungsmittel (hier: Haschischplatten mit einem Gewicht von insgesamt 378,94 Gramm und einem Wirkstoffgehalt von 15,6 %) teils zur gewinnbringenden Weiterveräußerung und teils zum Eigenverbrauch, so muss das Gericht im Zweifel sowohl bei der Bestimmung der für den  gewinnbringenden Weiterverkauf vorgesehenen Teilmenge als auch bei der Bestimmung des Eigenverbrauchsanteils die für den Angeklagten günstigste Variante zugrunde legen. Für die Bestimmung des Schuldumfangs kommt es auf die den jeweiligen Tatbeständen zugeordneten Teilmengen und den darin enthaltenen Wirkstoffanteil und nicht auf die Gesamtmenge an.

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 25. August 2020 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:

Tenor:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 12. Dezember 2019 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.


Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und in Tateinheit mit einem Verstoß gegen das Waffengesetz zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt. Eine näher bezeichnete Schreckschusspistole nebst Munition und einen Bargeldbetrag in Höhe von 4.280 Euro hat es eingezogen sowie eine Kompensationsentscheidung getroffen. Mit seiner Revision wendet sich der Angeklagte gegen seine Verurteilung.

Das Rechtsmittel hat Erfolg.

1. Nach den Feststellungen wurde der Angeklagte am 10. Oktober 2017 von Polizeibeamten

durchsucht. Dabei führte er in seiner Jackentasche zwei Platten Haschisch und 4.280 Euro Bargeld mit sich. Die Betäubungsmittel waren für den gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt. Das Bargeld stammte aus anderen Betäubungsmittelgeschäften. Als er zur  Identitätsfeststellung auf die Polizeiwache gebracht werden sollte, sperrte sich der Angeklagte dagegen und wehrte sich gegen seine Fesselung, indem er versuchte, nach den Beamten zu schlagen und zu treten.

Dabei fiel ihm ein geladener Schreckschussrevolver aus der Kleidung, den er bewusst gebrauchsbereit mit sich führte. In seiner Wohnung verwahrte der Angeklagte eine weitere Haschischplatte sowie Haschischstücke, die zum Teil verpackt waren. Insgesamt wurden bei dem Angeklagten 378,94 Gramm Haschisch mit einem Wirkstoffgehalt von 15,6 %  aufgefunden. Eine Teilmenge vom 96 Gramm Haschisch war für den Eigenkonsum bestimmt; die verbleibende Menge von 282,64 Gramm war für den gewinnbringenden Weiterverkauf vorgesehen.

2. Die tateinheitlich erfolgte Verurteilung wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge hat keinen Bestand, weil die zugrunde liegende Beweiswürdigung gegen den Zweifelsgrundsatz verstößt und deshalb einen durchgreifenden Rechtsfehler aufweist. Das Landgericht hat die für den gewinnbringenden Weiterverkauf vorgesehene Teilmenge der aufgefundenen Betäubungsmittel bestimmt, indem es zu Gunsten des Angeklagten davon ausgegangen ist, dass die Haschischplatte mit dem höchsten Gewicht (96,3 Gramm) für den Eigenverbrauch bestimmt und die verbleibende Menge für den gewinnbringenden Weiterverkauf vorgesehen war (UA 19). Diese Erwägung ist in Bezug auf die Verurteilung wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

Denn nach dem Zweifelsgrundsatz ist bei unsicherer Erkenntnislage von der für den Angeklagten günstigsten Variante auszugehen, sofern es dafür tatsächliche Anhaltspunkte gibt (vgl. BGH, Urteil vom 17. März 2005 – 4 StR 581/04, NStZ-RR 2005, 209; Fischer in: KK-StPO, 8. Aufl., Einl. Rn. 50 mwN). Die Strafkammer ist dann aber auch bei ihrer Bestimmung des Eigenverbrauchsanteils von diesem Gewicht ausgegangen. Damit hat sie – trotz einer auch hier bestehenden Unsicherheit – den Feststellungen zum unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge die für den Angeklagten ungünstigste Variante zugrunde gelegt. Stattdessen wäre hier in erneuter Anwendung des Zweifelsgrundsatzes von dem Gewicht der leichtesten sichergestellten Haschischplatte auszugehen gewesen (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Juni 2018 – 4 StR 116/18, NStZ 2019, 97 Rn. 2). Da die Urteilsgründe das in Bezug genommene Ergebnis des Gutachtens des Landeskriminalamtes Nordrhein-Westfahlen nicht näher mitteilen, kann der Senat nicht ausschließen, dass die leichteste Haschischplatte weniger als 7,5 Gramm Tetra-Hydrocannabinol aufwies und deshalb bei richtiger Anwendung des Zweifelsgrundsatzes die Grenze zur nicht geringen Menge unterschritten worden wäre. Damit ist der Schuldspruch wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nicht belegt und war daher aufzuheben. Dies hat zur Folge, dass auch die weiteren tateinheitlich erfolgten Verurteilungen nicht bestehen bleiben können (vgl. BGH, Urteil vom 7. Juli 2011 – 5 StR 561/10, NJW 2011, 2895 Rn. 30 mwN).

3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf das Folgende hin:

Sollte der neue Tatrichter wiederum zu der Feststellung gelangen, dass der Angeklagte die geladene Schreckschusswaffe (zu den erforderlichen Eigenschaften vgl. BGH, Beschluss vom 10. Februar 2015 – 5 StR 594/14, NStZ 2015, 349) bei sich geführt hat, wird er sich unter dem Gesichtspunkt des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG auch in der Beweiswürdigung damit befassen müssen, ob dem Angeklagten der Ladezustand des Revolvers bekannt war.

Besitzt der Täter Betäubungsmittel teils zur gewinnbringenden Weiterveräußerung und teils zu anderen Zwecken, geht der Besitz an der zum Handel bestimmten Betäubungsmittelmenge im Handeltreiben mit Betäubungsmitteln auf. Nur für die anderen Zwecken dienende Menge verbleibt es bei der Strafbarkeit wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln (vgl. BGH, Beschluss vom 12. September 2017 – 4 StR 298/17, Rn. 6; Beschluss vom 14. August 2002 ‒ 2 StR 249/02, NStZ 2003, 90 Rn. 11). Für die Bestimmung des Schuldumfangs kommt es daher auf die den jeweiligen Tatbeständen zugeordneten Teilmengen und den darin enthaltenen Wirkstoffanteil und nicht auf die Gesamtmenge an.

Sollte der neue Tatrichter wiederum eine erweiterte Einziehung des sichergestellten Geldbetrages gemäß § 73a Abs. 1 StGB mit der Begründung in Erwägung ziehen, dieser stamme aus früheren Betäubungsmittelgeschäften des Angeklagten, wird er zu erörtern haben, dass der Angeklagte von dem Vorwurf in der Zeit von Juli 2016 bis zum 10. Oktober 2017 in 66 Fällen mit  Betäubungsmitteln Handel getrieben zu haben, rechtskräftig freigesprochen ist.