StPO § 265 Abs. 4 Aussetzungsantrag bei nicht ordnungsgemäß mitgeteilter Anklageschrift
BGH, Urt. v. 23.12.2015 – 2 StR 2 457/14 – BeckRS 2016, 04742
Ein Angeklagter, dem die Anklageschrift nicht ordnungsgemäß mitgeteilt wurde, kann grundsätzlich die Aussetzung der Hauptverhandlung verlangen, um seine Verteidigung genügend vorbereiten zu können. Dem Tatrichter steht bei der Entscheidung über einen solchen Aussetzungsantrag entsprechend § 265 IV StPO ein Ermessensspielraum zu
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom 25. November 2015, in der Sitzung am 23. Dezember 2015 für Recht erkannt:
Auf die Revision der Angeklagten F. wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 20. Mai 2014, soweit es sie betrifft und sie verurteilt worden ist, mit den Feststellungen aufgehoben.
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorgenannte Urteil mit den Feststellungen aufgehoben,
1.
a) soweit die Angeklagten J. und F. im Fall 10 der Anklage freigesprochen worden sind, b) soweit die Angeklagte F. verurteilt worden ist
aa) im Fall 9 der Anklage,
bb) im Ausspruch über die Gesamtstrafen.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Gründe: Das Landgericht hat den Angeklagten J. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen und Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen. Die Angeklagte F. hat die Strafkammer unter Freisprechung im Übrigen wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer (ersten) Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten und wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen und Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer (weiteren) Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt; die von der Angeklagten in Frankreich (Guadeloupe) erlittene Auslieferungshaft hat es im Verhältnis 1:2 angerechnet. Die Angeklagte F. beanstandet mit ihrer Revision das Verfahren und erhebt die Sachrüge, soweit sie verurteilt ist. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer zu Ungunsten der beiden Angeklagten auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision gegen den Freispruch im Fall 10 der Anklage. Außerdem beanstandet sie, dass die Angeklagte F. im Fall 9 der Anklage lediglich wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und nicht auch - tateinheitlich - wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt worden ist. Die Rechtsmittel haben in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. […]
II. Revision der Angeklagten F.
1. Die Revision der Angeklagten F. hat mit der Rüge, die Strafkammer habe gegen Art. 6 Abs. 3 Buchst. a) MRK und den Grundsatz des fairen Verfahrens verstoßen, weil sie der der deutschen Sprache nicht mächtigen Angeklagten erst am 7. Hauptverhandlungstag eine schriftliche Übersetzung der Anklageschrift überlassen und einen Antrag auf Aussetzung des Verfahrens zurückgewiesen habe, Erfolg.
a) Der Rüge liegt folgender Verfahrensablauf zugrunde: Der Vorsitzende der Strafkammer verfügte am 4. November 2013 die (formlose) Übersendung der 19 Seiten umfassenden Anklage der Staatsanwaltschaft Aachen vom 29. Oktober 2013 an alle drei Angeklagten, verbunden mit dem Zusatz, dass die Zustellung an den jeweiligen Verteidiger erfolge und die Übersetzung in die spanische Sprache veranlasst sei. Die Anklageschrift ging der Verteidigerin der Angeklagten F. am 5. November 2013 zu. Am 15. November 2013 ging die übersetzte Anklageschrift auf der Geschäftsstelle der Strafkammer ein. Mit Verfügung der Geschäftsstelle vom 18. November 2013 wurde die formlose Übersendung der übersetzten Anklageschriften an alle drei inhaftierten Angeklagten veranlasst. Die Angeklagte F. hat - anders als die beiden anderen Angeklagten - die Übersetzung der Anklageschrift nicht erhalten; ein schriftliches Empfangsbekenntnis oder ein sonstiger Nachweis dafür, dass die der deutschen Sprache nicht mächtige Angeklagte F. die in die spanische Sprache übersetzte Anklageschrift in der Justizvollzugsanstalt tatsächlich erhalten hat, existiert nicht. Es kann lediglich nachgewiesen werden, dass der Angeklagten zu einem früheren Zeitpunkt eine Übersetzung des sechs Seiten umfassenden Haftbefehls vom 23. Mai 2013 ausgehändigt worden war, der aber nur einen Teil der später angeklagten Taten zum Gegenstand hatte. Am 11. Februar 2014, dem ersten Hauptverhandlungstag, wurde die Anklage verlesen und durch eine Dolmetscherin für die spanische Sprache übersetzt. Weder an diesem Tag noch an den weiteren fünf Verhandlungstagen hat die Angeklagte eine schriftliche Übersetzung der Anklageschrift erhalten. Am 17. März 2014 stellte die Verteidigerin der Angeklagten F. im Rahmen einer weiteren Besprechung mit dieser fest, dass die Angeklagte lediglich - wie von ihr behauptet und wovon das Gericht aufgrund angestellter Nachforschungen ausgeht - im Besitz einer Übersetzung des Haftbefehls vom 23. Mai 2013 war, eine schriftliche Übersetzung der Anklageschrift hingegen nicht erhalten hatte. Nachdem die Angeklagte F. sich am folgenden Verhandlungstag (18. März 2014) zum Tatvorwurf eingelassen hatte, rügte die Verteidigerin, dass die Angeklagte keine schriftliche Übersetzung der Anklageschrift erhalten habe und beantragte die Aussetzung des Verfahrens. Die Strafkammer hat den Antrag auf Aussetzung des Verfahrens mit Beschluss vom selben Tag zurückgewiesen. Ein Grund für eine Verfahrensaussetzung sei nicht gegeben, „nachdem das Gericht erst am heutigen siebten Verhandlungstag erfahren hat, dass die Angeklagte F. die an sie bereits im November 2013 übersandte Übersetzung der Anklage nach ihren Angaben nicht erhalten hat. Die Angeklagte ist anwaltlich vertreten. Der Nichterhalt der Übersetzung der Anklage hätte gegebenenfalls dem Gericht spätestens zu Beginn der Hauptverhandlung mitgeteilt werden können. Im Übrigen ist die Verlesung des Anklagesatzes am ersten Hauptverhandlungstag auch in die spanische Sprache übersetzt worden durch die Dolmetscherin“. Der Angeklagten wurde sodann ein Überstück der übersetzten Anklage ausgehändigt. Die von der Verteidigerin erhobene Gegenvorstellung im Verhandlungstermin blieb ohne Erfolg. Unmittelbar danach wurde die Hauptverhandlung mit der Beweisaufnahme an weiteren sieben Verhandlungstagen fortgesetzt.
b) Die Verfahrensrüge ist begründet. Die Entscheidung der Strafkammer, den Antrag auf Aussetzung zurückzuweisen und die Hauptverhandlung unmittelbar fortzusetzen, ist rechtsfehlerhaft und verstößt gegen Art. 6 Abs. 3 Buchst. a) MRK sowie den Grundsatz des fairen Verfahrens.
aa) Ein Angeklagter kann auf die das Strafverfahren abschließende Entscheidung nur dann hinreichend Einfluss nehmen, wenn ihm der Verfahrensgegenstand in vollem Umfang bekannt ist. Dies setzt auch die Kenntnis der Anklageschrift voraus. Deshalb hat ein Angeklagter nach Art. 6 Abs. 3 Buchst. a) MRK das Recht, innerhalb möglichst kurzer Frist in einer ihm verständlichen Sprache in allen Einzelheiten über Art und Grund der gegen ihn erhobenen Beschuldigung unterrichtet zu werden. Dieses Recht beinhaltet für den der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtigen Beschuldigten grundsätzlich die Übersendung einer Übersetzung der Anklageschrift in einer für ihn verständlichen Sprache; dies hat in aller Regel schon vor der Hauptverhandlung zu geschehen (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Juli 2014 - 3 StR 262/14, BGHR MRK Art. 6 Abs. 3 Buchst. a) Unterrichtung 1). Die Überlassung der übersetzten Anklageschrift an die Angeklagte F. am siebten Verhandlungstag war deshalb zu spät. Die mündliche Übersetzung allein des Anklagesatzes in der Hauptverhandlung genügt nur in Ausnahmefällen, namentlich dann, wenn - wie hier gerade nicht - der Verfahrensgegenstand tatsächlich und rechtlich einfach zu überschauen ist (Meyer- Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., Art. 6 MRK Rn. 18 mwN). Der Umstand, dass die Angeklagte eine Verteidigerin hat, führt - auch unter Berücksichtigung des § 187 Abs. 2 Satz 5 GVG - zu keiner abweichenden rechtlichen Bewertung (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Juli 2014 - 3 StR 262/14, BGHR MRK Art. 6 Abs. 3 Buchst. a) Unterrichtung 1).
bb) Ein Angeklagter, dem die Anklageschrift nicht ordnungsgemäß mitgeteilt wurde, kann grundsätzlich die Aussetzung der Hauptverhandlung verlangen, um seine Verteidigung genügend vorbereiten zu können (vgl. BGH, Beschluss vom 14. September 1977 - 3 StR 278/77, bei Holtz MDR 1978, 111 f.; OLG Celle, StV 1998, 531, 532; Stuckenberg, in: Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 201 Rn. 46; Schneider, in: KK-StPO, 7. Aufl., § 201 Rn. 11; Meyer- Goßner/Schmitt, aaO, § 201 Rn. 10, jeweils mwN). Dem Tatrichter steht bei der Entscheidung über einen solchen Aussetzungsantrag entsprechend §265 Abs.4 StPO ein Ermessensspielraum zu (vgl. Stuckenberg, in: Löwe/ Rosenberg, aaO, § 265 Rn. 109). Ob dieser Ermessensspielraum wegen der Funktion der (übersetzten) Anklageschrift für die Vorbereitung einer sachgerechten Verteidigung auf Null reduziert ist und dem Gericht ein Ermessen deshalb nur im Rahmen der Entscheidung darüber zusteht, wie lange es den Zeitraum bemisst, den es dem Angeklagten für die Vorbereitung der (Fortsetzung der) Hauptverhandlung zur Verfügung stellt (vgl. OLG Celle, StV 1998, 531, 532; Rübenstahl, StraFo 2005, 30, 32), oder ob (bereits) eine angemessene Unterbrechung der Hauptverhandlung genügt (vgl. auch Stuckenberg, in: Löwe/ Rosenberg, aaO, § 265 Rn. 112; Kuckein, in: KK-StPO, aaO, § 265 Rn. 30; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 265 Rn. 39), kann der Senat - 497 - hier offen lassen. Denn dem Beschluss vom 18. März 2013, mit dem die Strafkammer den Aussetzungsantrag zurückgewiesen hat, ist schon nicht zu entnehmen, dass sich das Landgericht überhaupt seines Ermessens bewusst gewesen ist.
cc) Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil, das nach Überlassung der schriftlichen Übersetzung der Anklageschrift nach sieben weiteren Hauptverhandlungstagen ergangen ist, auf einem etwaigen Informationsdefizit beruht, zumal sich die Angeklagte in Unkenntnis der schriftlichen Übersetzung der Anklage bereits am siebten Hauptverhandlungstag zu den Tatvorwürfen eingelassen hat (vgl. - insoweit anders gelagert - BGH, Beschluss vom 10. Juli 2014 - 3 StR 262/14, BGHR MRK Art. 6 Abs. 3 Buchst. a) Unterrichtung 1).
III. Revision der Staatsanwaltschaft Die zu Ungunsten der beiden Angeklagten J. und F. eingelegte und wirksam beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft beanstandet mit einer Aufklärungs- und einer Beweisantragsrüge den Freispruch der Angeklagten im Fall 10 der Anklage. Außerdem wendet sie sich dagegen, dass die Angeklagte F. im Fall 9 der Anklage außer wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nicht auch - tateinheitlich - wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt worden ist. Bereits die Aufklärungsrüge dringt hinsichtlich der Teilfreisprüche durch. Die Sachrüge führt sowohl zugunsten wie auch zuungunsten der Angeklagten F. zur Aufhebung im Fall 9 der Anklage.
1. Die von der Staatsanwaltschaft erhobene Rüge der Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) führt zur Aufhebung hinsichtlich der Freisprüche im Fall 10 der Anklage.
a) Die Beschwerdeführerin beanstandet, dass die Strafkammer rechtsfehlerhaft davon ausgegangen sei, die Zeugin Ba. habe sich umfassend auf ihr Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO berufen; deswegen habe sie rechtsfehlerhaft von weiteren Anstrengungen, die Zeugin - gegebenenfalls im Rahmen einer audiovisuellen Vernehmung im Rechtshilfewege - zu vernehmen, Abstand genommen. Der Rüge liegt folgender Verfahrensablauf zugrunde: Die Zeugin Ba. war ordnungsgemäß zur Hauptverhandlung am 11. Februar 2014 geladen worden, jedoch nicht erschienen. Ausweislich des verlesenen Schreibens des Polizeipräsidiums T. vom 5. Februar 2014 hat die Zeugin erklärt, dass sie „aus überraschend eingetretenen gesundheitlichen Gründen der Ladung keine Folge leisten“ könne; sie sei bereit, „auf Anfrage der zuständigen Justizbehörde ein Arztattest vorzulegen“. Zu einem weiteren Hauptverhandlungstermin am 12. März 2014 erschien sie ebenfalls nicht. Ausweislich des verlesenen Schreibens des Polizeipräsidiums T. vom 12. März 2014 hat die Zeugin erklärt, dass sie „keine Absicht“ habe, „an der Verhandlung teilzunehmen, zumindest in der nahen Zukunft, weil dies gewisse Risiken für ihre Schwangerschaft birgen könnte, nachdem sie sich einer künstlichen Befruchtung unterzogen hat“. Die Zeugin hat darüber hinaus „unmissverständlich erklärt, dass sie im Rahmen dieses Strafverfahrens bereits ausführlich ausgesagt hat“; insofern betrachte sie ihre weitere Teilnahme an einer Verhandlung als überflüssig. Im Hauptverhandlungstermin vom 31. März 2014 hat die Strafkammer sodann darauf hingewiesen, dass „eine Vernehmung der Zeugin Ba. nicht erfolgen soll, da nach ihren Erklärungen, die sie auf Veranlassung des Gerichts gegenüber den italienischen Polizeibehörden abgegeben hat und die von diesen an das Gericht mitgeteilt worden sind, davon auszugehen ist, dass die Zeugin ihr Auskunftsverweigerungsrecht gem. § 55 StPO in Anspruch nimmt“.
b) Die zulässig erhobene Verfahrensrüge ist begründet. Der von der Strafkammer gezogene Schluss, die Zeugin Ba. habe „umfassend von ihrem Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO Gebrauch gemacht“, hält - unbeschadet dessen, ob und in welchem Umfang ihr ein solches Recht zusteht - rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Wie sich aus den verlesenen Mitteilungen der italienischen Polizei ergibt, ist die Zeugin zuvörderst aus gesundheitlichen Gründen zu beiden Hauptverhandlungsterminen nicht erschienen. Eine ausdrückliche (vgl. auch BGH, Beschluss vom 9. August 1988 - 4 StR 326/88, BGHR StPO § 244 Abs. 2 Zeugenvernehmung 5; Senge, in: KK-StPO, 7. Aufl., § 55 Rn. 12 mwN) Weigerung der Zeugin, (umfassend) auszusagen, ist weder gegenüber den italienischen Beamten noch gegenüber dem deutschen Gericht erklärt worden. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Zeugin auch deswegen ihre Teilnahme an einer Verhandlung als überflüssig bewertet hat, weil sie sich auf ihre im Ermittlungsverfahren gemachte ausführliche Aussage berief, liegt der Schluss der Strafkammer fern, sie habe damit von ihrem (umfassenden) Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Das Landgericht hätte demzufolge gesteigerte Anstrengungen unternehmen müssen, die Hauptbelastungszeugin Ba. entweder in der Hauptverhandlung oder zumindest in Form einer audiovisuellen Vernehmung im Rechtshilfewege zu vernehmen. Auf der Verletzung der Amtsaufklärungspflicht beruhen auch die Teilfreisprüche im Fall 10 der Anklage. Wie die Beschwerdeführerin ausführt, hätte die Zeugin bekundet, zu beiden Angeklagten J. und F. u.a. auch in D. Kontakt gehabt zu haben und von diesen als Drogenkurierin eingesetzt worden zu sein; im September 2012 habe sie im Auftrag der beiden Angeklagten 30 Plomben Kokain von H. nach Italien gebracht und dafür auf Weisung der Angeklagten F. durch den Angeklagten J. 1.000 € als Entlohnung erhalten. Der Senat kann demnach nicht ausschließen, dass das Landgericht zu einem anderen Beweisergebnis gelangt wäre, wenn es die Zeugin vernommen hätte.
2. Da die Freisprüche im Fall 10 der Anklage bereits auf diesem Verfahrensverstoß beruhen, kommt es auf die weitere Verfahrensrüge der Beschwerdeführerin nicht an, die Strafkammer habe fehlerhaft einen Beweisantrag auf Vernehmung der beiden deutschen Ermittlungsbeamten, die der richterlichen Vernehmung der Zeugin Ba. in Italien beigewohnt hatten, als unzulässig (§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO) abgelehnt. Der Senat verweist insoweit auf die Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 26. Februar 2015.
3. Die Sachrüge führt sowohl zugunsten wie auch zuungunsten der Angeklagten F. zur Aufhebung ihrer Verurteilung im Fall 9 der Anklage.
a) Es mangelt bereits an tragfähigen Feststellungen für eine Verurteilung wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Insbesondere fehlen Feststellungen dazu, wo sich im Einzelnen die der Angeklagten F. zuzuordnenden DNA-Spuren an „einem der in dem Gutachten als Bodypack mit Umhüllung und Bindfaden bezeichneten mit heller Folie umpackten Päckchen“ befanden. Der Senat kann somit schon nicht prüfen, ob die Überzeugung des Landgerichts, die Angeklagte sei in Deutschland (bewusst) mit den Drogen in Kontakt gekommen, „als sie diese etwa nach H. transportiert oder zumindest eine gewisse Zeit aufbewahrt hat“, nachvollziehbar ist oder es sich letztlich nur um eine Vermutung handelt. Zudem belegen die knappen schlussfolgernden Ausführungen, die Angeklagte habe sich angesichts der DNA-Spuren an einem der Body-Packs an dem späteren Verkauf des - zumal gesamten - Kokains beteiligen wollen, für sich genommen noch keine tatsächlich erfolgte Förderung oder Erleichterung der Haupttat (vgl. auch Senat, Beschluss vom 9. Juli 2015 - 2 StR 58/15, NStZ- RR 2015, 343, 344 mwN).
b) Ebenso wenig ermöglichen die bisherigen - lückenhaften - Feststellungen zu den gesicherten DNA-Spuren einen Schluss auf die Besitzverhältnisse an den Betäubungsmitteln. Besitzen im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes setzt ein bewusstes tatsächliches Innehaben, ein tatsächliches Herrschaftsverhältnis sowie Besitzwillen und Besitzbewusstsein voraus, die darauf gerichtet sind, sich die Möglichkeit ungehinderter Einwirkung auf das Betäubungsmittel zu erhalten (vgl. Senat, Beschluss vom 10. Juni 2014 - 2 StR 246/10, BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 3 Besitz 6; Weber, BtMG, 4. Aufl., § 29 Rn. 1298 ff., jeweils mwN). Eine kurze Hilfstätigkeit ohne Herrschaftswillen genügt für die Annahme eines Besitzes nicht (vgl. Senat, Urteil vom 16. April 1975 - 2 StR 60/75, BGHSt 26, 117 f.; Weber, aaO, Rn. 1325). Der Senat kann nicht ausschließen, dass weitere Feststellungen dazu getroffen werden können, in welcher Intensität und in welchem Umfang die Angeklagte mit den Betäubungsmitteln in Berührung gekommen ist.
4. Die Aufhebung im Fall 9 der Anklage zieht die Aufhebung der gegen die Angeklagte F. verhängten (ersten) Gesamtstrafe nach sich. Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausgeführt hat, wird die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer für die Angeklagte F. nunmehr eine einheitliche Gesamtstrafe zu bilden haben, nachdem - die auf Grundlage eines Europäischen Haftbefehls erfolgte Auslieferungsbewilligung bezog sich zunächst lediglich auf die Fälle 1, 8 und 9 der Anklage - einem Nachtragsersuchen für die Fälle 2, 4 und 5 der Anklage von dem Cour d'Appell de Basse Terre rechtskräftig stattgegeben worden ist, wodurch ein diesbezügliches Vollstreckungshindernis entfallen ist (vgl. auch BGH, Beschluss vom 12. August 1997 - 4 StR 345/97, BGHR StGB § 55 Abs. 1 Einbeziehung 7; Beschluss vom 27. Juli 2011 - 4 StR 303/11, BGHR IRG § 83h Abs. 2 Nr. 3.