StPO § 265 Abs. 4 – Keine Hinweispflicht bei neuen Erkenntnissen über Vortäter des Vortäters

StPO § 265 Abs. 4 – Keine Hinweispflicht bei neuen Erkenntnissen über Vortäter des Vortäters

BGH, Urt. v. 09.12.2009 - 1 StR 167/09

1. Allein der Umstand, dass in der Hauptverhandlung angefallene neue Erkenntnisse zum Vortäter des Vortäters - je nach den Umständen des Falles - neue Möglichkeiten der Verteidigung eröffnen können, führt nicht dazu, dass diese neuen Erkenntnisse eine gerichtliche Hinweispflicht auslösen würden.
2. Soweit einzelne eigenständige Urkunden mit einer Verfahrensrüge in das Revisionsverfahren eingeführt worden sind, können sie auch im Rahmen der Sachrüge berücksichtigt werden. Die Tatsache, dass die einzelnen Urkunden aufgrund einer einheitlichen Anordnung nach § 249 Abs. 2 StPO im Selbstleseverfahren eingeführt worden sind, ändert an deren Eigenständigkeit nichts.

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9. Dezember 2009 für Recht erkannt:

1. Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 24. Oktober 2008 wird verworfen.

2. Die Angeklagte hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei in vier Fällen zu der Gesamtgeldstrafe von 360 Tagessätzen zu 60,-- Euro verurteilt, der Einzelstrafen von 150, 120, 140 und 90 Tagessätzen zu Grunde lagen. Wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung hat das Landgericht 60 Tagessätze der Gesamtgeldstrafe für vollstreckt erklärt. Gegen die Verurteilung richtet sich die Revision der Angeklagten, mit der sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen: Die Angeklagte war Gesellschafterin der in E. geschäftsansässigen Br. B. GmbH (nachfolgend: B. GmbH). Geschäftsgegenstand des Unternehmens war der An- und Verkauf von Branntwein und sonstigen alkoholischen Getränken. Geschäftsführer der Gesellschaft war der Ehemann der Angeklagten, der zwischenzeitlich verstorbene P. B. . Die Angeklagte arbeitete im Unternehmen mit und war für die Buchführung zu-ständig. In den Jahren 1999 bis 2002 kaufte die B. GmbH von dem anderweitig wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei verurteilten L. in insgesamt 331 Einzelgeschäften146.247 Literreinen Alkohols an, der in den diesbezüglichen Ankaufsbelegen wahrheitswidrig als Tresterbranntwein deklariert wurde. Tatsächlich handelte es sich um Branntwein, der von dem anderweitig wegen Steuerhinterziehung verurteilten W. aus Zucker und Hefe in einer „Geheimbrennerei“ (UA S. 18) gewonnen worden war, ohne dass W. die erforderlichen Steueranmeldungen abgegeben hatte. Dadurch war Branntweinsteuer in Höhe von 1.905.596,-- Euro hinterzogen worden. Beim Ankauf des unversteuerten Branntweins wirkte die Angeklagte im Einvernehmen mit ihrem Ehemann arbeitsteilig regelmäßig dergestalt zusammen, dass dieser den Branntwein aus den Transportbehältnissen des Lieferanten abpumpte, die angelieferten Mengen und deren Alkoholgehalt bestimmte und diese Werte auf einem Notizzettel vermerkte. Anhand dieser Notizen erstellte sodann die Angeklagte den Ankaufsbeleg, berechnete den Kaufpreis und zahlte diesen an L. aus. Hierbei nahm die Angeklagte billigend in Kauf, dass es sich bei L. s Lieferungen um illegal hergestellten und unversteuerten Branntwein handelte. Gleichwohl wirkte sie bei den Ankäufen mit, um der B. GmbH und somit sich selbst durch den gewinnbringenden Weiterverkauf des Branntweins eine ständige Einnahmequelle von einigem Umfang zu verschaffen.

2. Die Strafkammer hat der Angeklagten im Tatzeitraum lediglich die Einzelankäufe der B. GmbH bei dem Lieferanten L. zugerechnet, für die die Angeklagte entsprechende Ankaufsbelege selbst unterzeichnet hatte. Dabei hat das Landgericht die Ankäufe eines Kalenderjahres jeweils zu einer Tat der Steuerhehlerei zusammengefasst, um so die jährlichen Mengen Branntwein, die der Zeuge L. aus rechtmäßiger Quelle bezogen und neben dem unversteuerten Branntwein geliefert hatte, in Abzug bringen zu können.

II.

1. Soweit die Revision die Verletzung formellen Rechts rügt, weil sich die Strafkammer einerseits nicht an eine Wahrunterstellung, mit der ein Beweisantrag zurückgewiesen worden war, gehalten und weil sie unter Verstoß gegen § 261 StPO eine in der Hauptverhandlung verlesene Urkunde nicht hinreichend erörtert habe, bleibt die Revision aus den vom Generalbundesanwalt, auch schon in seiner Antragsschrift vom 31. August 2009, zutreffend dargelegten Gründen erfolglos.

2. Weiter rügt die Revision, die Strafkammer habe einen in entsprechender Anwendung von § 265 StPO gebotenen Hinweis unterlassen. Im Urteil sei nämlich festgestellt worden, dass der Zeuge L. den illegal hergestellten Branntwein allein von dem Zeugen W. erworben habe. Demgegenüber war in der Anklage noch davon die Rede, dass L. , der stets einräumte, dass der gesamte von ihm an die B. GmbH gelieferte Branntwein nicht versteuert war, einen Teil des Branntweins seinerseits von einem unbekannten Vortäter erhalten habe. Auch diese Rüge ist unbegründet. Im Hinblick auf die von der Revision geltend gemachten tatsächlichen Gesichtspunkte war eine aus entsprechender Anwendung von § 265 StPO folgende Hinweispflicht nicht gegeben. Eine solche besteht vielmehr grundsätzlich nur dort, wo – wie in den Fällen einer Änderung der Tatzeit, der Tatbeteiligten, des Tatopfers oder der Tathandlung – die Abweichung solche Tatsachen betrifft, in denen die Merkmale des gesetzlichen Straftatbestandes gefunden werden (BGH StV 1988, 472, 473; NStZ 2000, 48, 49). Soweit es um Änderungen der Tatbeteiligten geht, handelt es sich etwa um Fälle, in denen das Gericht – anders als angeklagt – nicht von eigenhändiger Täterschaft oder von anderer unmittelbarer Tatbeteiligung ausgegangen ist (BGH, Beschl. vom 28. Oktober 1976 – 4 StR 476/76 = MDR 1977,108 f.; BGH MDR 1980,107 f.; BGH NStZ-RR 2002, 98). Eine solche oder eine damit vergleichbare Abweichung liegt hier nicht vor. Die Frage, ob W. oder jemand anders hinsichtlich eines Teils der abgeurteilten Mengen Vortäter des Vortäters der Steuerhehlerei der Angeklagten ist, führt nicht dazu, dass die Tat aufgrund der Abweichung eine andere, in ihrem Wesen von der angeklagten Tat verschiedene Verwirklichung des identischen Strafgesetzes darstellt (vgl. BGH, Beschl. vom 28. Oktober 1976 – 4 StR 476/76). Der der Angeklagten gegenüber erhobene Schuldvorwurf betrifft den Ankauf illegal hergestellten Branntweins, für den keine Branntweinsteuer gezahlt worden war. Dieser wurde vom Zeugen L. , der insoweit als Zwischenhehler aufgetreten ist (vgl. Jäger in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstraf-recht, 7. Aufl. § 374 AO, Rdn. 8), an die B. GmbH verkauft. Im Hinblick auf dieses Tatgeschehen enthält das Urteil ebenso wenig eine Abweichung zur Anklage wie im Hinblick auf die Menge des angekauften Branntweins. Die maßgeblichen Feststellungen in diesem Zusammenhang hat das Landgericht aufgrund einer in revisionsrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstandenden Beweiswürdigung getroffen, nachdem es zu einer von der Anklage abweichenden Aussage des Zeugen L. gekommen war. Dass es zu der abweichenden Aussage des Zeugen kam, wurde von der Revision bereits in der Begründungsschrift vorgetragen und in der Revisionshauptverhandlung bestätigt. Dieser Verfahrensgang bestätigt aber zusätzlich, dass die Strafkammer nicht gegen eine sie in diesem Zusammenhang treffende Hinweispflicht verstoßen hat. Denn die verfahrensgegenständliche Abweichung erweist sich lediglich als Konkretisierung des Geschehensbildes der Tat im weiteren Sinne, mit der ein Angeklagter zu rechnen hat und die ihn grundsätzlich nicht überraschen kann, wenn er die Verhandlung verfolgt, deren Beweisergebnis die Feststellung dieser Konkretisierung rechtfertigt (BGH NStZ 2000,48 f. m.w.N.). Allein der Umstand, dass in der Hauptverhandlung angefallene neue Erkenntnisse zum Vortäter des Vortäters – je nach den Umständen des Falles – neue Möglichkeiten der Verteidigung eröffnen können, führt nicht dazu, dass diese neuen Erkenntnisse eine gerichtliche Hinweispflicht auslösen würden.

3. Zuletzt macht die Revision geltend, dass das Landgericht unter Verstoß gegen § 261 StPO im Selbstleseverfahren eingefügte Urkunden fehlerhaft gewürdigt habe.

a) Die Revision teilt zur Begründung der Rüge den Inhalt von vier Ankaufsbelegen mit, die im Zusammenhang mit dem Erwerb von Branntwein von dem Zeugen L. durch die B. GmbH erstellt wurden. Die Unterschriften auf drei der vier Belege unterscheiden sich nach Auffassung der Revision „so evident von dem Schriftbild der Unterschriften, die die Strafkammer der Angeklagten zugeordnet hat, dass die Strafkammer jedenfalls ohne weitere Beweiswürdigung gehindert war, diese Unterschriften auch der Angeklagten zuzuordnen“.

b) Der Senat braucht der Zulässigkeit dieser Verfahrensrüge nicht näher nachzugehen (vgl. insoweit einerseits BGHSt 29, 18, 21; andererseits BGH NStZ 2007, 115, 116), da das Urteil auf dem behaupteten Verfahrensverstoß nicht beruhen kann. Soweit das Landgericht der Angeklagten den Ankauf von Branntwein in den drei Einzellieferungen, die mit den fraglichen Ankaufsbelegen dokumentiert wurden, nicht rechtsfehlerfrei zugeordnet haben sollte, hätte sich die Menge des von der Angeklagten angekauften Branntweins um1.480 Literreinen Alkohols und demnach die hinterzogenen Steuern um fast 20.000,-- Euro verringert. Der Schuldspruch wäre hiervon nicht berührt. Angesichts der verbleibenden Alkoholmenge von fast 43.000 Litern, die im fraglichen Tatzeitraum (Geschäftsjahr 2001) unter Mitwirkung der Angeklagten angekauft wurde, dem insoweit perpetuierten Steuerschaden von 547.000,-- Euro und der für dieses Geschäftsjahr verhängten Einzelgeldstrafe, kann der Senat ausschließen, dass die Strafkammer unter Zugrundelegung des nur unwesentlich geringeren Schuldumfangs zu einer noch milderen Einzelstrafe zu Gunsten der Angeklagten gelangt wäre.

III.

Auch die Sachrüge ist nicht begründet.

1. Mit ihren Angriffen auf die Beweiswürdigung zeigt die Revision keine Rechtsfehler auf. Die Schlüsse, die die Strafkammer auf der Grundlage der festgestellten Tatsachen zieht, sind – auch soweit sie sich auf innere Tatsachen beziehen – möglich. Widersprüche oder Lücken sind nicht gegeben. Im Übrigen beschränkt sich die Revision darauf, ihre eigene Beweiswürdigung an die Stelle derjenigen des Landgerichts zu setzen.

2. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch. Danach hat die Angeklagte gemeinsam mit ihrem Ehemann der B. GmbH den Branntwein verschafft. Hierbei nahm sie zumindest billigend in Kauf, dass die bei dessen Herstellung entstandene Branntweinsteuer hinterzogen worden war. Die Angeklagte handelte hierbei in (Dritt-)Bereicherungsabsicht. Eine solche ist beim Ankauf bemakelter Ware zum Marktpreis gegeben, wenn die Ware – wie festgestellt – mit Gewinn weiterverkauft werden soll (BGH NStZ 1981, 147). Ebenfalls frei von Rechtsfehlern ist auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen die Annahme, die Angeklagte habe hierbei gewerbsmäßig gehandelt. Auch wenn die Einnahme mittelbar erzielt wird, ist gewerbsmäßiges Handeln gegeben (vgl. Jäger in Klein AO 10. Aufl. § 373 Rdn.17 m.w.N.). Zutreffend weist der Generalbundesanwalt zwar daraufhin, dass grundsätzlich jede Ankaufshandlung bemakelter Gegenstände i.S.v. § 374 AO eine selbstständige Tat in materieller Hinsicht darstellt. Die Angeklagte ist jedoch dadurch, dass die Strafkammer die Ankaufshandlungen eines Geschäftsjahres zu jeweils einer Tat zusammengezogen hat, nicht beschwert. Der Senat kann im Hinblick auf die verhängten Einzelstrafen ausschließen, dass das Urteil ohne den Rechtsfehler für die Angeklagte günstiger ausgefallen wäre (vgl. § 374 Abs. 1 Alt. 2 AO i.V.m. § 373 Abs. 1 aF, § 47 Abs. 2 Satz 2 StGB).

3. Auf der Grundlage der im Urteil getroffenen Feststellungen ist auch der Schuldumfang rechtsfehlerfrei festgestellt. Der Senat teilt nicht die Auffassung, aufgrund der Sachrüge habe er die Vereinbarkeit des Urteils mit sich bei den Sachakten befindlichen Ankaufsbelegen zu überprüfen. Eine Verfahrensrüge ist insoweit nicht erhoben. Anderes ergibt sich auch nicht aus der Verfahrensrüge, die mit der Begründung erhoben wurde, die Unterschrift auf den dort mitgeteilten Ankaufsbelegen sei fehlerhaft gewürdigt worden (vgl. oben II. 3.). Grundlage der Prüfung des Revisionsgerichts auf die Sachrüge sind die Urteilurkunde und die Abbildungen, auf die nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO verwiesen wird. Alle anderen Erkenntnisquellen sind dem Revisionsgericht grundsätzlich verschlossen. Den Akteninhalt darf das Revisionsgericht in der Regel bei der Prüfung der Sachrüge nicht berücksichtigen (Kuckein in KK StPO § 352 Rdn.16 m.w.N.). Etwas anderes gilt zwar dann, wenn Aktenteile durch eine zulässige Verfahrensrüge zum Gegenstand des Revisionsvortrags gemacht wurden (vgl. BGH, Urt. vom 16. Oktober 2006 – 1 StR 180/06; Urt. vom 23. Januar 2003 – 4 StR 412/02; NJW 1986, 1699, 1700; StV 1993, 176, 177). Dies ist vorliegend aber nicht der Fall. Mit der unter II. 3. dargestellten Verfahrensrüge macht die Revision lediglich vier von über 350 Ankaufsbelegen zum Gegenstand ihres Vortrags. Anderes ergibt sich auch nicht aus einem Urteil des Senats vom 17. Dezember 1968 (1 StR 161/68; BGHSt 22, 282). Dort war ein Buch, dessen Verfasser die öffentliche Billigung von Straftaten vorgeworfen worden war, im Zuge einer Verfahrensrüge Gegenstand des Revisionsvortrags. Infolge dessen konnte der Senat den Inhalt des gesamten Buches auch bei Prüfung der Sachrüge zur Kenntnis nehmen (BGHSt aaO 289), da es sich um ein einheitliches Beweismittel handelte. Demgegenüber stellen die verfahrensgegenständlichen Ankaufsbelege jeweils für sich eine eigenständige Urkunde dar. Nur soweit diese mit einer Verfahrensrüge in das Revisionsverfahren eingeführt worden ist, kann sie auch im Rahmen der Sachrüge berücksichtigt werden. Die Tatsache, dass die einzelnen Urkunden aufgrund einer einheitlichen Anordnung nach § 249 Abs. 2 StPO im Selbstleseverfahren eingeführt worden sind, ändert an deren Eigenständigkeit nichts.

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