StPO § 337 - Beruhen schon bei nicht ausschließbarer Kausalität
StPO § 337 - Beruhen schon bei nicht ausschließbarer Kausalität
BGH, Beschl. v. 14.01.2010 - 3 StR 403/09 = BeckRS 2010, 06216
Ein Urteil beruht schon dann auf einem Rechtsfehler, wenn es als möglich erscheint oder wenn nicht auszuschließen ist, dass es ohne den Rechtsfehler anders ausgefallen wäre. An dem Beruhen fehlt es nur, wenn die Möglichkeit, dass der Verstoß das Urteil beeinflusst hat, ausgeschlossen oder rein theoretisch ist
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 14. Januar 2010 gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen: Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 17. März 2009 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit schwerem Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
1. Das Urteil muss aufgehoben werden, weil das Landgericht es unter-lassen hat, den Angeklagten vom wesentlichen Inhalt dessen zu unterrichten, was in seiner Abwesenheit verhandelt worden ist, nachdem der Angeklagte, der wegen ordnungswidrigen Benehmens aus dem Sitzungszimmer entfernt war, wieder vorgelassen worden ist (Verstoß gegen § 231 b Abs. 2, § 231 a Abs. 2 StPO).
a) Das Landgericht hat den Angeklagten am 5. Verhandlungstag wegen massiver Störung der Hauptverhandlung nach § 177 GVG aus dem Sitzungszimmer entfernt und von der Möglichkeit des § 231 b StPO, ohne den Angeklagten zu verhandeln, Gebrauch gemacht. Es hat sodann in seiner Abwesenheit die Nebenklägerin erneut vernommen und entlassen. Am 7. Verhandlungstag ist die Hauptverhandlung in Anwesenheit des Angeklagten fortgesetzt worden. Nach Wiedereintritt in die Beweisaufnahme, Feststellungen zum Vollstreckungsstand einer Vorverurteilung, Erteilung eines rechtlichen Hinweises und erneutem Schluss der Beweisaufnahme sind die Schlussvorträge gehalten worden. Über den wesentlichen Inhalt der Verhandlung während seiner Abwesenheit ist der Angeklagte nicht unterrichtet worden. Dies rügt die Revision zutreffend als einen Verstoß gegen § 231 b Abs. 2, § 231 a Abs. 2 StPO.
b) Auf diesem Rechtsfehler beruht das angefochtene Urteil. Hierzu im Einzelnen:
aa) Ein Urteil beruht schon dann auf einem Rechtsfehler, wenn es als möglich erscheint oder wenn nicht auszuschließen ist, dass es ohne den Rechtsfehler anders ausgefallen wäre. An dem Beruhen fehlt es nur, wenn die Möglichkeit, dass der Verstoß das Urteil beeinflusst hat, ausgeschlossen oder rein theoretisch ist (Hanack in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 337 Rdn. 255). Die Entscheidung über das Beruhen hängt - insbesondere bei Verstößen gegen das Verfahrensrecht - stark von den Umständen des Einzelfalls ab (Hanack aaO Rdn. 257).
bb) Vorliegend ist in Abwesenheit des Angeklagten die Nebenklägerin erneut vernommen worden. Vom Inhalt dieser Aussage hat das Landgericht den Angeklagten nicht unterrichtet. Dem Senat ist die Rekonstruktion dieser weiteren Aussage untersagt. Aus dem Umstand, dass die Nebenklägerin bereits am 3. Verhandlungstag vernommen worden war, kann - entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts - nicht mit der notwendigen Sicherheit darauf geschlossen werden, dass sie bei ihrer erneuten Vernehmung nur für die Verteidigungsmöglichkeiten des Angeklagten Unbedeutendes ausgesagt hat. Nach aller Erfahrung dienen ergänzende Vernehmungen von Belastungszeugen der Abklärung von Widersprüchen, die sich im Verlauf der Beweisaufnahme nach der ersten Vernehmung ergeben haben; dies spricht vielmehr für die Bedeutung der weiteren Aussage. Hinzu kommt, dass die Nebenklägerin die einzige Zeugin für das von dem Angeklagten bestrittene Tatgeschehen war. Allein auf ihrer Aussage beruht die Überzeugung der Strafkammer, dass der Angeklagte die Nebenklägerin durch eine Vergewaltigung dazu gebracht hat, eine Tätigkeit als Prostituierte aufzunehmen. Das Landgericht legt in seiner Beweiswürdigung dar, warum es der Darstellung der Nebenklägerin folgt, und setzt sich dabei mit mehreren Umständen auseinander, die gegen die Glaubhaftigkeit der Darstellung der Nebenklägerin sprechen könnten. So hat die Nebenklägerin, nachdem sie in einem Bordell als Prostituierte aufgefallen und polizeilich nach den Hintergründen befragt worden war, nicht sogleich, sondern erst im Verlauf einer weiteren Vernehmung davon berichtet, durch eine Vergewaltigung zur Prostitution gebracht worden zu sein. Zu den Details dieser Vergewaltigung hat sie im Verlauf mehrerer Vernehmungen ebenso unterschiedliche Angaben gemacht wie zu den Umständen, unter denen sie, nachdem der Angeklagte seine Tätigkeit als Wirtschafter in einem Bordell aufgegeben hatte, in ein anderes Bordell verbracht worden war. Wenngleich die Beweiswürdigung des Landgerichts, das sich trotz dieser Besonderheiten im Aussageverhalten der Nebenklägerin von der Richtigkeit ihrer Angaben überzeugt hat, einen sachlichrechtlichen Fehler nicht erkennen lässt, kann der Senat angesichts der Gesamtumstände nicht ausschließen, dass der Angeklagte weitere Verteidigungsmöglichkeiten gehabt hätte, wenn ihm der Inhalt der ergänzenden Vernehmung der Nebenklägerin mitgeteilt worden wäre.
2. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass im Falle einer erneuten Verurteilung aufzuklären sein wird, ob der Angeklagte in dieser Sache in Brasilien Freiheitsentziehung erlitten hat. Gegebenenfalls wird eine Entscheidung über den Anrechnungsmaßstab zu treffen sein.
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