StPO § 337; BZRG § 51 Abs. 1 Abgrenzung Sach- und Verfahrensrüge
BGH, Beschl. v. 16.09.2020 – 5 StR 314/20
Der Senat neigt zu der Auffassung, dass ein Verwertungsverbot aus § 51 Abs. 1 BZRG entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht auf die Sachrüge, sondern lediglich auf eine Verfahrensrüge hin zu beachten ist.
Beweisverwertungsverbote wie das aus § 51 Abs. 1 BZRG sind nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich nur auf eine Verfahrensrüge hin zu beachten, denn sie betreffen den Weg, auf dem das Gericht zu seiner Überzeugungsbildung kommt und gehören deshalb dem Verfahrensrecht an.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 16. September 2020 gemäß § 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
Tenor:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Lübeck vom 30. März 2020 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in acht Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt. Die mit Verfahrensrügen und der Sachrüge ausgeführte Revision des Angeklagten ist im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO unbegründet (vgl. Antragsschrift des Generalbundesanwalts). Der Erörterung bedarf lediglich das Folgende:
1. Im Rahmen der Beweiswürdigung und der Strafzumessung hat das Landgericht bei seinem am 30. März 2020 gesprochenen Urteil eine einschlägige Vorstrafe verwertet. Am 13. April 2005 verhängte das Amtsgericht Ahrensburg gegen den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern (Tatzeit 11. Juni 2000) eine Einzelfreiheitsstrafe von neun Monaten. Bereits am 12. Juni 2003 war er wegen eines Verstoßes gegen das Waffengesetz zu einer (zur Bewährung ausgesetzten) Freiheitsstrafe von einem Jahr und einem Monat verurteilt worden. Unter Einbeziehung dieser Strafe erkannte das Amtsgericht Ahrensburg in seinem Urteil vom 13. April 2005 auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte.
2. Der Senat kann offenlassen, ob das Vorgehen des Landgerichts gegen § 51 Abs. 1 BZRG verstößt (vgl. zu Fristberechnung und Fristbeginn bezüglich der Tilgungsreife § 46 Abs. 1 Nr. 3 und 4, Abs. 3, § 47 Abs. 1 i.V.m. § 35 Abs. 1 und § 36 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 BZRG; zur Fristberechnung bei nachträglicher Gesamtstrafenbildung BGH, Beschluss vom 18. Januar 2001 – 1 StR 528/00, NStZ-RR 2001, 203; zur Fristberechnung bei nachträglicher Bildung einer einheitlichen Jugendstrafe BGH, Beschlüsse vom 28. Dezember 1983 – 4 StR 737/83; vom 19. März 2019 – 3 StR 68/19 und vom 17. Dezember 2019 – 4 StR 472/19; zur Berechnung der Frist allgemein BGH, Beschluss vom 15. Juli 2014 – 5 StR 270/14, NStZ-RR 2014, 356; zur Verlängerung um die Dauer der verhängten Freiheitsstrafe BGH, Beschluss vom 25. Januar 2011 – 4 StR 681/10, NStZ-RR 2011, 286 mwN; vgl. insgesamt auch Tolzmann, Bundeszentralregistergesetz, Kommentar, 5. Aufl., § 23 Rn. 10, § 35 Rn. 10 [bezüglich des alleinigen Abstellens auf die Höhe der Gesamtfreiheitsstrafe nicht unzweifelhaft, da § 46 Abs. 1 Nr. 3 BZRG eine Verurteilung wegen einer dort bezeichneten Sexualstraftat zu einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr verlangt und damit ein erhebliches Gewicht gerade der Katalogtat voraussetzt; vgl. zur ähnlichen Problematik bei § 66 Abs. 1 Nr. 2 StGB BGH, Beschluss vom 31. Juli 1997 – 4 StR 339/97, NStZ-RR 1998, 135 mwN], § 36 Rn. 8, § 46 Rn. 28, § 47 Rn. 6 f.). Denn auf einem etwaigen Rechtsverstoß würde das Urteil nicht beruhen (§ 337 Abs. 1 StPO, vgl. zum Maßstab Niemöller, NStZ 2015, 489 mwN). Der Senat schließt angesichts der tragfähigen Überzeugungsbildung des Landgerichts im Übrigen und der verbleibenden Strafzumessungserwägungen aus, dass die Strafkammer ohne Berücksichtigung der Vorverurteilung zu einem anderen Beweisergebnis oder einer anderen Rechtsfolge gelangt wäre.
3. Allerdings neigt der Senat zu der Auffassung, dass ein Verwertungsverbot aus § 51 Abs. 1 BZRG entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. nur BGH, Urteile vom 19. Juli 1972 – 3 StR 66/72, BGHSt 24, 378, 382 [„Regelung des sachlichen Rechts“]; vom 10. Januar 1973 – 2 StR 451/72, BGHSt 25, 100, 101; Beschlüsse vom 28. August 2012 – 3 StR 309/12, BGHSt 57, 300, 302; vom 29. Oktober 2015 – 3 StR 382/15, NStZ 2016, 468 mwN) ohnehin nicht auf die – insoweit hier nicht näher ausgeführte – Sachrüge, sondern lediglich auf eine Verfahrensrüge hin zu beachten ist (vgl. Schäfer, in Festschrift für Riess, 2002, 477, 484; Mosbacher, JuS 2020, 745, 749). Beweisverwertungsverbote wie das in Rede stehende sind nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich nur auf eine Verfahrensrüge hin zu beachten, denn sie betreffen den Weg, auf dem das Gericht zu seiner Überzeugungsbildung kommt und gehören deshalb dem Verfahrensrecht an (BGH, Urteil vom 8. August 2018 – 2 StR 131/18, NStZ 2019, 171 m. Anm. Ventzke; vgl. zur Abgrenzung allgemein auch MüKo-StPO/Knauer/Kudlich, § 337 Rn. 43 ff.; LR-StPO/Franke, 26. Aufl., § 337 Rn. 41 ff.; SSW-StPO/Momsen, 4. Aufl., § 337 Rn. 13 ff.; KK-StPO/Gericke, 8. Aufl., § 337 Rn. 27; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 337 Rn. 8; Schäfer, aaO; Jähnke in Festschrift für Meyer-Goßner, 2001, 559; Schneider, NStZ 2019, 324; El-Ghazi, Die Zuordnung von Gesetzesverletzungen zu Sachund Verfahrensrüge in der strafprozessualen Revision, 2014; ders., GA 2020, 439; Walter, ZStW 2016, 824). Ob ein Beweisverwertungsverbot aus § 51 Abs. 1 BZRG wegen Tilgungsreife einer Eintragung anzunehmen ist, hängt von einer Vielzahl verfahrensrechtlicher Umstände ab. Insbesondere ist es stets möglich, dass nach Einholung eines Bundeszentralregisterauszugs im Laufe des Verfahrens eine weitere rechtskräftige Verurteilung eingetragen wird, wodurch sich die Tilgungsfrist erheblich verlängern kann (§ 47 Abs. 3 Satz 1 BZRG; vgl. zum etwaigen nachträglichen Entfallen der Tilgungsreife wegen einer weiteren Eintragung während der einjährigen „Überliegefrist“ des § 45 Abs. 2 Satz 1 BZRG ausführlich VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 11. Februar 2020 – 1 S 3000/19, DÖV 2020, 491 [LS]). Die Eintragung hängt nicht vom Zeitpunkt der späteren Verurteilung, sondern von demjenigen der Rechtskraft ab und kann deshalb auch erst Jahre nach dem einzutragenden Urteil erfolgen (vgl. § 34 BZRG). Anders als bei allen anderen Beweisverwertungsverboten müssten sämtliche diese für die Tilgungsreife relevanten Umstände (oder deren Fehlen) zwingend im Urteil dargelegt werden. Zu noch gravierenderen Verwerfungen führt die Prüfung der fiktiven Tilgungsreife bei ausländischen Verurteilungen nach § 58 BZRG i.V.m. § 51 Abs. 1 BZRG auf die Sachrüge hin (vgl. dazu ausführlich BGH, Beschlüsse vom 5. Dezember 2019 – 4 StR 301/19, NStZ-RR 2020, 217; vom 19. Oktober 2011 – 4 StR 425/11, NStZ-RR 2012, 305). Denn auch dabei dürfte aufgrund der hypothetischen Gleichsetzung mit einer inländischen Verurteilung bei der Fristberechnung nicht außer Acht bleiben, ob Gründe für eine Ablaufhemmung nach § 46 Abs. 2 oder 3 BZRG nach dem inländischen oder dem ausländischen Register vorliegen. Zu verlangen, dass alle diese Tatsachen zur Klärung der Frage eines Beweisverwertungsverbots in den Urteilsgründen darzulegen und vom Revisionsgericht auf die Sachrüge hin gleichsam „von Amts wegen“ zu prüfen sind (vgl. BGH, aaO), widerspricht dem Charakter von Beweisverwertungsverboten und den sonst gestellten Anforderungen an die Darstellung von Verfahrensvorgängen im Urteil (vgl. BGH, Urteil vom 8. August 2018 – 2 StR 131/18, aaO). Die materiell-rechtliche Prüfung eines Beweisverwertungsverbots allein auf der Grundlage der Urteilsausführungen schafft die Gefahr widersprüchlicher Ergebnisse (BGH, aaO) und ist auch nicht mit dem Grundsatz zu vereinbaren, dass nur bewiesene tatsächliche Verfahrensfehler zur Urteilsaufhebung führen sollen (vgl. BGH, Beschluss vom 23. April 2007 – GSSt 1/06, BGHSt 51, 298, 308 ff.). Dem revisionsführenden Angeklagten wird bei einer derartigen Verfahrensrüge nichts Unzumutbares abverlangt, da er alle Umstände, die für die Tilgungsreife einer inländischen oder ausländischen Verurteilung relevant sind, aus eigener Betroffenheit kennt.