StPO § 338 Nr. 1 Anforderungen an den Besetzungseinwand bei unterjähriger Entlastung einer Strafkammer
BGH, Urt. v. 07.04.2021 – 1 StR 10/20
1. Die Vorschrift des § 338 Nr. 1 Buchst. b StPO aF nimmt damit Bezug auf § 222b Abs. 1 Satz 2 StPO aF, der bestimmt, dass die Tatsachen, aus denen sich die vorschriftswidrige Besetzung ergeben soll, anzugeben sind.
Die Begründungsanforderungen an den Besetzungseinwand entsprechen dabei nach den Vorstellungen des Gesetzgebers im Kern den Rügeanforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.
2. Fehlt die erforderliche umfassende Begründung, insbesondere ein hinreichend substantiierter Tatsachenvortrag, so ist der Besetzungseinwand nicht in der vorgeschriebenen Form geltend gemacht und damit nicht zulässig erhoben.
3. Ein zulässiger Besetzungseinwand bezüglich einer Überleitungsklausel bei unterjähriger Entlastung einer Strafkammer erfordert namentlich die Vorlage sämtlicher überlastungsanzeigen, der Päsidiumsbeschlüsse und sonstiger hierzu erteilter Auskünfte des Landgerichts.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 7. April 2021 für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Duisburg vom 16. Mai 2019 wird mit der Maßgabe verworfen, dass von der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe ein weiterer Monat als vollstreckt gilt.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt sowie wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung sechs Monate der Strafe als vollstreckt erklärt. Die gegen seine Verurteilung gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts beanstandet, hat überwiegend keinen Erfolg.
I.
Die Revision erweist sich aus den zutreffenden Erwägungen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts als unbegründet. Der Erörterung bedarf indes das Folgende:
Die Verfahrensrüge, mit welcher der Angeklagte eine Verletzung der Vorschriften über den gesetzlichen Richter gemäß § 338 Nr. 1 Buchst. b StPO aF durch unterjährige Umverteilung anhängiger Strafsachen – vornehmlich unter dem Gesichtspunkt einer unzulässigen Stichtagsregelung – beanstandet, ist bereits unzulässig; sie wäre auch unbegründet.
1. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft ging am 9. Februar 2016 bei der 4.Strafkammer des Landgerichts ein. Deren Vorsitzender zeigte am 16. März 2016, 12. April 2016 und 9. Mai 2016 sowie mit seinem Vorschlag vom 21. Oktober 2016 dem Präsidium des Landgerichts die Überlastung der Kammer an. Aufgrund der Zuweisung zweier Beförderungsstellen und zweier Planstellen durch Erlass des Justizministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen vom 4. Mai 2016 i.V.m. der Verfügung der Präsidentin des Oberlandesgerichts vom 21. Juni 2016 war es dem Landgericht möglich, eine originäre zweite große Wirtschaftsstrafkammer zum 15. November 2016 einzurichten. Daher beschloss das Präsidium am 9. November 2016 zur Entlastung der 4. Strafkammer und insoweit mit Wirkung ab dem 15. November 2016 eine Änderung der Geschäftsverteilung. Nach Ziffer B. I. 1. a) (1) des Beschlusses vom 9. November 2016 war die neue 10. Strafkammer als große Wirtschaftsstrafkammer unter anderem ʺfür ab dem 15.11.2016 eingehende erstinstanzliche Verfahren in Wirtschaftsstrafsachenʺ zuständig; zudem war unter Ziffer B. I. 2. bestimmt, dass die 10. Strafkammer ʺalle seit dem 01.10.2015 bei dieser eingegangenen noch nicht eröffneten Verfahren in Wirtschaftsstrafsachenʺ von der 4. Strafkammer übernimmt. Dementsprechend gab der Vorsitzende der 4. Strafkammer das vorliegende Verfahren mit Verfügung vom 14. November 2016 an die 10. Strafkammer ab, die mit Beschluss vom 5. Dezember 2016 das Hauptverfahren eröffnete. Im Vorfeld der für die Zeit ab dem 14. März 2017 vorgesehenen Hauptverhandlung kündigte der Verteidiger des Angeklagten am 8. März 2017 dem Vorsitzenden der 10. Strafkammer an, ʺdie Zuständigkeit der 10. Strafkammer des Landgerichtsʺ rügen zu wollen. Der Verteidiger beanstandete unter anderem, es sei aus den bisherigen Überlastungsanzeigen und Vermerken nicht erkennbar gewesen, warum die 4. Strafkammer das gegenständliche Verfahren nicht habe fördern können und warum andere Verfahren vorrangig gewesen seien (Seite 2 des angekündigten dritten Antrags aus dem Schriftsatz vom 8. März 2017); die Überlastungslage der 4. Strafkammer sei nicht näher beschrieben (Seite 6 des Antrags). Die zur Wahrung des grundrechtsgleichen Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) erforderliche detaillierte Begründung setze mehr als ʺdie simple Aufzählung von Verfahrenʺ voraus (Seite 7 des Antrags). Der Vorsitzende der 10. Strafkammer nahm diese angebrachten Einwände zum Anlass, den Vorsitzenden der 4. Strafkammer zu bitten, zur Belastungssituation der 4. Strafkammer zum Stichtag des 9. November 2016 Stellung zu nehmen; dessen die 19 anhängigen Verfahren insbesondere nach Anzahl der Angeschuldigten/Angeklagten, nach Umfang von Anklage und Akten, nach Verfahrensgegenstand, nach Eilbedürftigkeit (Haftsache) sowie nach dem Stand der Verfahrensplanung charakterisierende Stellungnahme vom 15. März 2017 wurde dem Verteidiger des Angeklagten noch am selben Tag per Fax übermittelt. Das Präsidium des Landgerichts dokumentierte die dem Präsidiumsbeschluss vom 9. November 2016 ʺhinsichtlich der Übertragung anhängiger Verfahren aus dem Bestand der 4. Strafkammer auf die 10. Strafkammer (Ziff. I. 2. des Beschlusses) zugrunde liegenden Erwägungen ergänzendʺ in seinen Beschlüssen vom 9. und 13. März 2017. Nach dem Beschluss vom 13. März 2017 sollten ʺalle Verfahren in Wirtschaftsstrafsachenʺ übergehen, ʺdie im Zeitpunkt der Fassung des Präsidiumsbeschlusses (09.11.2016) bei der 4. Strafkammer eingegangen waren und zu diesem Zeitpunkt noch nicht eröffnet waren, sowie die bis zum 15.11.2016 noch eingehenden Verfahren, die naturgemäß noch nicht eröffnet sein konnten. Keinesfalls sollte dem Vorsitzenden der 4. Strafkammer die Möglichkeit eröffnet werden, in der Zeit zwischen dem 09.11.2016 und dem 15.11.2016 noch durch nachträgliche, willkürliche Eröffnung von anhängigen Verfahren die Zuständigkeit seiner Kammer für weitere Wirtschaftsstrafsachen zu begründenʺ. Solches hätte der gewollten ʺumfassende(n) Entlastungʺ der 4. Strafkammer widersprochen. Zudem sollte nach dem Ergänzungsbeschluss vom 9. März 2017 die Umverteilung anhängiger Verfahren zugleich für eine effektive Auslastung der neuen Wirtschaftsstrafkammer sorgen. Von der Übertragung sollten die eröffneten Verfahren ʺim Interesse der Arbeitsökonomieʺ ausgenommen werden. Am zweiten Hauptverhandlungstag, dem 21. März 2017, beanstandete der Verteidiger des Angeklagten vor dessen Vernehmung zur Sache die Besetzung des Gerichts mit der Begründung, am 9. November 2016 seien die Voraussetzungen für eine Änderung des Geschäftsverteilungsplans nach § 21e Abs. 3 GVG nicht erfüllt gewesen. Zudem enthalte der an diesem Tag vom Präsidium des Landgerichts gefasste Beschluss über die Änderung der Geschäftsverteilung keine ausreichend abstrakte Zuständigkeitsbestimmung, da für die 4. Strafkammer die Möglichkeit bestanden habe, mit einer Eröffnung bzw. Nichteröffnung zwischen der Beschlussfassung des Präsidiums am 9. November 2016 und dem Inkrafttreten der Regelung zum 15. November 2016 über die Zuständigkeit der anhängigen Strafsachen zu entscheiden. Die 10. Strafkammer wies den Besetzungseinwand mit Beschluss vom 21. März 2017 zurück.
2. Die Verfahrensrüge dringt nicht durch.
a) Sie ist bereits unzulässig.
aa) Die Besetzungsrüge ist präkludiert; denn der vor der erkennenden Strafkammer geltend gemachte Besetzungseinwand entspricht nicht der von § 222b Abs. 1 StPO aF vorgeschriebenen Form. Die Zulässigkeit einer Besetzungsrüge setzt voraus (§ 338 Nr. 1 Buchst. b StPO aF), dass der Beschwerdeführer den Besetzungseinwand bereits in der Hauptverhandlung ʺrechtzeitig und in der vorgeschriebenen Form geltend gemachtʺ hat.
(1) Die Vorschrift des § 338 Nr. 1 Buchst. b StPO aF nimmt damit Bezug auf § 222b Abs. 1 Satz 2 StPO aF, der bestimmt, dass die Tatsachen, aus denen sich die vorschriftswidrige Besetzung ergeben soll, anzugeben sind (BGH, Urteile vom 7. September 2016 – 1 StR 422/15, BGHR StPO § 222b Abs. 1 Satz 2 Präklusion 4 Rn. 26 und vom 30. Juli 1998 – 5 StR 574/97, BGHSt 44, 9 10 11 161, 162; Beschluss vom 18. März 2020 – 4 StR 374/19 Rn. 15). Die Begründungsanforderungen an den Besetzungseinwand entsprechen dabei nach den Vorstellungen des Gesetzgebers im Kern den Rügeanforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Fehlt die erforderliche umfassende Begründung, insbesondere ein hinreichend substantiierter Tatsachenvortrag, so ist der Besetzungseinwand nicht in der vorgeschriebenen Form geltend gemacht und damit nicht zulässig erhoben (BGH, Urteile vom 7. September 2016 – 1 StR 422/15, BGHR StPO § 222b Abs. 1 Satz 2 Präklusion 4 Rn. 29 und vom 30. Juli 1998 – 5 StR 574/97, BGHSt 44, 161, 162; jeweils mwN).
(2) Je nach der Eigenart des gerügten Verfahrensverstoßes ergeben sich auf der Grundlage der vorhandenen Dogmatik im Bereich des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO spezielle Anforderungen an die Begründung der Rüge (BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2005 – 2 BvR 449/05, BVerfGK 7, 71, 79; BGH, Urteil vom 7. September 2016 – 1 StR 422/15, BGHR StPO § 222b Abs. 1 Satz 2 Präklusion 4 Rn. 31). Freilich darf das Revisionsgericht an die Vortragspflichten weder unerfüllbare noch unzumutbare oder aus Sachgründen nicht zu rechtfertigende Anforderungen stellen; das Rechtsmittel der Revision darf nicht ineffektiv gemacht werden (BVerfG, Beschluss vom 20. Juni 2007 – 2 BvR 1042/07 Rn. 10 mwN). Dem strengen Ausnahmecharakter der Präklusionsvorschriften § 222b Abs. 1 i.V.m. § 338 Nr. 1 Buchst. b) StPO aF ist bei ihrer Anwendung Rechnung zu tragen (BVerfG, Beschluss vom 19. März 2003 – 2 BvR 1540/01 Rn. 13 mwN). Nach alledem erfordert ein zulässiger Besetzungseinwand bezüglich einer Überleitungsklausel bei unterjähriger Entlastung namentlich die Vorlage sämtlicher Überlastungsanzeigen, der Präsidiumsbeschlüsse und sonstiger hierzu erteilter Auskünfte des Landgerichts (vgl. BGH, Beschluss vom 22. März 2016 – 3 StR 516/15 Rn. 13).
(3) Ausgehend von diesen Grundsätzen genügte die in der Hauptverhandlung erhobene Beanstandung der Besetzung des Gerichts den Anforderungen an einen formgerechten Besetzungseinwand weder hinsichtlich der Entscheidung zur Umverteilung anhängiger Verfahren (ʺobʺ der Übertragung) noch hinsichtlich der Art und Weise (ʺwieʺ der Umsetzung).
(a) Der Verteidiger des Angeklagten versäumte es bei Erheben des Besetzungseinwands am 21. März 2017, die ihm überlassene dienstliche Stellungnahme des Vorsitzenden der 4. Strafkammer vom 15. März 2017 zur Belastungssituation der 4. Strafkammer vorzulegen. Dies war ihm bereits deswegen möglich und zumutbar, weil die Stellungnahme ihm bereits am 15. März 2017 zugegangen war. Selbst bei evidenten Besetzungsmängeln, die allen Verfahrensbeteiligten ohne Weiteres erkennbar oder sogar bekannt sind, sind alle konkreten Tatsachen, aus denen sich die Fehlerhaftigkeit der Besetzung ergeben soll, zur Erhaltung der Besetzungsrüge vorzubringen (BGH, Urteile vom 7. September 2016 – 1 StR 422/15, BGHR StPO § 222b Abs. 1 Satz 2 Präklusion 4 Rn. 30 und vom 25. Oktober 2006 – 2 StR 104/06 Rn. 7). Der Beschwerdeführer hätte auch die dienstliche Stellungnahme vom 15. März 2017 mitteilen müssen. Dies folgt bereits daraus, dass die Kammer insbesondere mit Blick auf die Schöffen in dieser konkreten Besetzung erstmals mit dem Besetzungseinwand befasst war und daher nicht alle Mitglieder des Gerichts die Stellungnahme kannten (vgl. auch BGH, Beschluss vom 12. Januar 2016 – 3 StR 490/15 Rn. 12 zu einem bei einem Oberlandesgericht erstinstanzlich geführten Verfahren). Denn diese Stellungnahme geht in ihrem vorstehend aufgezeigten Informationsgehalt deutlich über die vier Überlastungsanzeigen hinaus, die die Belastungssituation der 4. Strafkammer nicht derart präzise umschreiben; so enthält etwa das Schreiben des Vorsitzenden der 4. Strafkammer vom 21. Oktober 2016 eine bloße Auflistung der anhängigen Verfahren ohne deren Charakterisierung. Zudem kennzeichnet die Stellungnahme vom 15. März 2017 den Verfahrensstand exakt zum Tag des Umverteilungsbeschlusses. Eine derart detaillierte Bezeichnung hatte der Verteidiger selbst in seinem Anschreiben vom 8. März 2017 vermisst und das Fehlen bemängelt.
(b) Die Kenntnis von der konkreten Belastungssituation der 4. Strafkammer am 9. November 2016 ist unerlässlich für die Überprüfung, ob der Übertragungsbeschluss überhaupt ergehen durfte, mit anderen Worten, ob er namentlich den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Abwägung zwischen dem Recht des Angeklagten auf den gesetzlichen Richter auf der einen Seite mit dem rechtsstaatlichen Gebot einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege und dem verfassungsrechtlichen Beschleunigungsgebot auf der anderen Seite (dazu BVerfG, Beschluss vom 18. März 2009 – 2 BvR 229/09, BVerfGK 15, 247, 252 und nachfolgend unter b) aa)) Stand hält. Die Ausführungen in der dienstlichen Stellungnahme konnten auch dafür Bedeutung erlangen, ob anhand der Regelung eindeutig feststellbar war, welche der seit 1. Oktober 2015 bei der 4. Strafkammer eingegangenen Verfahren von der Regelung erfasst wurden.
(c) Aber auch für die – nachstehend unter b) bb) vorzunehmende – Auslegung des Überleitungsbeschlusses hinsichtlich seiner Bestimmtheit kommt der Stellungnahme Bedeutung zu; ihr Bedeutungsgehalt ist jedenfalls nicht von vornherein von der Hand zu weisen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Januar 2005 – 2 BvR 656/99, 2 BvR 657/99, 2 BvR 683/99, BVerfGE 112, 185, 213). Denn nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts ist die revisionsgerichtliche Kontrolle des Präsidiumsbeschlusses nicht etwa auf eine Vertretbarkeits- oder Willkürprüfung beschränkt; die Umverteilungsklausel ist vielmehr auf jeglichen Rechtsfehler zu überprüfen (BVerfG, Beschluss vom 16. Februar 2005 – 2 BvR 581/03 Rn. 22; dem folgend st. Rspr.: BGH, Beschlüsse vom 27. Januar 2020 – 1 StR 622/17 Rn. 16 und vom 12. Mai 2015 – 3 StR 569/14, BGHR GVG § 21e Abs. 3 Änderung 9 Rn. 12). Mit dieser umfassenden Rechtmäßigkeitsprüfung korrespondieren indes entsprechende Vortragspflichten: Der Beschwerdeführer hat sämtliche zur – nach den herkömmlichen Kriterien Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Systematik des Präsidiumsbeschlusses sowie dessen Sinn und Zweck (vgl. dazu BVerfG, Beschlüsse vom 18. März 2009 – 2 BvR 229/09, BVerfGK 15, 247, 251 f. und vom 10. August 1995 – 1 BvR 1644/94 Rn. 14) – gebotenen Auslegung des unterjährigen Umverteilungsbeschlusses bedeutsamen Verfahrenstatsachen vorzutragen, um dem Erstgericht bzw. nachfolgend dem Revisionsgericht die umfassende und eingehende Prüfung zu ermöglichen, ob die Überleitungsklausel eine Möglichkeit zur Manipulation eröffnet oder nicht (vgl. dazu BVerfG, Beschlüsse vom 23. Dezember 2016 – 2 BvR 2023/16 Rn. 24; vom 16. Januar 2017 – 2 BvR 2011/16, 2 BvR 2034/16 Rn. 25 und vom 18. März 2009 – 2 BvR 229/09, BVerfGK 15, 247, 252 f.). Zu den objektiven, vornehmlich für die Auslegung nach Sinn und Zweck relevanten Umständen gehört insbesondere die konkrete Belastungssituation der 4. Strafkammer am 9. November 2016, die allein durch die Stellungnahme vom 15. März 2017 in allen Einzelheiten dokumentiert ist. Dieser kommt damit ein gewichtiger, wenn nicht gar ausschlaggebender Bedeutungsgehalt für die Entlastungsregelung zu. Dass die 4. Strafkammer überlastet war, ergibt sich zwar bereits aus den Überlastungsanzeigen vom 16. März 2016, 12. April 2016, 9. Mai 2016 und 21. Oktober 2016; das genaue Ausmaß der Überlastung ist indes erst aus der Stellungnahme vom 15. März 2017 ersichtlich. Dieser Umfang ist dafür ausschlaggebend, wie zügig und wie umfassend die Entlastung der 4. Strafkammer geboten war. Aus diesem Grund ist nicht aus dem zeitlichen Ablauf einzuwenden, der Vorsitzende der überlasteten Kammer habe die in Rede stehende Stellungnahme erst nachträglich gefertigt, diese habe also in dieser konkreten Form dem Präsidium bei der Beschlussfassung am 9. November 2016 ohnehin nicht vorgelegen. Denn der objektive Maßstab gilt nicht nur für das ʺobʺ der Entlastung, sondern auch für das ʺwieʺ ihrer konkreten Umsetzung; zwischen der Entscheidung über die unterjährige Umverteilung und der Art der Umsetzung ist insoweit nicht zu unterscheiden. Es spricht zudem nichts dafür, dass dem Präsidium die konkrete Belastung am 9. November 2016 nicht bekannt war. Dazu, ob der Vorsitzende der 4. Strafkammer vor der Beschlussfassung erneut – naheliegender Weise in einer Präsidiumssitzung – angehört wurde, worüber ein Protokoll über die Sitzung Auskunft geben könnte, verhält sich die Revision ebenfalls nicht.
bb) Die Verfahrensrüge unterliegt auch deswegen durchgreifenden Zulässigkeitsbedenken, weil der Beschwerdeführer auf den Seiten 14 f. seines Besetzungseinwands widersprüchlich zu einem der beigefügten Präsidiumsbeschlüsse vorträgt, und zwar im Rahmen der gerügten fehlenden Abstraktheit der Umsetzung der Umverteilung unter seinem Gliederungspunkte:
(1) Danach sei Bezugspunkt für die eröffneten Verfahren allein der 15. November 2016; für einen abweichenden Zeitpunkt bestehe kein Anhalt: ʺDer Beschluss des Präsidiums vom 13. März 2017 bestätigt dies. Obwohl dem Prä- sidium die bereits angesprochene Problematik bekannt war, wird an keiner Stelle darauf hingewiesen, dass es Absicht des Präsidiums gewesen sei, nur diejenigen Verfahren überzuleiten, bei denen möglicherweise bis zum 9. November 2016 keine Eröffnung vorlag. Vielmehr war es sehr wohl die Absicht des Präsidiums, sämtliche Regelungen auf den 15.11.2016 zu fixierenʺ. Damit übergeht der Beschwerdeführer die referierten gegenteiligen relevanten Passagen aus dem Beschluss vom 13. März 2017. Auch dies bedingt die Unzulässigkeit der Rüge. Denn weder das Erstnoch das Revisionsgericht ist gehalten, die rügeerheblichen Tatsachen selber herauszufiltern (BVerfG, Beschluss vom 19. April 2007 – 2 BvR 713/07 Rn. 2), was miteinschließt, dass es nicht einen widerspruchsfreien Vortrag herausarbeiten muss.
(2) Dagegen ist nicht einzuwenden, dass die zu beanstandende Passage unter den Rechtsausführungen des Beschwerdeführers unter 4. steht und damit nur dessen Wertung wiedergeben könnte. Denn insbesondere mit der Formulierung ʺwird an keiner Stelle darauf hingewiesenʺ trägt der Beschwerdeführer zu Verfahrenstatsachen vor. Der Beschwerdeführer ist stets zu einem vollständigen und wahrheitsgemäßen Vortrag verpflichtet.
b) Im Übrigen hätte die Verfahrensrüge auch in der Sache keinen Erfolg.
Mit der Garantie des gesetzlichen Richters will Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG der Gefahr vorbeugen, dass die Justiz durch eine Manipulation der rechtsprechenden Organe sachfremden Einflüssen ausgesetzt wird. Es soll vermieden werden, dass durch eine auf den Einzelfall bezogene Auswahl der zur Entscheidung berufenen Richter das Ergebnis der Entscheidung – gleichgültig von welcher Seite – beeinflusst werden kann. Damit sollen die Unabhängigkeit der Rechtsprechung sowie das Vertrauen der Rechtsuchenden und der Öffentlichkeit in die Unparteilichkeit und Sachlichkeit der Gerichte gesichert werden (BVerfG, Beschluss vom 23. Dezember 2016 – 2 BvR 2023/16 Rn. 22 mwN). An diesen Vorgaben gemessen durfte das Präsidium anhängige Verfahren umverteilen (dazu unter aa)). Die Umverteilungsklausel eröffnet zudem bei sachgerechter Auslegung keine Möglichkeit zur Manipulation (dazu unter bb)).
aa) Die Voraussetzungen für eine unterjährige Entlastung und Umverteilung anhängiger Verfahren waren erfüllt.
(1) Eine nachträgliche Änderung der Geschäftsverteilung (§ 21e Abs. 3 Satz 1 GVG) kann insbesondere dann geboten sein, wenn nur auf diese Weise dem Verfassungsgebot einer beschleunigten Behandlung namentlich von Strafsachen nachzukommen ist. Allerdings tritt in diesen Fällen das Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht vollständig zurück; denn es besteht der Anspruch auf zügige Entscheidung durch den gesetzlichen Richter. Deshalb ist, wie bereits bei den Ausführungen zur Unzulässigkeit der Verfahrensrüge aufgezeigt, in diesen Fällen das Recht des Angeklagten auf den gesetzlichen Richter mit dem rechtsstaatlichen Gebot einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege und dem verfassungsrechtlichen Beschleunigungsgrundsatz zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen (BVerfG, Beschluss vom 18. März 2009 – 2 BvR 229/09, BVerfGK 15, 247, 252). In solchen Fällen sind – mit Rücksicht auf die Garantie des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) – die Gründe, die eine derartige Umverteilung erfordern und rechtfertigen, umfassend zu dokumentieren und darzulegen, um den Anschein einer willkürlichen Zuständigkeitsverschiebung auszuschließen (BVerfG, aaO S. 253). Dies gilt auch dann, wenn die neue Strafkammer neben den umverteilten Sachen auch für Neueingänge zuständig ist (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Juli 2013 – 2 StR 116/13 Rn. 10).
(2) Als Ausnahmemaßnahme durfte das Präsidium einen Verfahrensbestand übertragen, damit die Entlastung effektiv und die Belastung beider Wirtschaftsstrafkammern gleichmäßig waren. Jedenfalls die ergänzende Begründung vom 9. März 2017 lässt eine ausreichende Abwägung erkennen. Das Präsidium hat etwaige Begründungsmängel vor Bescheidung des Besetzungseinwands und damit rechtzeitig behoben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. März 2009 – 2 BvR 229/09, BVerfGK 15, 247, 255).
(3) Auch das Prinzip der Stetigkeit (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 7. Januar 2014 – 5 StR 613/13, BGHR GVG § 21e Abs. 1 Hilfsstrafkammer 2 Rn. 12) ist nicht verletzt. Der Beschleunigungsgrundsatz gebot hier eine zügige Entlastung; innerhalb eines angemessenen Zeitraums war nicht mit einer Terminierung und Verhandlung der Nicht-Haftsachen zu rechnen (vgl. BGH, Beschluss vom 25. März 2015 – 5 StR 70/15, BGHR GVG § 21e Abs. 1 Hilfsstrafkammer 3 Rn. 14 f.). Der Vorsitzende der 4. Strafkammer prognostizierte einen Zeitraum von bis zu drei Jahren. Ein weiteres Zuwarten bis zur Jahresverteilung 2017 war nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen erforderlich; im Gegenteil war die Überlastung so erheblich, dass die Entlastungsmaßnahme nach Zuweisung neuer Richterstellen nicht länger zurückgestellt werden durfte (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Juli 2013 – 2 StR 116/13 Rn. 15).
bb) Die konkrete Umsetzungsbestimmung beinhaltet keine unzulässige Stichtagsregelung.
(1) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts steht Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG einer Änderung der Zuständigkeit auch für bereits anhängige Verfahren jedenfalls dann nicht entgegen, wenn die Neuregelung generell gilt, zum Beispiel mehrere anhängige Verfahren und eine unbestimmte Vielzahl künftiger, gleichartiger Fälle erfasst, und sie nicht auf sachwidrigen Gründen fußt (BVerfG, Beschluss vom 23. Dezember 2016 – 2 BvR 2023/16 Rn. 24 mwN). Jedoch müssen sämtliche Regelungen eines Geschäftsverteilungsplanes, der die gesetzlichen Bestimmungen über die Zuständigkeiten der jeweiligen Spruchkörper ergänzt, die wesentlichen Merkmale gesetzlicher Vorschriften aufweisen. Die Regelungen eines Geschäftsverteilungsplanes müssen also im Voraus generell-abstrakt die Zuständigkeit der Spruchkörper und die Zuweisung der einzelnen Richter regeln, damit die einzelne Sache ʺblindlingsʺ aufgrund allgemeiner, vorab festgelegter Merkmale an den entscheidenden Richter gelangt und so der Verdacht einer Manipulation der rechtsprechenden Gewalt ausgeschlossen wird (BVerfG, Beschlüsse vom 23. Dezember 2016 – 2 BvR 2023/16 Rn. 25 und vom 18. März 2009 – 2 BvR 229/09, BVerfGK 15, 247, 251 f.; je mwN). Soweit bereits anhängige Verfahren von einer Neuverteilung bestehender Zuständigkeiten erfasst werden, sind Regelungen mithin nur dann im Voraus generell-abstrakt, wenn der Geschäftsverteilungsplan selbst die Sachen neu verteilt. Sie sind demgegenüber nicht im Voraus generell-abstrakt, wenn sie im Einzelfall sowohl die Neuverteilung als auch die Beibehaltung bestehender Zuständigkeiten ermöglichen und dabei die konkreten Zuständigkeiten von Beschlüssen einzelner Spruchkörper abhängig machen, die gerade Adressaten der generell-abstrakten Zuständigkeit sein sollen (BVerfG, Beschluss vom 23. Dezember 2016 – 2 BvR 2023/16 Rn. 26). Da, wie ausgeführt, die die gesetzlichen Zuständigkeitsbestimmungen ergänzenden Geschäftsverteilungsregelungen gesetzesähnliche Funktion haben, sind sie wie Gesetze auszulegen. Nicht jede Regelung, die auslegungsbedürftige Begriffe verwendet und deshalb bei der Festlegung des zuständigen Richters Spielräume lässt, widerspricht dem Grundgedanken des Art. 101 Abs.1 Satz 2 GG. Dem Bestimmtheitsgebot ist genügt, wenn Auslegungsprobleme, die eine Vorschrift aufwirft, mit herkömmlichen juristischen Methoden bewältigt werden können (BVerfG, Beschluss vom 10. August 1995 – 1 BvR 1644/94 Rn. 14 mwN).
(2) Ausgehend von diesen Maßstäben genügt die Überleitungsregelung verfassungsrechtlichen Anforderungen: Die im Präsidiumsbeschluss vom 9. November 2016 zur Änderung der Geschäftsverteilung unter Ziffer B. I. 2. enthaltene Regelung der Zuständigkeit für Verfahren, die – wie das vorliegende – in der Zeit zwischen dem 1. Oktober 2015 und dem 9. November 2016 bei der 4. Strafkammer eingegangen sind, bestimmt nach Auslegung mithilfe der vier herkömmlichen Auslegungsmethoden, dass von den zum Zeitpunkt des Präsidiumsbeschlusses, mithin am 9. November 2016, bei der 4. Strafkammer anhängigen Verfahren diejenigen, bei denen noch kein Eröffnungsbeschluss ergangen ist, auf die 10. Strafkammer übergehen, und diejenigen, bei denen das Hauptverfahren bereits eröffnet worden ist, bei der 4. Strafkammer verbleiben.
(a) Anders als bei den Überleitungsregelungen, die Gegenstand der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Dezember 2016 – 2 BvR 2023/16 und vom 20. Februar 2018 – 2 BvR 2675/17 waren, ist diese Auslegung hier mit dem Wortlaut der Ableitungsklausel vereinbar. Denn die dort beanstandeten Regelungen haben das spätere Wirksamkeitsdatum bzw. den späteren ʺZeitpunkt des Übergangsʺ – anders als hier – in ihren Wortlaut aufgenommen. Auch die Ableitungsklausel, die Gegenstand der Entscheidung des Senats vom 27. Januar 2020 – 1 StR 622/17 war, sah unter den dort gegebenen Umständen als Bezugsdatum einen künftigen Tag, nämlich den 31. Dezember 2013, vor (dort Rn. 5). Die verfahrensgegenständliche Überleitungsklausel unter B. I. 2. selbst führt indes kein Datum auf. Vielmehr steht die Klausel für sich genommen ʺunbefangenʺ zwischen dem Einleitungssatz des Abschnitts B. zum Wirksamwerden der Überleitung und dem Beschlussdatum. Anknüpfungspunkt für den Zeitpunkt der Eröffnung kann mithin auch das unter dem Beschluss genannte Datum sein. Der Wortlaut ist somit offen und einer vorgenannten Auslegung mithin zugänglich. Auch die gewählte Zeitform (Präsens) verwehrt keine gültigkeitswahrende Auslegung. Eine Lücke für nach dem 9. November 2016 bis zum 15. November 2016 eingegangene Verfahren besteht nicht; diese fielen in die Zuständigkeit der 4. Strafkammer. Ob dies tatsächlich so gehandhabt wurde, ist nicht Gegenstand dieses Revisionsverfahrens.
(b) Eine sofortige Übertragung der Verfahren am 9. November 2016 auf die erst zum 15. November2016 eingerichtete 10.Strafkammer wäre ausgeschlossen gewesen. Wie sich auch aus den Beschlüssen vom 9. und 13. März 2017, mit denen das Präsidium seine für die getroffene Regelung maßgebenden Erwägungen unmissverständlich dokumentiert hat, ergibt, sollten alle Verfahren, die zum Zeitpunkt des Präsidiumsbeschlusses, mithin am 9. November 2016, noch nicht eröffnet waren, auf die 10. Strafkammer übergeleitet werden. Der Wille des Präsidiums ist eindeutig: Maßgeblich sollte der 9. November 2016 sein; eine Möglichkeit zur Manipulation sollte nicht eröffnet werden.
(c) Auch aus systematischer Sicht besteht kein Anlass, das Datum des Wirksamwerdens aus dem Einleitungssatz in die Überleitungsklausel hineinzulesen. Dies ergibt der Umkehrschluss aus der Ableitungsklausel B. I. 9., wonach ʺdie 11. Strafkammer ... von der 9. Strafkammer alle am 15.11.2016 dort anhängigen noch nicht terminierten Berufungen in Wirtschaftsstrafsachen mit bisher gerader Endziffer des Kammeraktenzeichens einschließlich 0ʺ übernahm. Anders als in Ziffer B. I. 9. ist in der in Rede stehenden Ziffer B. I. 2. das Wirksamwerden des Beschlusses zum 15. November 2016 gerade nicht als maßgeblicher Zeitpunkt genannt.
(d) Nach Sinn und Zweck der Überleitungsklausel war eine umfassende Entlastung der 4. Strafkammer geboten. Davon sollten zum Sparen von Justizressourcen nur solche Fälle ausgenommen sein, in denen sich die 4. Strafkammer eingearbeitet hatte, was das Präsidium am Eröffnungsbeschluss festmachte. Hiergegen ist nichts zu erinnern.
II.
Die lange Dauer des Revisionsverfahrens, bevor die Akten dem Senat vorgelegt wurden, rechtfertigt, einen weiteren Monat der verhängten Freiheitsstrafe als vollstreckt zu bestimmen.