StPO § 344 Abs. 2 S. 2 Rüge der Verletzung des Beweisantragsrechts

 

StPO § 344 Abs. 2 S. 2 Rüge der Verletzung des Beweisantragsrechts

BGH, Beschl. v. 20.07.2010 – 3 StR 250/10 - NStZ-RR 2010, 384 (L)

Werden weder im Beweisantrag noch im Ablehnungsbeschluss Aktenbestandteile in Bezug genom­men und ergibt sich die Fehlerhaftigkeit des Gerichtsbeschlusses bereits aus dessen Begründung in Verbindung mit den Urteilsgründen, so bedarf es weiterer Darlegungen zur Begründung der Rüge der Verletzung des § 244 Abs. 3 S. 2 StPO nicht.

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 3. auf dessen Antrag - am 20. Juli 2010 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 28. Januar 2010 mit den zuge­hörigen Feststellungen aufgehoben a) im Fall II. 1 der Urteilsgründe, b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.  Gründe: Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Raubes (Fall II. 1) und wegen gefährlicher Körperverletzung in Tatein­heit mit "Verstoß gegen das Waffengesetz" (Fall II. 2) unter Einbeziehung einer Geldstrafe aus einem früheren Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts bean­standet, hat mit einer Verfahrensrüge zum Fall II. 1 und zum Gesamtstrafenausspruch Erfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Die Rüge, das Landgericht habe einen Beweisantrag in rechtsfehlerhafter Weise abgelehnt, greift durch. 

1. Nach den Feststellungen zum Fall II. 1 ergriff der Angeklagte den späteren Geschädigten, der sich in Begleitung des Zeugen H. befand, mit der linken Hand an der Schulter, legte den Arm um ihn und zog ihn gegen dessen Willen in den nicht einsehbaren Eingangsbereich einer Spielothek. Dort nahm er ihm gewaltsam 120 € weg. Das Landge­richt hat die Verurteilung des Angeklagten, der die Tat bestritten hat, im Wesentlichen auf die Angaben des Tatop­fers gestützt. Dessen Aussage hat es auch deshalb als glaubhaft angesehen, weil der Zeuge H. bei seiner polizeilichen Vernehmung zum Vortatgeschehen in Übereinstimmung mit dem Geschädigten angegeben habe, der Angeklagte habe das Tatopfer "von ihm weggezogen" und sei mit ihm in die Spielothek gegangen. Die polizeiliche Aussage des Zeugen H. wurde über den Vernehmungsbeamten in die Hauptverhandlung eingeführt; eine persönliche Einvernah­me des Zeugen hat nicht stattgefunden.

2. Der Angeklagte hat mit dem Ziel, die Glaubhaftigkeit der Aussage des Geschädigten zu erschüttern, die Verneh­mung des Zeugen H. zum Beweis dafür beantragt, dass das Tatopfer dem Angeklagten freiwillig in den Durchgang der Spielothek gefolgt und hierzu von dem Angeklagten nicht im Sinne einer Nötigungshandlung gezwungen worden sei. Diesen Antrag hat das Landgericht mit der Begründung zurückgewiesen, die behauptete Tatsache sei - ersichtlich tatsächlich - für die Entscheidung ohne Bedeutung. Entscheidend sei allein das Geschehen im Eingangsbereich der Spielothek. Die Indiztatsache, dass das Tatopfer dem Angeklagten dorthin freiwillig gefolgt sei, lasse nur den mögli­chen, nicht aber den zwingenden Schluss zu, dass die Wegnahme des Geldes im nicht einsehbaren Eingangsbereich der Spielothek ohne Gewaltanwendung erfolgt sei. Diesen Schluss wolle die Strafkammer jedoch nicht ziehen. a) Der Antrag des Beschwerdeführers genügt den an einen Beweisantrag zu stellenden Anforderungen. Insbesondere wird eine hinreichend bestimmte Tatsache behauptet; denn bei sinngerechter Auslegung war der Antrag erkennbar dahin zu verstehen, der Zeuge H. werde bekunden, dass der Geschädigte ohne Widerstreben und ohne Zwangsein­wirkung durch den Angeklagten diesem in den Eingangsbereich der Spielothek gefolgt ist. b) Die Rüge der Verletzung des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO ist auch im Sinne des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO zulässig erhoben. Die Revision teilt sowohl den Inhalt des Beweisantrags nebst Begründung als auch den gerichtlichen Ab­lehnungsbeschluss im Wortlaut mit. Da weder im Beweisantrag noch im Ablehnungsbeschluss Aktenbestandteile in Bezug genommen wurden und sich die Fehlerhaftigkeit des Gerichtsbeschlusses bereits aus dessen Begründung in Verbindung mit den Urteilsgründen ergibt, bedurfte es entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts weiterer Darlegungen zur Begründung der Rüge nicht (vgl. Löwe/Rosenberg/ Becker, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 372). c) Die Ablehnung der beantragten Beweiserhebung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Für die zu treffende Entscheidung ohne Bedeutung ist eine unter Beweis gestellte Indiz- oder Hilfstatsache nur dann, wenn ein Zusam­menhang zwischen ihr und dem Gegenstand der Urteilsfindung nicht besteht oder wenn sie trotz eines solchen Zu­sammenhangs selbst im Falle ihres Erwiesenseins nicht geeignet ist, die Entscheidung irgendwie zu beeinflussen (Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 244 Rn. 56 mwN). Zwar ist es dem Tatrichter grundsätzlich nicht verwehrt, In­diztatsachen als für die Entscheidung bedeutungslos zu betrachten, wenn er einen möglichen Beweisschluss, den der Antragsteller erstrebt, nicht ziehen will. Er muss sich dann aber an seiner Annahme tatsächlicher Bedeutungslosig­keit festhalten lassen und darf sich im Urteil nicht in Widerspruch zu der Ablehnungsbegründung setzen (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 8. Februar 2000 - 4 StR 592/99, NStZ-RR 2000, 210 mwN). Dies ist hier jedoch geschehen. Im Rahmen der Glaubwürdigkeitsbeurteilung des Tatopfers hat das Landgericht auch aus den übereinstimmenden Angaben des Zeugen H. und des Geschädigten zu dem Vortatgeschehen auf die Glaubhaftigkeit der Angaben des Opfers zur Tat II. 1 geschlossen. Damit hat es zu erkennen gegeben, dass es diesem Geschehen entgegen der im Ablehnungsbeschluss geäußerten Auffassung Bedeutung für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Hauptbelas­tungszeugen beigemessen hat. Hierin liegt ein Verstoß gegen § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO. Bei der im Fall II. 1 gegebe­nen Sachlage, bei der zum eigentlichen Raubgeschehen Aussage gegen Aussage steht, vermag der Senat ein Beruhen des Urteils auf dem Verfahrensverstoß nicht auszuschließen.

3. Die Aufhebung des Urteils im Fall II. 1 zieht die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich.  

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