StPO § 349 Abs. 2, Abs. 4 Rechtskraft der Revisionsentscheidung

BGH, Urt. v. 09.11.2020 – 4 StR 597/19
Entscheidungen des Revisionsgerichts können grundsätzlich weder aufgehoben noch abgeändert
werden. Das gilt nicht nur für nach § 349 II StPO ergangene Beschlüsse über die
Verwerfung der Revision, durch die das Verfahren wie durch ein Verwerfungsurteil
nach § 349 V StPO rechtskräftig abgeschlossen wird, sondern auch für einen allein
nach § 349 IV StPO gefassten Beschluss, mit dem die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung
an das Tatgericht zurückverwiesen wird und der deshalb lediglich formelle
Rechtskraft erlangt, selbst wenn dieser versehentlich, indes nach der Aktenlage für das Revisionsgericht
erkennbar über einen bloßen Urteilsentwurf des Tatgerichts erfolgte.
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des
Beschwerdeführers am 9. November 2020 beschlossen:
Der Antrag des Generalbundesanwalts vom 15. Oktober 2020, den Beschluss des Senats vom 5.
Mai 2020 aufzuheben und das Verfahren fortzusetzen, wird abgelehnt. Es verbleibt bei der Entscheidung
des Senats vom 5. Mai 2020.
Gründe:
1 Das Landgericht Detmold hatte den Angeklagten am 9. Juli 2019 wegen unerlaubter Einfuhr
von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben
mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren
und sechs Monaten verurteilt. Auf die Revision des Angeklagten hob der Senat mit Beschluss
vom 5. Mai 2020 das Urteil im Strafausspruch gemäß § 349 Abs. 4 StPO auf und verwies die Sache
insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts
zurück; die weiter gehende Revision des Angeklagten wurde gemäß § 349 Abs. 2 StPO als
unbegründet verworfen.
I.
Eine erneute Hauptverhandlung hat bislang noch nicht stattgefunden. Vielmehr sind die Akten
über den Generalbundesanwalt erneut dem Bundesgerichtshof vorgelegt worden mit dem Antrag,
den Senatsbeschluss vom 5. Mai 2020 aufzuheben und das Verfahren fortzusetzen.
Dem Antrag liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
Die von der Strafkammer des Landgerichts auf der Grundlage der Beratung verfasste, 16 Seiten
umfassende, ordnungsgemäß unterschriebene und zur Zustellung an die Verfahrensbeteiligten bestimmte
Urteilsurkunde ging am 9. August 2019 auf der Geschäftsstelle des Landgerichts ein.
Aus nicht mehr aufklärbaren Gründen gelangte neben dem Original der Urteilsurkunde auch eine
18 Seiten umfassende „beglaubigte Abschrift“ eines Urteilsentwurfs zu den Gerichtsakten, die
mit der Urschrift nicht übereinstimmte, vielmehr in der Beweiswürdigung und bei der Strafzumessung
von der Originalurkunde abwich. Entgegen der Zustellungsverfügung des Vorsitzenden
der Strafkammer vom 9. August 2019, die sich auf die Originalurkunde des Urteils bezog, wurde
den Verteidigern versehentlich eine Ausfertigung der Entwurfsfassung zugestellt, die nicht als
Urteilsentwurf erkennbar war. Nach Eingang der Revisionsbegründung, mit der die Verteidiger
sachlich-rechtliche Fehler des ihnen zugestellten „Urteils“ beanstandeten, wurde – aus ebenfalls
nicht mehr aufklärbaren Gründen – auch nur der 18-seitige Urteilsentwurf als „beglaubigte Abschrift“
zu den Handakten des Generalbundesanwalts und sodann zu dem für die Revisionsinstanz
zusammengestellten sogenannten Senatsheft genommen. Auf dieser Grundlage erstellte
der Generalbundesanwalt seinen auf § 349 Abs. 2 StPO gestützten Verwerfungsantrag und fasste
der Senat seinen Beschluss vom 5. Mai 2020. Zum Zeitpunkt der
Beschlussfassung befand sich die Originalurkunde des Urteils in den dem Senat ebenfalls vorgelegten
Gerichtsakten.
II.
Eine Aufhebung des Senatsbeschlusses vom 5. Mai 2020 kommt in der hier vorliegenden Fallkonstellation
nicht in Betracht. Es verbleibt bei der teilaufhebenden Entscheidung.
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können Entscheidungen des Revisionsgerichts
grundsätzlich weder aufgehoben noch abgeändert werden. Das gilt nicht nur für nach
§ 349 Abs. 2 StPO ergangene Beschlüsse über die Verwerfung der Revision, durch die das
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Verfahren wie durch ein Verwerfungsurteil nach § 349 Abs. 5 StPO rechtskräftig abgeschlossen
wird (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. Januar 1962 – 4 StR 392/61, BGHSt 17, 94, und vom 24.
März 2011 – 4 StR 637/10), sondern auch für einen nach § 349 Abs. 4 StPO gefassten Beschluss,
mit dem die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Tatgericht zurückverwiesen
wird und der deshalb lediglich formelle Rechtskraft erlangt (vgl. BGH, Beschluss vom 10. September
2015 ‒ 4 StR 24/15 Rn. 8 mwN; vgl. auch Beschluss vom 4. April 2006 ‒ 5 StR 514/04
für Entscheidungen nach § 349 Abs. 2 i.V.m. Abs. 4 StPO). Ein Bedürfnis der Rechtspflege und
der Allgemeinheit nach Rechtssicherheit verbietet es auch im Revisionsverfahren, einen Eingriff
in die Rechtskraft einer gerichtlichen Sachentscheidung zuzulassen, es sei denn, die Voraussetzungen
der speziell für diesen Verfahrensabschnitt geltenden Ausnahmevorschrift des § 356a
StPO wären erfüllt, wonach die Entscheidung des Revisionsgerichts unter Verletzung des Anspruchs
auf rechtliches Gehör zustande gekommen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 10. September
2015 – 4 StR 24/15 mwN; Beschluss vom 14. November 2019 – 1 StR 62/19).
2. Zwar hat die Rechtsprechung eine Korrektur einer formell bzw. materiell rechtskräftigen Revisionsentscheidung
in eng begrenzten Ausnahmefällen zugelassen (vgl. RG, Beschluss vom 13.
November 1925 – I 512/25, RGSt 59, 419 bei irrtümlicher Annahme der Mitwirkung eines funktionell
unzuständigen Urkundsbeamten bei Anbringung der Revisionsanträge; BGH, Beschluss
vom 28. Januar 1997 – 1 StR 456/96 bei fehlender Kenntnis des Revisionsgerichts von der Revisionsrücknahme
und der Entscheidung des Landgerichts über die Kostenfolge, die den dem Revisionssenat
vorgelegten Akten nicht beigefügt waren; BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2007 –
2 StR 485/06 bei Verursachung des Irrtums des Revisionsgerichts über ein Verfahrenshindernis
durch eine dem Angeklagten zuzurechnende Täuschung; BGH, Beschluss vom 27. Oktober 2015
– 1 StR 162/15 zur Verfahrenseinstellung nach nachträglich bekannt gewordenem Tod des Beschwerdeführers).
Ein solcher Ausnahmefall, der eine Durchbrechung der formellen bzw. materiellen Rechtskraft
einer Revisionsentscheidung rechtfertigen könnte, liegt aber jedenfalls unter den hier gegebenen
Umständen nicht vor.
a) Den den vorgenannten Ausnahmeentscheidungen zugrundeliegenden Fallkonstellationen ist –
soweit ersichtlich – gemein, dass die jeweiligen Revisionsentscheidungen auf einer – nicht erkennbar
– unvollständigen oder falschen Aktenlage getroffen wurden und dem Revisionsgericht
infolgedessen für das Revisionsverfahren erhebliche prozessuale Tatsachen verborgen blieben
oder ihm für die Revisionsentscheidung maßgebliche verfahrensverändernde Entscheidungen
nicht bekannt wurden.
Von dieser engen Begrenzung einer Rechtskraftdurchbrechung ist auch der 1. Strafsenat in seiner
Entscheidung vom 14. November 2019 (1 StR 62/19) ausgegangen und hat die Aufhebung eines
lediglich versehentlich auf einer unzutreffenden tatsächlichen Grundlage ergangenen Senatsbeschlusses
abgelehnt. Der Entscheidung lag ein Fall zugrunde, in welchem statt des nach Wiedereinsetzung
in den vorigen Stand gemäß § 267 Abs. 4 Satz 4 StPO ergänzten, zugestellten und
vom Angeklagten mit der Revision angegriffenen Urteils aufgrund eines Versehens lediglich die
Ausfertigung der Fassung des ursprünglich gemäß § 267 Abs. 4 StPO abgekürzten Urteils zum
Senatsheft gelangte, auf dessen Grundlage sodann ein Senatsbeschluss gemäß § 349 Abs. 2 und 4
StPO erging. Zur Begründung hat der 1. Strafsenat darauf verwiesen, dass der von der Tatsacheninstanz
vollständig vorgelegte Akteninhalt lediglich nicht vollständig – soweit für die
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Revisionsentscheidung erforderlich – zum Inhalt des Senatshefts gelangte. Ein solches Versehen
könne jedoch einen Eingriff in die formelle bzw. materielle Rechtskraft einer Entscheidung im
Revisionsverfahren nicht rechtfertigen.
b) So liegt der Fall auch hier.
Dem Senat lagen bei seiner Beschlussfassung die vollständigen Akten der Tatsacheninstanz einschließlich
der Urteilsurkunde im Original vor. Auch im vorliegenden Fall war es einem Versehen
geschuldet, dass bei der Zusammenstellung des lediglich für den internen Gebrauch bestimmten
Senatshefts (vgl. dazu BGH, Urteil vom 18. Juni 2009 – 3 StR 89/09 [unter dem Gesichtspunkt
des Akteneinsichtsrechts]) nicht eine Kopie oder eine Ausfertigung der Urschrift des Urteils,
sondern eine „Ausfertigung“ des Urteilsentwurfs zu den senatsinternen Akten gelangte, auf
dessen Grundlage die Beschlussfassung erfolgte. Die Aktenvorlage war indes vollständig erfolgt.
Die Senatsentscheidung ist deshalb zwar auf einer tatsächlich falschen Grundlage ergangen; dies
war aber nicht Folge einer unvollständigen oder falschen Aktenlage, sondern beruhte auf einem
Versehen.
Der Senat folgt daher für den vorliegenden Fall der Rechtsauffassung des 1. Strafsenats, zumal
sich auch in Ansehung des Originalurteils die auf falscher Tatsachengrundlage getroffene teilaufhebende
Senatsentscheidung zum Vorteil des Angeklagten auswirkt. Soweit sich aus der Entscheidung
des Senats vom 10. September 2015 (4 StR 24/15) etwas anderes ergibt, hält der Senat
hieran nicht fest.
Es verbleibt nach alledem bei der Senatsentscheidung vom 5. Mai 2020.
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