StPO § 356a Keine Wiedereinsetzung nach Verfahrensabschluss durch Sachurteil - fehlendes Rechtsschutzinteresse bei Gehörsverstoß
BGH, Urt. v. 24.02.2021 – 6 StR 326/20
1. Ist eine zuungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft (betreffend einen Teilfreispruch) durch Urteil des Strafsenats verworfen worden, ist weder für eine Wiedereinsetzung des Angeklagten zur Anbringung von "Anträgen, Eilanträgen , Klagen und weiteren Rügen" Raum noch liegt ein Gehörsvertoß vor, wobei dahinstehen kann, ob insoweit mit Blick auf das nicht benachteiligende Senatsurteil bereits das Rechtsschutzinteresse fehlt.
2. Ein Gehörsverstoß liegt im übrigen auch dann nicht vor, wenn der nicht inhaftierte Verurteilte an der Revisionshauptverhandlung hätte teilnehmen können und zudem der anwesende Verteidiger die von ihm wahrgenommene Gelegenheit hatte, sich zu allen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten zu äußern.
Der 6. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. Februar 2021 beschlossen:
Der Antrag des Verurteilten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Ergänzung von Revisionsvorbringen und seine Anhörungsrüge gegen das Senatsurteil vom 10. Februar 2021 werden verworfen.
Der Verurteilte hat die Kosten seiner Anhörungsrüge zu tragen.
Gründe:
1. Mit Urteil vom 10. Februar 2021 hat der Senat die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Verurteilten gegen das Urteil des Landgerichts Cottbus vom 3. März 2020 verworfen und auf die Revision der Staatsanwaltschaft das Urteil einen Teilfreispruch betreffend aufgehoben. Hiergegen wendet sich der Verurteilte mit seiner, als „Wiedereinsetzung in den vorigen Stand“ bezeichneten Eingabe vom 15. Februar 2021 wegen folgender Umstände: Er beantragte am 2. und am 7. Dezember 2020 beim Senat, mit einer Entscheidung über seine Revision „bis zur Einreichung meiner letzten Sachrüge“ zu warten, nachdem sich der Rechtspfleger beim Landgericht am 2. Dezember 2020 unter Hinweis auf die mit dem 22. Juli 2020 abgelaufene Revisionsbegründungsfrist geweigert hatte, weiteres Revisionsvorbringen des Verurteilten zu protokollieren. Am 1. Februar 2021 hob das Landgericht auf Erinnerung des Verurteilten die Entscheidung des Rechtspflegers, mit der er die Protokollierung weiteren Revisionsvorbringens abgelehnt hatte, auf und stellte dessen Pflicht fest, ergänzende Erklärungen des Verurteilten zur Revision zu Protokoll zu nehmen.
2. Der Antrag des Verurteilten bleibt erfolglos.
a) Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Ergänzung des Revisionsvortrags ist nicht statthaft, weil das Verfahren durch die Sachentscheidung des Senats abgeschlossen ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. Januar 1962 – 4 StR 392/61, BGHSt 17, 94; vom 13. August 1969 – 1 StR 124/69, BGHSt 23, 102; vom 4. November 2020 – 6 StR 114/20). Im Übrigen wäre der Antrag auch unzulässig, denn es fehlt an einer Fristversäumung. Der Angeklagte selbst hat innerhalb der Frist des § 345 Abs. 1 StPO zu Protokoll der Geschäftsstelle die Revision begründet. Daneben hat sein Verteidiger fristgerecht eine Revisionsbegründung eingereicht.
b) Als Anhörungsrüge (§ 356a StPO) ist das Begehren des Verurteilten unbegründet.
aa) Der Senat hat bei seiner Entscheidung weder Tatsachen oder Beweisergebnisse verwertet, zu denen der Beschwerdeführer nicht hätte Stellung nehmen können, noch hat er entscheidungserhebliches Vorbringen übergangen oder in sonstiger Weise rechtliches Gehör verletzt. Einem Revisionsführer bleibt es zwar unbenommen, auch noch nach Ablauf der Begründungsfrist Ergänzungen zur Sachrüge vorzunehmen. Jedoch steht die Berücksichtigung nachträglichen Vorbringens unter dem verschuldensunabhängigen Vorbehalt, dass dieses vor der Entscheidung eingeht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24.Juni 1993 – 4StR 166/93; NStZ 1993, 552; vom 27. Juni 2012 – 1 StR 131/12, NStZ-RR 2012, 319, 320; vom 19. Oktober 2011 – 2 StR 246/11, jeweils mwN). Ein Anspruch des Beschwerdeführers auf Zuwarten mit der Durchführung der Revisionshauptverhandlung und der Entscheidung bis zum Eingang seines letzten ergänzenden Vorbringens bestand nicht. Zum einen gaben die vom Verteidiger eingereichte sowie die vom Verurteilten am 1. Juli 2020 und nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist ergänzend am 8. Oktober 2020 zu Protokoll erklärten ausführlichen Revisionsbegründungen keine Veranlassung, ausnahmsweise weitere Frist zur Äußerung zu gewähren. Zum anderen bedurfte das Revisionsverfahren wegen der zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung bereits rund zwei Jahre und elf Monate andauernden Untersuchungshaft der beschleunigten Beendigung.
bb) Es kann dahinstehen, ob die Weigerung des Rechtspflegers, am 2. Dezember 2020 weitere
Ergänzungen des Revisionsvorbringens zu protokollieren, einen Gehörsverstoß darstellt. Denn ein solcher konnte wegen der am 10. Februar 2021 durchgeführten Hauptverhandlung, in welcher der Verteidiger Gelegenheit zur Äußerung zu allen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten hatte und diese auch wahrnahm, nicht entscheidungserheblich werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. September 2012 – 1 StR 534/11 mwN und vom 19. Mai 2015 – 5 StR 20/15). Einer der Ausnahmefälle, in denen trotz durchgeführter Hauptverhandlung ein Gehörsverstoß denkbar ist, liegt hier nicht vor (vgl. BT-Drucks. 15/3706, S. 17).
cc) Darüber hinaus kann der Senat die Entscheidungserheblichkeit weiterer Ergänzungen zur Sachrüge ausschließen. Der Verurteilte hat in seinem „Antrag auf Wiedereinsetzung“ mitgeteilt, dass der Inhalt seiner „letzten Sachrüge“ seiner mit Schreiben vom 23. und 24. November 2020 dem Senat übersandten Erwiderung auf die Antragsschrift des Generalbundesanwalts entspricht. Ungeachtet der Nichteinhaltung der Form des § 345 Abs. 2 StPO hat der Senat diese und alle weiteren Ausführungen des Verurteilten im Rahmen seiner auf die Sachrüge ohnehin bestehenden Pflicht zur vollumfänglichen Prüfung des angegriffenen Urteils berücksichtigt.