StPO § 53 – Begriff des Geistlichen
1. Das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO steht nicht nur den Geistlichen der staatlich anerkannten, öffentlich-rechtlich verfassten Religionsgemeinschaften zu.
2. Zum Begriff der seelsorgerischen Tätigkeit im Sinne des § 53 ABs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 15. April 2010 für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Münster vom 18. Juni 2009 hinsichtlich sämtlicher Angeklagten in den Strafaussprüchen mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die zur Schuldfähigkeit getroffenen Feststellungen aufrecht erhalten.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel der Angeklagten, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehenden Revisionen der Angeklagten werden verworfen.
4. Die Revisionen der Nebenkläger werden verworfen. Sie haben die Kosten ihrer Rechtsmittel und die den Angeklagten durch diese entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagten des Totschlags schuldig gesprochen und Niyazi A. zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren, Ibrahim A. zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren, Fikret A. und Al. zu Freiheitsstrafen von jeweils neun Jahren und Zerdest A. zu einer Jugendstrafe von sieben Jahren verurteilt. Gegen das Urteil richten sich die auf Verfahrens- und Sachrügen gestützten Revisionen der Angeklagten. Sie haben mit einer Verfahrensrüge zu den Rechtsfolgenaussprüchen Erfolg. Im Übrigen sind diese Rechtsmittel aus den vom Generalbundesanwalt in den Antragsschriften vom 14. Januar 2010 dargelegten Gründen unbegründet. Die Nebenkläger beanstanden mit ihren Revisionen die Verletzung sachlichen Rechts. Ihre Rechtsmittel sind insgesamt unbegründet.
I. Die Jugendkammer hat die Angeklagten wegen der vorsätzlichen Tötung von Elyas C. verurteilt. Hierzu hat sie im Wesentlichen festgestellt: Svetlana A. trennte sich Ende Januar 2008 von ihrem Ehemann, dem Angeklagten Niyazi A.. Die Familie A. machte hierfür Elyas C. verantwortlich und unterstellte diesem ein Verhältnis mit Svetlana A.. Am 26. April 2008 kam es zu einem Streit zwischen dem Angeklagten Fikret A., dem Cousin von Niyazi A., und Elyas C., in dessen Verlauf Elyas C. mit einer Schusswaffe gedroht haben soll. Die Mitglieder der Familie A. beschlossen daraufhin, Elyas C. "zumindest in Form eines körperlichen Übergriffs" zu bestrafen. Der Angeklagte Ibrahim A., der Bruder von Niyazi, der sich als das Oberhaupt der Familie A. ansah, äußerte anlässlich eines "Versöhnungsgesprächs", dass Elyas C. "nun die Zielscheibe" sei. Dies wurde der Familie C. bekannt; sie wertete die Äußerung als Tötungsbeschluss. Am späten Nachmittag des 5. August 2008 trafen der Angeklagte Niyazi A. und Elyas C. sowie dessen Ehefrau Ariya C. im Gewerbegebiet von L. aufeinander, wo die Eheleute C. einkaufen wollten. Nach einer verbalen Auseinandersetzung zwischen Elyas C. und Niyazi A. verständigten sowohl dieser als auch die Eheleute C. die Polizei und warteten zunächst in ihren Pkws. Der Angeklagte Niyazi A. rief zudem die Angeklagten Fikret (seinen Cousin) und Ibrahim A. an, der wiederum seinen Sohn Zerdest und den Angeklagten Al. (den Schwager von Niyazi A. ) verständigte. Diese kamen nach kurzer Zeit in zwei Pkws in das Gewerbegebiet. Als sich Elyas C. und seine Ehefrau nach einem weiteren (verbalen) Streit mit Ibrahim A. in ihrem Fahrzeug von dem Parkplatz entfernen wollten, fuhr der Angeklagte Fikret A. mit dem von ihm gesteuerten Pkw - um sie "zu stellen" - frontal auf das Fahrzeug der Eheleute C. zu und prallte mit diesem zusammen. Daraufhin liefen die Angeklagten Ibrahim, Zerdest und Fikret A. sowie Al. auf Elyas C., der ebenfalls aus dem Pkw ausgestiegen war, zu und schlugen und traten auf diesen ein. Sodann näherte sich der Angeklagte Niyazi A. mit einem ca. 30 cm langen Küchenmesser von hinten Elyas C. und stach diesem mehrmals mit großer Wucht in den Rücken, um ihn zu töten. Dies erkannten und billigten die weiteren Angeklagten spätestens, als sie Niyazi A. mit dem Messer auf Elyas C. zukommen und auf ihn einstechen sahen. Der Angeklagte Ibrahim A. zeigte Niyazi A. zudem mehrmals, wohin er stechen sollte; ferner "feuerten" er sowie die anderen Angeklagten Niyazi A. "bei dem Stechen an" und der Angeklagte Al. hielt die Ehefrau des Elyas C. fest, um sie daran zu hindern, ihrem Ehemann zu helfen. Insgesamt versetzte Niyazi A. seinem Opfer elf Messerstiche, an deren Folgen Elyas C. noch am Tatort verstarb.
II. Die Rechtsmittel der Angeklagten haben lediglich teilweise Erfolg.
1. Die Verfahrensrügen, mit denen sie eine Verletzung des § 245 Abs. 1 StPO beanstanden, führen zur Aufhebung der Strafaussprüche.
Die Familien A. und C. - auch die Angeklagten und das Opfer - gehören der Glaubensgemeinschaft der Yeziden an. Am Tag nach der Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten Fikret A. und Elyas C. vom 26. April 2008 kam es auf Veranlassung der Familie C. zu einem "Versöhnungsgespräch" zwischen beiden Familien, an dem auf Seiten der Familie A. die Angeklagten Ibrahim und Fikret A. und auf Seiten der Familie C. der Bruder des späteren Opfers, Fuad C. , sowie S. (der Vater von Ariya C. , der Ehefrau von Elyas C. ) teilnahmen. Beteiligt an dem Gespräch waren ferner zwei yezidische "Geistliche", die Zeugen Sü. und D.. Beide machten in der Hauptverhandlung vom Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO Gebrauch. Zum Inhalt des Gesprächs folgte die Jugendkammer den Angaben der Zeugen Fuad C. und S. , wonach der Angeklagte Ibrahim A. eine Versöhnung abgelehnt und unter anderem geäußert habe, dass "man Elyas C. nicht in Ruhe lassen" werde. Die "anderslautenden" Einlassungen der Angeklagten Ibrahim und Fikret A. zum Inhalt des Gesprächs hielt die Jugendkammer für widerlegt, insbesondere dass - wie Fikret A. angab - es nur um den Vorfall mit der Waffe und nicht um das Verhältnis zwischen Elyas C. und Svetlana A. gegangen sei. Ferner führte das Landgericht in den Urteilsgründen aus: Das Zeugnisverweigerungsrecht der Zeugen Sü. und D. stützt sich auf § 53 Abs. 1 Ziffer 1 StPO. Die Zeugen haben in der Hauptverhandlung glaubhaft angegeben, dass sie an dem Gespräch am 26.04.08 [richtig: 27. April 2008] in ihrer Funktion als yezidische Geistliche teilgenommen haben und ihnen der Gesprächsinhalt als Seelsorger anvertraut worden ist. Schlichtungs- und Versöhnungsgespräche dieser Art zwischen den Angehörigen ihres Glaubens würden zu ihren seelsorgerischen Tätigkeiten gehören. Sie dürften darüber auch ansonsten keine Auskunft geben. Die auch in Deutschland zahlenmäßig stark vertretene Glaubensgemeinschaft der Yeziden ist nach Auffassung der Kammer zumindest im Rahmen des § 53 Abs. 1 StPO sonstigen staatlich anerkannten öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften gleichzustellen. Mit ihren Verfahrensrügen machen die Angeklagten geltend, dass die Jugendkammer den Zeugen Sü. und D. mit Unrecht ein Zeugnisverweigerungsrecht zugebilligt und sie daher fehlerhaft nicht zur Sache vernommen habe.
b) Die Rügen führen zur Aufhebung der Strafaussprüche hinsichtlich aller Angeklagten.
aa) Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO nicht nur den Geistlichen der staatlich anerkannten, öffentlich-rechtlich verfassten Religionsgemeinschaften zusteht.
(1) Der Wortlaut dieser Vorschrift gebietet eine solche Beschränkung nicht.
Zwar hat der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs im Urteil vom 5. Mai 1953 (1 StR 194/53) - die Entscheidung nicht tragend - ausgeführt, dass Missionare der Zeugen Jehovas schon deshalb keine Geistlichen im Sinne des § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO seien, "weil ihre Sekte nicht zu den staatlich anerkannten öffentlichrechtlichen Religionsgemeinschaften gehört". Damit sollte aber ersichtlich nicht auf eine "Wortlautschranke" in dieser Vorschrift abgestellt, sondern dem Anliegen Rechnung getragen werden, den Kreis der nach dieser Vorschrift zeugnisverweigerungsberechtigten Personen zu begrenzen (vgl. auch Weigend, Gutachten für den 62. Deutschen Juristentag 1998, C 90). Der Begriff "Geistliche" ist semantisch offen (Rogall in Eisenberg-FS 2009, S. 583, 592) und bekenntnisneutral (Korioth in Maunz/Dürig GG [Stand 2009] Art. 136 WRV Rdn. 46; Neumann, Zeugnisverweigerungsrechte und strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen, 2005, S. 139 f.; Fischedick DÖV 2008, 584, 587). Er schließt daher keine Religionsgemeinschaft von vorneherein aus.
(2) Auch der Zweck von § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO erfordert nicht eine Beschränkung des Personenkreises der Geistlichen auf Angehörige der staatlich anerkannten, öffentlich-rechtlich verfassten Religionsgemeinschaften. Das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO schützt in erster Linie das Vertrauensverhältnis zwischen dem Geistlichen und demjenigen, der sich ihm anvertraut (vgl. BVerfG, Urteil vom 3. März 2004 - 1 BvR 2378/98, 1 BvR 1084/99, BVerfGE 109, 279, 322). Dem Rat- und Hilfesuchenden soll die Möglichkeit eröffnet sein, sich mit einem Geistlichen zu besprechen, ohne befürchten zu müssen, dass dieser die ihm mitgeteilten Tatsachen und Umstände als Zeuge offenbaren muss. Der Schutz erfolgt um der Menschenwürde des Gesprächspartners des Seelsorgers willen (BVerfG aaO). Denn "das Zwiegespräch mit dem Seelsorger ist dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen, der dem staatlichen Zugriff schlechthin entzogen ist, und bedarf daher umfassenden Schutzes vor staatlicher Kenntnisnahme" (BTDrucks. 16/5846 S. 35 [zu § 53b StPO-E, dem jetzigen § 160a Abs. 1 Satz 1 StPO]; ähnlich dort S. 25). Mit diesem Schutzzweck des § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO ist eine Beschränkung des Personenkreises der Geistlichen, die auf den rechtlichen Status der Religionsgemeinschaft abstellt, unvereinbar. Auch soweit der Schutzzweck des § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO an die Glaubens- und Religionsfreiheit des Zeugen, dessen auf der Verschwiegenheitspflicht beruhende Konfliktsituation, seine Berufsfreiheit und den Erhalt der Funktionstüchtigkeit der von dieser Vorschrift erfassten Berufsgruppen anknüpft (vgl. Weigend aaO C 81 f.; Radtke ZevKR 2007, 617, 626 ff.; Fischedick DÖV 2008, 584, 585 ff.; ders., Die Zeugnisverweigerungsrechte von Geistlichen und kirchlichen Mitarbeitern, 2006, S. 33 ff.; Neumann, Zeugnisverweigerungsrechte und strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen, 2005, S. 111 ff., 128 ff., 138 f. m.w.N.), ist eine Unterscheidung zwischen den Geistlichen der staatlich anerkannten, öffentlich-rechtlich verfassten Religionsgemeinschaften und den Geistlichen sonstiger Religionsgemeinschaften nicht geboten. Aus dem Grundsatz der religiösen und weltanschaulichen Neutralität des Staates, der sich aus einer Zusammenschau der Art. 4 Abs. 1, Art. 3 Abs. 3, Art. 33 Abs. 3, Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 136 Abs. 1, Abs. 4 und Art. 137 Abs. 1 WRV ableiten lässt, folgt, dass der Staat auf eine am Gleichheitssatz orientierte Behandlung der verschiedenen Religionsgemeinschaften zu achten hat (BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2009 - 2 BvR 890/06 m.w.N.; zur Neutralitätspflicht nach Art. 9 EMRK: EGMR, Urteil vom 31. Juli 2008 - 40825/98 [Zeugen Jehovas ./. Österreich], NVwZ 2009, 509, 511 und Sydow JZ 2009, 1141, 1142 ff.). Ihm ist die Privilegierung bestimmter Bekenntnisse ebenso untersagt wie die Ausgrenzung Andersgläubiger (BVerfG, Urteil vom 24. September 2003 - 2 BvR 1436/02, BVerfGE 108, 282, 299). Hiermit ist eine über den Wortlaut des § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO hinausgehende Beschränkung des Begriffs der Geistlichen auf Amtsträger der als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkannten Religionsgemeinschaften, wie sie die herrschende Lehre vornimmt, unvereinbar (vgl. zur h.L. etwa Meyer-Goßner StPO 52. Aufl. § 53 Rdn. 12; Senge in KK StPO 6. Aufl. § 53 Rdn. 11; Ignor/Bertheau in Löwe/Rosenberg StPO 26. Aufl. § 53 Rdn. 21; Rogall in SK StPO [Stand Oktober 2002] § 53 Rdn. 69 jeweils m.w.N.; dem zu § 20u BKAG folgend: BTDrucks. 16/9588 S. 33 und 16/10121 S. 35; wie hier: Eser in Handbuch des Staatskirchenrechts, 1995, S. 1037, 1040; Fischedick, Die Zeugnisverweigerungsrechte von Geistlichen und kirchlichen Mitarbeitern, 2006, S. 114; Korioth in Maunz/Dürig GG [Stand 2009] Art. 136 WRV Rdn. 45 f. m.w.N.). Hinzu kommt, dass die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts schon aus rechtlichen Gründen nicht jeder Religionsgemeinschaft offen steht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Februar 1991 - 2 BvR 263/86, BVerfGE 83, 341, 356 ff.). Vielmehr knüpfen landesrechtliche Regelungen unter anderem an die Mitgliederzahl der Religionsgemeinschaft in dem jeweiligen Bundesland an und verlangen eine ausreichende finanzielle Ausstattung (vgl. S. 3 der Drucksache 12/897 des Landtags von Baden-Württemberg; allgemein hierzu Hillgruber NVwZ 2001, 1347, 1349 ff.). Diese Voraussetzungen sind sachgerecht als Grundlage der den öffentlich-rechtlichen Körperschaften zustehenden Privilegien etwa im Besteuerungs-, Kosten- und Gebührenrecht. Zum Schutzzweck des § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO haben sie jedoch keinerlei Bezug. Dem steht nicht entgegen, dass das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung vom 25. Januar 2007 (2 BvR 26/07, NJW 2007, 1865, 1866) ergänzend ("zumal") darauf hingewiesen hat, dass der Körperschaftsstatus einer Religionsgemeinschaft die Gewähr dafür biete, dass vom Zeugnisverweigerungsrecht nicht unangemessen Gebrauch gemacht werde. Denn das Bundesverfassungsgericht stützte sich in dieser Entscheidung zum Zeugnisverweigerungsrecht eines katholischen Anstaltsseelsorgers vorrangig darauf, dass "jedenfalls" die hauptamtliche Beauftragung nach kirchlichem Dienstrecht eine angemessene Umgrenzung des Zeugnisverweigerungsrechts kirchlicher Seelsorger, die keine Kleriker sind, sicherstelle.
(3) Vor diesem Hintergrund und im Hinblick auf die gesellschaftliche Entwicklung vermögen es auch der am Bild der damals in Deutschland vertretenen Konfessionen orientierte Wille des historischen Gesetzgebers und die vom Staat gegenüber bestimmten Religionsgemeinschaften ausdrücklich übernommene Verpflichtung, das Schweigerecht von Geistlichen zu schützen und zu gewährleisten (z.B. Art. 9 des Konkordats vom 20. Juli 1933), nicht zu rechtfertigen, den Geistlichen nicht staatlich anerkannter Religionsgemeinschaften das Zeugnisverweigerungsrecht schlechthin vorzuenthalten.
bb) Indes bestehen Zweifel daran, ob es sich bei den Zeugen Sü. und D. um Geistliche im Sinne des § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO handelte.
(1) § 53 StPO gibt dem Schutz des Vertrauens in die Verschwiegenheit bestimmter Berufe den Vorrang vor dem Interesse der Allgemeinheit an voll-ständiger Sachaufklärung im Strafverfahren (BTDrucks. 12/870 S. 5). Mit der Beschränkung des Zeugnisverweigerungsrechts nach § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO auf Geistliche der staatlich anerkannten, öffentlich-rechtlich verfassten Religionsgemeinschaften - wie sie vom Gesetzgeber (ausdrücklich) etwa in § 132a Abs. 3 StGB (dazu BVerfG, Beschluss vom 4. Mai 1984 - 2 BvR 1837/83) vorgenommen wurde - verfolgt die herrschende Lehre das an sich berechtigte Anliegen, eine Ausuferung und einen Missbrauch dieses Rechts zu verhindern und die Berechtigung zur Aussageverweigerung von einem auch in der täglichen Praxis schnell und leicht überprüfbaren Kriterium abhängig zu machen. Dem kann jedoch bei § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO - auch ohne Anknüpfung an den rechtlichen Status einer Religionsgemeinschaft - dadurch hinreichend Rechnung getragen werden, dass der Begriff des "Geistlichen" dahin ausgelegt wird, dass diesem die seelsorgerische Tätigkeit von der Religionsgemeinschaft übertragen und ihm ein entsprechendes Amt - verbunden mit einer herausgehobenen Stellung innerhalb der Religionsgemeinschaft - anvertraut sein muss. Dementsprechend hat es auch das Bundesverfassungsgericht für eine angemessene Begrenzung des Zeugnisverweigerungsrechts ausreichen lassen, dass ein Seelsorger, der nicht den Status eines ordinierten Pfarrers oder eine vergleichbare Stellung innehatte, von der Kirche hauptamtlich mit der seelsorgerischen Tätigkeit beauftragt worden war (BVerfG, Beschluss vom 25. Januar 2007 - 2 BvR 26/07, NJW 2007, 1865, 1866). Auch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können Geistliche im Sinne des § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO Laien, die keine kirchliche Weihe erhalten haben, sein, sofern sie die Aufgaben der Seelsorge selbstständig und hauptamtlich zumindest im Auftrag der Kirche wahrnehmen (BGH, Beschluss vom 15. November 2006 - StB 15/06, BGHSt 51, 140, 142). Vorausgesetzt wird ferner, dass das von dem Geistlichen geführte seelsorgerische Gespräch einem ihm von der Religionsgemeinschaft auferlegten Schweigegebot unterliegt. Allein bei Vorliegen dieser Voraussetzung ist das Vertrauen seines Gesprächspartners darauf, der Geistliche werde den Inhalt des Gesprächs oder die ihm in Zusammenhang mit diesem sonst bekannt gewordenen Tatsachen nicht weitergeben, schutzwürdig und schutzbedürftig. Auch besteht die das Zeugnisverweigerungsrecht ergänzend rechtfertigende Konfliktsituation des - einer Strafbarkeit nach § 203 StGB nicht unterworfenen - Geistlichen nur dann, wenn ein solches Schweigegebot besteht. Die durch Art. 4 GG gewährleistete Religions- und Glaubensfreiheit schützt nicht jede Handlung, die im weitesten Sinne auf religiöse Ansichten zurückgeführt werden kann. Erforderlich - und auch das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften hinreichend berücksichtigend - ist, dass es sich um eine zwingende Verhaltensregel handelt, von der der Betroffene nicht ohne innere Not absehen kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Januar 2007 - 2 BvR 26/07, NJW 2007, 1865, 1867; ähnlich Radtke ZevKR 2007, 617, 638; Fischedick DÖV 2008, 584, 588; ders., Die Zeugnisverweigerungsrechte von Geistlichen und kirchlichen Mitarbeitern, 2006, S. 50 f.).
Belegt wird diese über die allein funktionale Stellung als Seelsorger hinausgehende Notwendigkeit einer in diesem Sinne statusgebundenen und damit dem Selbstordnungs- und Selbstregelungsrecht der Religionsgemeinschaften Rechnung tragenden Beschränkung des Personenkreises der Geistlichen durch die systematische Einordnung des Aussageverweigerungsrechts der Geistlichen in § 53 StPO. Denn diese Vorschrift regelt nur Zeugnisverweigerungsrechte "aus beruflichen Gründen" (dazu auch BVerfG, Beschluss vom 25. Januar 2007 - 2 BvR 26/07, NJW 2007, 1865; Seelemann ZevKR 2004, 639, 641 f.), lässt also eine allein religiös motivierte, indes nicht mit der Übertragung eines entsprechenden Amtes verbundene seelsorgerische Tätigkeit nicht genügen. Dementsprechend werden an anderer Stelle "hauptamtlich tätige Geistliche anderer Religionsgemeinschaften [lediglich dann privilegiert, wenn], deren Amt dem eines ordinierten Geistlichen evangelischen oder eines Geistlichen römisch-katholischen Bekenntnisses, der die Diakonatsweihe empfangen hat, entspricht" (§ 10 Abs. 1 Nr. 3 ZDG, § 11 Abs. 1 Nr. 3 WPflG; dazu BVerfG, Beschluss vom 12. Januar 1987 - 2 BvR 160/85, NVwZ 1987, 676; BVerwG, Urteile vom 11. Dezember 1969 - VIII C 46.68, BVerwGE 34, 291, und vom 14. November 1980 - 8 C 12/79, BVerwGE 61, 152; für eine entsprechende Auslegung des Begriffs der Geistlichen in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO: Haas NJW 1990, 3253, 3254; Ling GA 2001, 325, 332; Neumann, Zeugnisverweigerungsrechte und strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen, 2005, S. 141).
(2) Ob das im Sinne von § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO erforderliche "Berufsbild" zwingend an eine hauptamtliche Beauftragung anknüpft, erscheint jedoch zweifelhaft. Dagegen könnte schon sprechen, dass es sich hierbei nicht um ein "Wesensmerkmal" des Begriffs des Geistlichen handelt, da ansonsten der entsprechende Zusatz in § 10 ZDG, § 11 WPflG entbehrlich wäre (zu den sich aus dem "hauptamtlich" ergebenden zusätzlichen Anforderungen: BVerfG, Beschlüsse vom 12. Januar 1987 - 2 BvR 160/85, NVwZ 1987, 676, und vom 11. April 1990 - 2 BvR 828/87, NVwZ 1990, 1064). Vor allem aber würde die Notwendigkeit, die Seelsorge als Hauptamt auszuüben, zu einer Privilegierung der großen und einer Benachteiligung der kleinen Religionsgemeinschaften führen können (ähnlich Korioth in Maunz/Dürig GG [Stand 2009] Art. 136 WRV Rdn. 46) und das durch Art. 140 GG i.V. mit Art. 137 Abs. 3 Satz 2 WRV gewährleistete Selbstbestimmungs- und Selbstverwaltungsrecht der Religionsgemeinschaften in Bezug auf die Ämterverteilung beeinträchtigen. Auch wenn aber vom Erfordernis einer hauptamtlichen seelsorgerischen Tätigkeit abgesehen wird, erscheint im vorliegenden Fall eine an einen Status im oben beschriebenen Sinne gebundene Betätigung der Zeugen Sü. und D. schon deshalb als nicht unproblematisch, weil diese Zeugen ihre Berechtigung zur seelsorgerischen Betätigung aus der Zugehörigkeit zu einer Kaste herleiten, der - nach dem Vortrag der Revision - etwa ein Drittel der Yeziden angehört. Ob derartige "Geistliche" Berufsträgern im Sinne von § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO zugerechnet werden können, muss der Senat jedoch nicht abschließend entscheiden.
cc) Jedenfalls handelte es sich bei ihrer Teilnahme an dem "Versöhnungsgespräch" nicht um eine seelsorgerische Tätigkeit im Sinne des § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO.
(1) Seelsorge im Sinne dieser Vorschrift umfasst nur eine von religiösen Motiven und Zielsetzungen getragene Zuwendung, die der Fürsorge für das seelische Wohl des Beistandsuchenden, der Hilfe im Leben oder Glauben benötigt, dient. Zu ihr gehören dagegen nicht Gespräche, Erkenntnisse oder Tätigkeiten des Geistlichen auf dem Gebiet des täglichen Lebens bei Gelegenheit der Ausübung von Seelsorge ohne Bezug zum seelischen Bereich. Deshalb ist ein Zeugnisverweigerungsrecht nicht anzuerkennen, soweit es sich um eine karitative, fürsorgerische, erzieherische oder verwaltende Tätigkeit des Geistlichen handelt (BGH, Beschluss vom 15. November 2006 - StB 15/06, BGHSt 51, 140, 141 ff.; ebenso BGH, Urteil vom 4. Februar 2010 - 4 StR 394/09; ähnlich bereits BGH, Beschluss vom 20. Juli 1990 - StB 10/90, BGHSt 37, 138, 140).
(2) Die Frage, ob einem Geistlichen Tatsachen in seiner Eigenschaft als Seelsorger anvertraut oder bekannt geworden sind, ist objektiv und in Zweifelsfällen unter Berücksichtigung der Gewissensentscheidung des Geistlichen zu beurteilen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Januar 2007 - 2 BvR 26/07, NJW 2007, 1865, 1866 f.; BGH, Beschluss vom 15. November 2006 - StB 15/06, BGHSt 51, 140, 141). Vorrangig ist sie dem Tatgericht anvertraut, das bei seiner Entscheidung den ihm etwa aus Zeugenaussagen oder der Einlassung des Beschuldigten bekannten Inhalt des Gesprächs zu berücksichtigen und auch zu beachten hat, dass die Rechtsprechung von einer Unterscheidbarkeit seelsorgerischer und nichtseelsorgerischer Teile eines Gesprächs ausgeht (BVerfG und BGH aaO). Kommt der Tatrichter zu dem Ergebnis, dass jedenfalls Teile des Gesprächs nicht dem Bereich der Seelsorge zuzurechnen sind, muss es den Geistlichen hierzu vernehmen und kann allenfalls im Übrigen der (gegebenenfalls glaubhaft gemachten) Einschätzung des Geistlichen folgen, bei weiteren Teilen des Gesprächs habe es sich um eine seiner Schweigepflicht unterliegende Seelsorge gehandelt. Denn jedes Zeugnisverweigerungsrecht - oder seine Ausweitung - kann die Aufgabe der Strafgerichte und der Ermittlungsbehörden, die Wahrheit in Bezug auf die Begehung und den Hergang einer Straftat zu erforschen, beeinträchtigen (vgl. BTDrucks. 16/5846 S. 22, 25; BVerfG, Beschluss vom 25. Januar 2007 - 2 BvR 26/07, NJW 2007, 1865, 1868). Unter Berücksichtigung des Ausnahmecharakters des Zeugnisverweigerungsrechts sowie des vorrangigen Zwecks von § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO, der Menschenwürde des Gesprächspartners des Seelsorgers Rechnung zu tragen, ist der Annahme der Jugendkammer, der durch die Aussagen der Zeugen Fuad C. und S. sowie die Einlassungen der Angeklagten Ibrahim und Fikret A. belegte (Teil-)Inhalt des Gesprächs vom 27. April 2008 sei den Zeugen Sü. und D. in ihrer Eigenschaft als Seelsorger anvertraut worden, nicht zu folgen. Zwar kann die Hilfeleistung in Familien, auch durch eine Streitschlichtung oder einen Sühneversuch, im Einzelfall dem Bereich der Seelsorge zuzurechnen sein (vgl. Rogall in SK StPO [Stand Oktober 2002] § 53 Rdn. 70; Ignor/Bertheau in Löwe/Rosenberg aaO § 53 Rdn. 23 jeweils m.w.N.). Im Hinblick auf die Besonderheiten des Falles schließt der Senat dies hier aber aus. Thema des Gesprächs war - sowohl nach den Angaben der daran beteiligten Fikret A., Fuad C. und S. als auch nach den Urteilsfeststellungen und dem Revisionsvorbringen - die Beilegung und Beendigung einer Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten Niyazi A. und Elyas C.. Diese nahmen indes selbst an diesem Gespräch nicht teil; von ihnen als den unmittelbaren Streitbeteiligten ging auch die Initiative zu dem "Versöhnungsgespräch" nicht aus. Schon deshalb liegt es fern, dass bei dem Gespräch der innere Friede der Streitparteien und deren Aussöhnung im Sinne eines Vergebens im Vordergrund standen. Zudem beschränkte sich die Beteiligung der Zeugen Sü. und D. - entsprechend der Tätigkeit von aus sozialen oder kulturellen Gründen eingesetzten Streitschlichtern oder Schiedsstellen - darauf, die Rücknahme der Strafanzeige wegen Bedrohung zu empfehlen bzw. Nachweise für ein Verhältnis zwischen Elyas C. und Svetlana A. zu fordern und - da diese nicht vorgelegt wurden - aus solchen "formalen" Gründen auf eine Beendigung des Streits zu drängen. Eine von religiösen Motiven und Zielsetzungen getragene Zuwendung im Sinne einer geistlichen Begleitung, die der Fürsorge für das seelische Wohl des Beistandsuchenden dient, der Hilfe im Leben oder Glauben benötigt, oder eines "Zwiegesprächs mit dem Seelsorger … [im] Kernbereich privater Lebensgestaltung" (BTDrucks. 16/5846 S. 35) lag hierin nicht. Vor diesem Hintergrund kommt es ungeachtet der in Grenzfällen anerkannten Gewissensentscheidung des Geistlichen hier nicht auf die gegenteiligen Bekundungen der Zeugen Sü. und D. an.
dd) Auf dem Unterlassen der Vernehmung der Zeugen Sü. und D. beruht das Urteil jedoch nur in den Strafaussprüchen. Wird ein Zeuge vom Gericht zur Hauptverhandlung geladen, so spricht zunächst eine Vermutung dafür, dass seine Aussage geeignet ist, zur Wahrheitsfindung beizutragen und den Inhalt des Urteils zu beeinflussen. Diese Vermutung kann jedoch widerlegt werden, auch wenn der Zeuge unter Verstoß gegen eine Verfahrensvorschrift deshalb nicht vernommen wurde, weil das Gericht ihm fehlerhaft ein Zeugnisverweigerungsrecht zugebilligt hat. Wurde der Zeuge vom Gericht ohne entsprechenden Beweisantrag geladen, dann muss das "Beweisthema", das der Prüfung der Beruhensfrage zugrunde zu legen ist, auf andere Weise ermittelt werden (BGH, Urteil vom 31. Januar 1996 - 2 StR 596/95, NJW 1996, 1685 f.). In Anwendung dieser Grundsätze schließt der Senat aus, dass eine Vernehmung der Zeugen Sü. und D. zur Sache die tatrichterliche Entscheidung zum Schuldspruch beeinflusst hätte. Denn das Landgericht hat insofern rechtsfehlerfrei festgestellt, dass der gemeinsame Entschluss, Elyas C. zu töten, von den Angeklagten "spätestens" am Tatort gefasst wurde (UA 26, 91). Dagegen kann der Senat nicht ausschließen, dass die Strafaussprüche auf dem Rechtsfehler beruhen. Denn die Jugendkammer hat dem Angeklagten Ibrahim A. ausdrücklich strafschärfend angelastet, dass er "im Vorfeld wesentlich an der Eskalation beteiligt [gewesen sei] und insoweit die treibende Kraft war, weil er als Wortführer und unter Inanspruchnahme der Stellung als Familienoberhaupt bei dem Gespräch vom 27.04.2008 eine Versöhnung abgelehnt und erklärt hat, dass man Elyas C. nicht in Ruhe lasse und er nunmehr die Zielscheibe sei". Beim Angeklagten Fikret A. hat das Landgericht straferschwerend berücksichtigt, dass "er in die Vorgeschichte nicht nur eingeweiht, sondern … an dem die Versöhnung ablehnenden Gespräch am 27.04.2008 beteiligt" war. Zudem hat die Jugendkammer allen Angeklagten angelastet, dass das Motiv "der Bestrafung für das unterstellte ehebrecherische Verhalten und den Vorfall vom 26.04.2008 nicht weit von den sonstigen niedrigen Beweggründen des § 211 StGB entfernt" sei. Im Hinblick hierauf kann der Senat nicht mit letzter Sicherheit ausschließen, dass die gegen alle Angeklagten verhängten Freiheitsstrafen geringer ausgefallen wären, wenn die Zeugen Sü. und D. bei einer Vernehmung zur Sache den von der Jugendkammer festgestellten Inhalt des Versöhnungsgesprächs nicht bestätigt hätten und das Gericht ihn seiner Entscheidung nicht (so) zu Grunde gelegt hätte.
2. Der Erfolg der von den Angeklagten erhobenen Verfahrensrügen führt zur Aufhebung der Strafaussprüche und der diese betreffenden Feststellungen. Hierzu gehören neben den Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen der Angeklagten insbesondere diejenigen zum Entschluss der Familie A., Elyas C. zu bestrafen und zu den Zeitpunkten, in denen die Angeklagten gegebenenfalls von einem solchen Entschluss informiert wurden. Einer Aufhebung der Feststellungen zur uneingeschränkt vorhandenen Schuldfähigkeit der Angeklagten bedarf es dagegen nicht; sie wurden rechtsfehlerfrei und unbeeinflusst von dem Verfahrensfehler, der zur teilweisen Urteilsaufhebung führt, getroffen.
Der Senat schließt sich insofern den Ausführungen des Generalbundesanwalts in den Antragsschriften vom 14. Januar 2010 an.
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