StrEG § 7 Abs. 3 Unrechtmäßige Haft, Entschädigung, Höhe

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Hamm, Beschl. v. 16.12.2020 - 11 W 67/20

Leitsatz: Die Entschädigung für einen Tag unrechtmäßig erlittener Haft ist vor dem Hintergrund der zum 08.10.2020 in Kraft getretenen Änderung des § 7 Abs. 3 StrEG, wonach die Entschädigung für den Tag einer rechtmäßig angeordneten Freiheitsentziehung nunmehr 75,00 € (anstatt zuvor 40,00 €) beträgt, auf 100,00 € zu bemessen.


In pp.

Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss der 8. Zivilkammer des Landgerichts Hagen vom 17.07.2020 teilweise abgeändert.

Dem Antragsteller wird vorläufig ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt C aus I bewilligt, soweit er beantragt, das antragsgegnerische Land zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 900,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit und vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten von 54,15 € zu verurteilen.

Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde des Antragstellers zurückgewiesen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

I.

Der Antragsteller ist syrischer Staatsangehöriger. Er steht unter einer umfassenden rechtlichen Betreuung u.a. für die Aufgabenkreise der Vermögens- und Behördenangelegenheiten. Er begehrt Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Klage auf Zahlung eines Schmerzensgeldes nach § 839 BGB, Art.34 GG für eine zu Unrecht erlittene Strafvollstreckungshaft in dem Zeitraum vom 13.11.2018 bis zum 27.11.2018.

Der Antragsteller wurde durch Urteil der 1. großen Strafkammer des Landgerichts Hagen vom 21.03.2018 wegen versuchter schwerer Körperverletzung und Sachbeschädigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Monaten verurteilt. Eine Strafaussetzung zur Bewährung erfolgte nicht. Das Urteil wurde am Tag der Verkündung rechtskräftig. Vor Erlass des Strafurteils war der Antragsteller per Unterbringungsbefehl in der Zeit vom 12.10.2017 bis zum 21.03.2018 in einer geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses untergebracht. Der Unterbringungsbefehl wurde am letzten Tag der Hauptverhandlung aufgehoben.

Am 25.10.2018 erließ die Staatsanwaltschaft Hagen (Rechtspfleger) einen Strafvollstreckungshaftbefehl aufgrund des Urteils vom 21.03.2018. Dabei blieb unberücksichtigt, dass die Zeit der Unterbringung auf die Strafhaft anzurechnen war, daher erging der Haftbefehl zu Unrecht. Am 13.11.2018 wurde der Antragsteller auf Grund des Haftbefehls festgenommen und in die JVA Hagen zur Verbüßung der Strafhaft überstellt. Am 27.11.2018 fiel die unrechtmäßige Inhaftierung des Antragstellers auf, er wurde am gleichen Tag entlassen.

Der Antragsteller macht wegen der rechtswidrigen Inhaftierung einen Schmerzensgeldanspruch gegen das antragsgegnerische Land geltend. Vorgerichtlich zahlte das Land auf Aufforderung des klägerischen Prozessbevollmächtigten ein Schmerzensgeld von 600,00 € (= 40,00 €/Tag) und erstattete dem Antragsteller Rechtsanwaltskosten in Höhe von 147,56 €.

Vor dem Landgericht hat der Antragsteller die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes nebst Zinsen und weiterer vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten gerichtete Klage beantragt. Er ist der Ansicht, ihm stehe unter Berücksichtigung der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte Koblenz, München und Karlsruhe ein angemessenes Schmerzensgeld von insgesamt 7.000,00 € zu. Soweit sich das Land bei der Zahlung des Schmerzensgeldes an den Bestimmungen des StrEG orientiert habe, sei dies nicht haltbar, da das StrEG die Entschädigung für eine rechtmäßig erlittene Haft regle.

Das Landgericht hat den Prozesskostenhilfeantrag zurückgewiesen und ausgeführt, dem Antragsteller stehe nach der Zahlung der 600,00 € kein weiteres Schmerzensgeld zu. Zur Begründung hat es unter Bezugnahme auf Entscheidungen der Oberlandesgerichte Naumburg, Sachsen-Anhalt, München, Hamm und Brandenburg ausgeführt, ein Schmerzensgeld von 40,00 € für jeden Tag der unrechtmäßig erlittenen Haft sei unter Berücksichtigung des Entschädigungsbetrags für eine konventionswidrige Sicherungsverwahrung angemessen und ausreichend. Umstände, die ein höheres Schmerzensgeld erforderlich machten, habe der Antragsteller nicht vorgetragen.

Gegen diese Entscheidung wendet sich der Antragsteller mit seiner sofortigen Beschwerde, mit der er seinen erstinstanzlichen Antrag weiter verfolgt.

Er ist der Auffassung, das Schmerzensgeld könne sich auch nicht an der Entschädigung für die konventionswidrige Sicherheitsverwahrung orientieren. Es sei zu berücksichtigen, dass die rechtswidrig vollzogene Strafhaft einen Schuld- und Strafcharakter habe. Über die Höhe des angemessenen Schmerzensgeldes nach einer rechtswidrig vollzogenen Strafhaft müsse in der Hauptsache entschieden werden, weil es hierzu an obergerichtlicher Rechtsprechung fehle. Im Übrigen belaufe sich der Entschädigungsbetrag gem. § 7 Abs.3 StrEG nach der im Jahr 2020 erfolgten Reform bereits auf 75,00 €/Tag, so dass das angemessene Schmerzensgeld nicht dahinter zurückbleiben könne. Das in Anspruch genommene Land ist der Beschwerde entgegengetreten.

Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde des Antragstellers nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die gem. §§ 127 Abs.2, 567 ff ZPO zulässige sofortige Beschwerde des Antragstellers ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Die beabsichtigte Klage des Antragstellers hat Aussicht auf Erfolg, soweit er wegen der unrechtmäßig erlittenen Strafhaft über das vorgerichtlich gezahlte Schmerzensgeld von 600,00 € weitere 900,00 € nebst Rechtshängigkeitszinsen sowie weitere vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten von 54,15 € verlangt.

1. Dass dem Antragsteller wegen der unrechtmäßig erlittenen Strafhaft in dem Zeitraum vom 13.11.2018 bis zum 27.11.2018 gegen das antragsgegnerische Land dem Grunde nach ein Anspruch auf Schmerzensgeld gem. §§ 839, 253 Abs.2 BGB, Art.34 GG zusteht, steht zwischen den Parteien des Beschwerdeverfahrens außer Streit. Streitig ist allein die Höhe des dem Antragstellers zuzuerkennenden angemessenen Schmerzensgeldes.

Der Senat bemisst das angemessene Schmerzensgeld nach den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Umständen für die 15 Tage unrechtmäßig erlittener Haft auf einen Betrag von insgesamt 1.500,00 €. Dieser Betrag erscheint erforderlich aber auch ausreichend, um das erlittene Unrecht auszugleichen und dem Antragsteller Genugtuung zu verschaffen.
Für die Höhe des Schmerzensgeldes sind die Dauer der erlittenen Haft, die Beeinträchtigung der Lebensqualität des Antragstellers während der Haft sowie das Maß der Pflichtwidrigkeit und des Verschuldens ausschlaggebend.

Im Ausgangspunkt sind die Ausführungen des Landgerichts in dem angefochtenen Beschluss zur Bemessung des Schmerzensgeldes nicht zu beanstanden. Sowohl das Landgericht als auch das antragsgegnerische Land folgen der ständigen Rechtsprechung des Senats, der zur Bemessung des Schmerzensgeldes wegen einer unrechtmäßig erlittenen Haft - wie eine Reihe weiterer Oberlandesgerichte - regelmäßig auf die Vorschrift des § 7 Abs.3 StrEG abstellt (vgl. OLG Schleswig, Beschl. v. 26.11.2001, Az.: 11 W 23/01, Tz.10; OLG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 27.12.2011, 10 W 14/11, Tz. 29; OLG München, Urt. v. 22.03.2013, Az.: 1 U 1488/13, Tz.62, alle zitiert nach juris; Senat, Urt. v. 15.08.2018, Az.: 11 U 138/17). Des Weiteren nimmt der Senat - wie auch das Landgericht - die Rechtsprechung des EGMR in den Blick, wonach durchgängig rund 500,00 € pro Monat für Fälle konventionswidriger Sicherungsverwahrung in Deutschland als angemessen gesehen werden (vgl. Urt. v. 19.04.2012, 61272/09; Urt. v. 19.01.2012, 21906/09; Urt. v. 24.11.2011, 48038/06; Urteile v. 13.01.2011, 17792/07; 20008/07; 27360/04; 42225/07; Urt. v. 17.12.2009, 19359/04). Die von anderen Oberlandesgerichten angenommenen Schmerzensgeldbeträge für eine rechtswidrig erlittene Haft haben sich bisher in einem Bereich zwischen 20,00 € u. 40,00 €/Tag bewegt. Der Senat hat bisher regelmäßig bei der Bemessung des Schmerzensgeldes für eine rechtswidrige Freiheitsentziehung einen Betrag von 40,00 €/Tag zu Grunde gelegt, da er es für erforderlich hält, die sich nach dem StrEG und der Rechtsprechung des EGMR ergebenden Beträge angemessen zu erhöhen, um den Umständen Rechnung zu tragen, dass die Haft, anders als die nach dem StrEG zu entschädigenden Fälle, unrechtmäßig angeordnet worden ist, und, anders als die wegen eines Verstoßes gegen Art.5 Abs.1 EMRK zugesprochenen Entschädigungen, auf einer schuldhaften Amtspflichtverletzung beruht.

Der Senat berücksichtigt bei der Bemessung des in Betracht kommenden angemessenen Schmerzensgeldes außerdem die zum 08.10.2020 in Kraft getretene Änderung des § 7 Abs.3 StrEG, wonach die Entschädigung für jeden angefangenen Tag einer (rechtmäßig) angeordneten Freiheitsentziehung nunmehr 75,00 € beträgt. Da die geänderte Vorschrift des § 7 Abs.3 StrEG nach dem Willen des Gesetzgebers ab dem Tag ihres Inkrafttretens maßgeblich ist (BT Drs 19/17035, S.7), orientiert sich der Senat bei der hier vorzunehmenden Bemessung des Schmerzensgeldbetrages an der nunmehr gültigen Fassung des StrEG. Entsprechend seiner bisherigen Rechtsprechung geht der Senat davon aus, dass der Betrag nach dem StrEG bei rechtswidriger und schuldhafter Anordnung der Haft angemessen zu erhöhen ist. Nach Abwägung der im vorliegenden Fall vorgetragenen Umstände des Einzelfalls bemisst der Senat das Schmerzensgeld für die in dem Zeitraum vom 13.11.2018 bis zum 27.11.2018 erlittene Haft mit einem Betrag von insgesamt 1.500,00 €, worauf das antragsgegnerische Land vorgerichtlich bereits 600,00 € gezahlt hat.

Konkrete Umstände, die abweichend von der Praxis des Senats die Zahlung eines deutlich von den Eckbeträgen des StrEG und der EMRK abweichenden Schmerzensgeldes erforderlich machen, hat der Antragsteller im vorliegenden Verfahren nicht dargetan. Von daher besteht keine Veranlassung dem Antragsteller Prozesskostenhilfe zur Geltendmachung eines höheren Schmerzensgeldes zu bewilligen, allein damit über sein Begehren im Hauptsacheverfahren entschieden werden kann. Da die der Bemessung des Schmerzensgeldes zu Grunde liegenden Umstände unstreitig sind, bedarf es keiner weiteren Klärung durch ein Hauptsacheverfahren. Die Bestimmung der angemessenen Höhe des Schmerzensgeldes betrifft außerdem lediglich den vorliegenden Einzelfall, so dass im Hauptsacheverfahren keine grundsätzlichen Fragen zu klären sind. Auch die von dem Antragsteller angeführten Entscheidungen der Oberlandesgerichte Koblenz, München und Karlsruhe rechtfertigen keinen anderen Ansatzpunkt für die Schmerzensgeldbemessung. Das Oberlandesgericht Koblenz hat mit dem Beschluss vom 07.03.2018, 1 U 1025/17, die gegen das erstinstanzliche Urteil gerichtete Berufung des Klägers mit der Begründung zurückgewiesen, dass das vom Landgericht zuerkannte Schmerzensgeld von 400,00 € zum Ausgleich für eine unrechtmäßige Ingewahrsamnahme von 13 Stunden angemessen und ausreichend sei. Keineswegs ergibt sich aus der Entscheidung des Oberlandesgerichts Koblenz, dass eine unrechtmäßige Freiheitsentziehung mindestens ein Schmerzensgeld von 400,00 €/Tag erforderlich erscheinen lässt. Soweit der Antragsteller zutreffend darauf hinweist, dass das Oberlandesgericht München wegen zu Unrecht verhängter Beugehaft mit Urteil vom 27.05.1993, Az.: 1 U 6228/92, ohne Rücksicht auf die Entschädigungsbeträge nach dem StrEG ein Schmerzensgeld von 1.500,00 DM wegen 4 Tage unrechtmäßig angeordneter Haft für angemessen gehalten hat, ist die Entscheidung durch die nachfolgende Rechtsprechung des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München überholt (vgl. Urt. v. 22.03.2013, Az.: 1 U 1488/13, veröffentlicht bei juris). Dem Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 12.11.2015, Az.: 9 U 78/11, lag schließlich ein anderer Sachverhalt zugrunde. In dem dortigen Verfahren ist dem Kläger für eine zweimonatige rechtswidrige Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ein Schmerzensgeld von 25.000,00 € zugesprochen worden, wobei bei der Bemessung des Schmerzensgeldes maßgeblich zu berücksichtigen war, dass die Unterbringung mit einer Zwangsmedikation einhergegangen ist (OLG Karlsruhe, a.a.O., Tz.56 - juris).
2. Des Weiteren hat der Antragsteller gem. §§ 839, 249 BGB, Art.34 GG Anspruch auf Erstattung weiterer vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 54,15 €. Dies beruht auf der Erwägung, dass der Antragsteller das in Anspruch genommene Land vorgerichtlich berechtigt zur Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes von 1.500,00 € hätte auffordern können. Die hiernach geschuldeten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten belaufen sich auf einen Betrag von 201,71 €, hierauf hat das Land bereits 147,56 € gezahlt, so dass die beabsichtigte Klage wegen des Betrags von 54,15 € Aussicht auf Erfolg hat.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 127 Abs.4 ZPO.

Die Rechtsbeschwerde ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 574 Abs.2 ZPO nicht vorliegen.