StVG § 25: Fahrverbot, langer Zeitablauf, Vollstreckungslösung

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Hamm, Beschl. v. 11.02.2021 – 4 RBs 13/21

Leitsatz: 1. Die Grundsätze der vom Bundesgerichtshof (BGH, Urt. v. 18. Oktober 2006 - 2 StR 499/05, BGHSt 51, 100 ff.) entwickelten Vollstreckungslösung bei einer festgestellten rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung sind entsprechend im Bußgeldverfahren anwendbar.
2. Eine nach Erlass des erstinstanzlichen Bußgeldurteils eingetretene rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung (hier: rund neun Monate) kann vom Rechtsbeschwerdegericht im Rahmen einer Entscheidung nach § 79 Abs. 6 OWiG dahingehend kompensiert werden, dass ein Teil des verhängten Fahrverbots (hier: eine Woche) als vollstreckt gilt.


In pp.

Die Rechtsbeschwerde wird mit der Maßgabe, dass von dem angeordneten einmonatigen Fahrverbot eine Woche als vollstreckt gilt, als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Rechtsbeschwerderechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben hat (§ 79 Abs. 3 OWiG, § 349 Abs. 2 StPO).Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens trägt der Betroffene (§ 473 Abs. 1 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG).

Gründe

I.

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der dieser eine Verletzung materiellen Rechts rügt und die Rechtsfehlerhaftigkeit des verhängten einmonatigen Fahrverbots geltend macht, ist im Wesentlichen offensichtlich unbegründet, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Rechtsbeschwerderechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben hat (§ 79 Abs. 3 OWiG, § 349 Abs. 2 StPO). Wegen der Regelung des § 32 Abs. 2 OWiG ist - anders als die Rechtsbeschwerde meint - keine Verjährung eingetreten.

Allerdings war wegen einer nach Erlass des angefochtenen Urteils eingetretenen rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung eine Woche des verhängten Fahrverbots für vollstreckt zu erklären. Grundsätzlich ist zwar eine Verletzung des Beschleunigungsgebotes nur auf eine entsprechende Verfahrensrüge hin zu überprüfen. Für Verzögerungen nach Urteilserlass ist ein Eingreifen des Rechtsmittelgerichts von Amts wegen aber dann geboten, wenn der Betroffene diese nicht frist- und formgerecht rügen kann, weil die Verzögerung erst nach Ablauf der Rechtsmittelbegründungsfrist eingetreten ist (vgl. BGH, Beschluss vom 08.03.2006 - 2 StR 565/05 - juris; OLG Hamm, Beschluss vom 24. März 2011 - III-3 RBs 70/10 -juris). So verhält es sich vorliegend. Die Rechtsbeschwerdebegründungsfrist lief nach Zustellung des Berichtigungsbeschlusses am 09.04.2020 (vgl. BGH NJW 1959, 899) am 11.05.2020 ab. Die letzte aktenkundige Verfügung bis zur Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft vom 27.01.2021 war die Übersendung der Akten vom Amtsgericht Paderborn an die Staatsanwaltschaft Paderborn am 04.05.2020, wo sie am 05.05.2020 eingegangen sind. Die Sache ist damit aus Gründen, die der Betroffene nicht zu vertreten hat und die sich auch nicht mit Umfang oder Schwierigkeit der Sache rechtfertigen lassen, rund neun Monate, nicht gefördert worden. Mithin ist eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung festzustellen.

Nach der vom Bundesgerichtshof (BGHSt 51, 124 ff.) in Strafsachen entwickelten Vollstreckungslösung wird bei einer festgestellten rechtstaatswidrigen Verfahrensverzögerung zur Entschädigung für die überlange Verfahrensdauer ein bezifferter Teil der verhängten Strafe als vollstreckt ausgesprochen. Der Ausgleich für einen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot wird dabei aus dem Vorgang der Strafzumessung herausgelöst, bleibt aber Teil des Rechtsfolgenausspruchs im weiteren Sinne. Die notwendige Kompensation für rechtsstaatswidrige Verzögerungen des zugrunde liegenden Verfahrens bildet einen eigenständigen, allein an den Maßstäben des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK orientierten Prüfungsvorgang, der Unrecht, Schuld- und Strafhöhe unberührt lässt. Diese Grundsätze sind auf das Bußgeldverfahren übertragbar (OLG Hamm a.a.O.) In entsprechender Übertragung dieser Grundsätze auf das Bußgeldverfahren hat sich der Senat in Anwendung von § 79 Abs. 6 OWiG unter Abwägung oben aufgeführter Umstände veranlasst gesehen, das Fahrverbot zur Kompensation der eingetretenen Verfahrensverzögerung in der Weise zu reduzieren, dass eine Woche des angeordneten einmonatigen Fahrverbotes als vollstreckt gilt. Eine darüber hinausgehende Kompensation hielt der Senat im Hinblick auf die geringere Eingriffsintensität des Bußgeldverfahrens nicht für erforderlich.

Da seit der Tat im Mai 2019 noch nicht einmal 1 3/4 Jahre vergangen sind und zwischen Tat und tatrichterlichem Urteil (was grundsätzlich der maßgebliche Zeitabschnitt ist, wenn es um die Frage des Absehens von einem Fahrverbot geht, vgl. OLG Hamm a.a.O.; OLG Hamm, Beschluss vom 29. März 2019 - III-4 RBs 62/19 -juris) weniger als ein 3/4 Jahr lag, hat das Fahrverbot als solches seine Denkzettel- und Besinnungsfunktion noch nicht verloren und es war nicht gänzlich von ihm abzusehen.

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 473 Abs. 1 und Abs. 4 StPO. Im Hinblick auf den geringen Erfolg seiner Rechtsbeschwerde war es nicht unbillig, den Betroffenen mit den Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu belasten.