StGB § 51 Abs. 3 S. 2 Anrechnung von ausländischer Abschiebehaft

BGH, Beschl. v. 21.05.2019 – 3 StR 231/20

Die Anrechnung gem.. § 51 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 2 StGB setzt voraus, dass die im Ausland erfahrene Freiheitsentziehung aus Anlass derjenigen Tat erfolgt ist, die Gegenstand des deutschen Strafverfahrens ist oder gewesen ist (sog. Grundsatz der Verfahrenseinheit). So liegt es regelmäßig bei der Auslieferungshaft. Bei im Ausland erlittener Abschiebehaft kommt es - über den Wortlaut von § 450a StPO hinaus - auf den Einzelfall an. Sie ist dann anrechenbar, wenn sich eine sachlich nicht gerechtfertigte Benachteiligung des Verurteilten, der sich in Abschiebehaft befand, gegenüber solchen ergibt, die Auslieferungshaft durchlebt haben.

Eine im Ausland erlittene Abschiebehaft ist anzurechnen, wenn sie durch die Tat infolge der internationalen Fahndung durch die deutschen Behörden veranlasst gewesen ist.

In den Fällen der „Auslieferung durch Abschiebung“ liegt die von § 51 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 2 StGB vorausgesetzte funktionale Verfahrenseinheit zwischen der Auslandshaft und dem deutschen Strafverfahren vor. Die Anrechnung ist dann Ausfluss des Freiheitsrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Ist die Auslieferungshaft dagegen nicht auf das deutsche Strafverfahren, sondern auf andere Umstände zurückzuführen, besteht für eine Anrechnung kein sachlicher Grund. Dann gilt, dass der Angeklagte durch die Anrechnung der ausländischen Haft nicht besser stehen soll, als er gestanden hätte, wenn das gesamte Tatgeschehen im Inland abgeurteilt worden wäre.

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 5. August 2020 gemäß § 349 Abs. 2 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Oberlandesgerichts München vom 29. Januar 2020 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

Das Oberlandesgericht hat den Angeklagten wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat in Tateinheit mit Sichbereiterklären zur Begehung eines Verbrechens der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zugleich hat es bestimmt, dass die vom Angeklagten in der Türkei verbüßte Untersuchungshaft für die Zeit vom 18. Juni bis zum 18. Juli 2017 im Verhältnis 1:2 und für die nachfolgende Zeit bis zum 15. Februar 2018 im Verhältnis 1:1 angerechnet wird.

Der Angeklagte wendet sich mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision allein gegen die Anrechnungsentscheidung. Das wirksam beschränkte Rechtsmittel erweist sich als unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

Das Oberlandesgericht hat, soweit hier von Bedeutung, folgende Feststellungen und Wertungen

getroffen:

Der Angeklagte wurde am 18. Juni 2017 beim Versuch, die Grenze nach Syrien zu überqueren, um sich dort als jihadistischer Kämpfer der Hai ́at Tahrir ash-Sham (HTS) anzuschließen, vom türkischen Militär festgenommen. Unter dem Vorwurf der Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung Islamischer Staat (IS) befand er sich fortan bis zum 15. Februar 2018 in der Türkei in Polizeigewahrsam und Untersuchungshaft. Er wurde bis längstens zum 18. Juli 2017 unter beengten und teilweise entwürdigenden Umständen an verschiedenen Orten der Provinz H. festgehalten. Sodann verlegte man ihn am 19. Juli 2017 in ein Gefängnis in G. . Dort erlebte er bessere, den deutschen Verhältnissen vergleichbare Haftbedingungen. Am 15. Februar 2018 fand die Hauptverhandlung gegen den Angeklagten vor dem Strafgericht der Provinz H. statt. Dieses sprach ihn frei und entließ ihn aus der Untersuchungshaft. Die türkischen Behörden verbrachten ihn jedoch unmittelbar in Abschiebehaft, da er sich unerlaubt in der Türkei aufhielt und über keinen Pass verfügte. Im März 2018 erhielt der Angeklagte von der Deutschen Botschaft ein Dokument, das seine Abschiebung nach Deutschland ermöglichte. Am 10. Januar 2019 wurde er aus der Türkei abgeschoben und nach S. ausgeflogen. Bei der Ankunft nahmen ihn die deutschen Ermittler aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts München vom 2. August 2017 in hiesiger Sache fest.

Das Oberlandesgericht hat für die vom Angeklagten in der Türkei erlittene Untersuchungshaft die genannten Anrechnungsmaßstäbe festgesetzt. Einen Anrechnungsmaßstab für die nahezu elf Monate umfassende Abschiebehaft hat es nicht bestimmt und seine diesbezügliche Entscheidung damit begründet, dass der Angeklagte diese nicht aus Anlass der Tat, etwa infolge internationaler Fahndung durch die deutschen Behörden, erlitten habe. Der Angeklagte wendet sich gegen den Anrechnungsmaßstab betreffend seine in der Türkei verbüßte Untersuchungshaft und das Unterbleiben der Anrechnung der türkischen Abschiebehaft.

II.

Das Rechtsmittel bleibt erfolglos.

1. Was den ausgeurteilten Maßstab für die Anrechnung der in der Türkei verbüßten Untersuchungshaft betrifft, hat das Oberlandesgericht eine Vielzahl für dessen Bestimmung relevanter Kriterien festgestellt und auf dieser Grundlage rechtsfehlerfrei sein durch § 51 Abs. 4 Satz 2 StGB eingeräumtes - durch das Revisionsgericht ohnehin nur eingeschränkt überprüfbares – Ermessen ausgeübt (vgl. BGH, Urteil vom 3. September 2013 - 5 StR 318/13, juris Rn. 10).

2. Mit zutreffender Begründung hat das Oberlandesgericht ferner keinen Anrechnungsmaßstab für die vom Angeklagten ab dem 16. Februar 2018 erlittene Abschiebehaft bestimmt. Denn diese Haftzeit ist nach den konkret festgestellten Umständen nicht anrechnungsfähig. Die Anrechnung gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 2 StGB setzt voraus, dass die im Ausland erfahrene Freiheitsentziehung aus Anlass derjenigen Tat erfolgt ist, die Gegenstand des deutschen Strafverfahrens ist oder gewesen ist (sog. Grundsatz der Verfahrenseinheit, vgl. etwa BGH, Beschluss vom 13. Dezember 2016 - 3 StR 440/16, StV 2018, 561 Rn. 4). So liegt es regelmäßig bei der Auslieferungshaft. Bei im Ausland erlittener Abschiebehaft kommt es - über den Wortlaut von § 450a StPO hinaus - auf den Einzelfall an. Sie ist dann anrechenbar, wenn sich eine sachlich nicht gerechtfertigte Benachteiligung des Verurteilten, der sich in Abschiebehaft befand, gegenüber solchen ergibt, die Auslieferungshaft durchlebt haben (BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2005 - 2 BvR 1825/03, BVerfGK 5, 17, 24). Denn nach Sinn und Zweck von § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB soll jede Art von Freiheitsentziehung, die aus Anlass der Tat stattgefunden hat, auf die ausgesprochene Strafe angerechnet werden, unabhängig davon, ob die Freiheitsentziehung nach den Vorschriften der Strafprozessordnung erfolgt ist oder aufgrund anderer Regelungen, unabhängig auch davon, ob deutsche oder ausländische Behörden die Freiheitsentziehung angeordnet haben. Eine im Ausland erlittene Abschiebehaft ist daher anzurechnen, wenn sie durch die Tat infolge der internationalen Fahndung durch die deutschen Behörden veranlasst gewesen ist (s. BGH, Beschluss vom 10. April 1997 - 5 StR 674/96, BGHR StGB § 51 Abs. 3 Anrechnung 4). In diesen Fällen der "Auslieferung durch Abschiebung" liegt die von § 51 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 2 StGB vorausgesetzte funktionale Verfahrenseinheit zwischen der Auslandshaft und dem deutschen Strafverfahren vor. Die Anrechnung ist dann Ausfluss des Freiheitsrechts aus Art.2 Abs.2 Satz2 GG (BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2005 - 2 BvR 1825/03, BVerfGK 5, 17, 23 f.). Ist die Auslieferungshaft dagegen nicht auf das deutsche Strafverfahren, sondern auf andere Umstände zurückzuführen, besteht für eine Anrechnung kein sachlicher Grund. Dann gilt, dass der Angeklagte durch die Anrechnung der ausländischen Haft nicht besser stehen soll, als er gestanden hätte, wenn das gesamte Tatgeschehen im Inland abgeurteilt worden wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Dezember 2016 - 3 StR 440/16, StV 2018, 561 Rn. 4).

Daran gemessen sind die Voraussetzungen für eine Anrechnung im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Die Auslieferung und die ihr vorausgehende Inhaftierung des Angeklagten standen mit dem hiesigen Haftbefehl und Tatvorwurf nach den vom Oberlandesgericht getroffenen Feststellungen in keinem Zusammenhang. Sie beruhten nicht auf einer von deutschen Behörden betriebenen Fahndung.

Soweit die Revision darauf abstellt, der Abschiebehaft des Angeklagten habe eine Absprache zwischen den deutschen und den türkischen Behörden zugrunde gelegen, Deutschland habe dem Angeklagten gezielt kein vollwertiges Passdokument ausgestellt, um seine Abschiebung und Festnahme nach Rückführung sicherzustellen, kann derartiges urteilsfremdes Vorbringen im Rahmen der Sachrüge dem Rechtsmittel nicht zum Erfolg verhelfen. Eine Verfahrensrüge ist nicht erhoben.