WpHG § 13 Abs. 1, § 15 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1, § 37b Ad-hoc-Pflicht schon bei sich abzeichnenden Insidertatsachen
WpHG § 13 Abs. 1, § 15 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1, § 37b Ad-hoc-Pflicht schon bei sich abzeichnenden Insidertatsachen
BGH, Beschl. v. 23.04.2013 - II ZB 7/09 - NJW 2013, 2114
LS: a) Bei einem zeitlich gestreckten Vorgang wie der Herbeiführung eines Aufsichtsratsbeschlusses über den Wechsel im Amt des Vorstandsvorsitzenden kann jeder Zwischenschritt auch bereits die Kundgabe der Absicht des amtierenden Vorstandsvorsitzenden gegenüber dem Aufsichtsratsvorsitzenden, vor Ablauf der Amtszeit aus dem Amt zu scheiden eine Insiderinformation im Sinn von § 13 Abs. 1 Satz 1 WpHG über einen bereits eingetretenen, nicht öffentlich bekannten Umstand sein. b) Der Zwischenschritt kann eine Insiderinformation im Sinn von § 13 Abs. 1 Satz 1 WpHG über einen künftigen Umstand hier: Zustimmung des Aufsichtsrats oder Wechsel im Amt sein, wenn nach den Regeln der allgemeinen Erfahrung eher mit dem Eintritt des künftigen Umstands als mit seinem Ausbleiben zu rechnen ist. c) Die Emittentin macht sich nicht nach § 37b WpHG schadensersatzpflichtig, wenn sie sich bei Fehlen einer bewussten Entscheidung für eine Befreiung von der Veröffentlichungspflicht entschieden hätte und die weiteren Voraussetzungen von § 15 Abs. 3 Satz 1 WpHG tatsächlich vorliegen.
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. April 2013 beschlossen: Auf die Rechtsbeschwerde des Musterklägers wird der Beschluss des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 22. April 2009 mit Ausnahme der Feststellung zu 1), dass in der Zeit vom 17. Mai 2005 bis zur Beschlussfassung des Aufsichtsrats der Musterbeklagten am 28. Juli 2005 keine Insiderinformation des Inhalts entstanden ist, dass Prof. S. gegenüber dem Aufsichtsratsvorsitzenden die einseitige Amtsniederlegung erklärt hat, aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Streitwert: 5.481.662,92 €
Gründe:
I. Der Musterkläger verlangt von der Musterbeklagten Schadensersatz wegen verspäteter Ad-hoc-Mitteilung über das vorzeitige Ausscheiden ihres Vorstandsvorsitzenden Prof. S . Nach der Hauptversammlung der Musterbeklagten vom 6. April 2005 trug sich Prof. S. zunehmend mit dem Gedanken, vor Ablauf seiner bis 2008 reichenden Bestellung als Vorstandsvorsitzender auszuscheiden. Seine Ehefrau, die als Führungskraft sein Büro betreute, weihte er in
diese Überlegungen ein. Am 17. Mai 2005 erörterte er seine Absicht mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden K. . Am 1. Juni 2005 wurden die Aufsichtsratsmitglieder W. und L. über die Pläne informiert, spätestens am 15. Juni 2005 setzte Prof. S. das Vorstandsmitglied Dr. Z. , der sein Nachfolger als Vorstandsvorsitzender werden sollte, in Kenntnis. Am 6. Juli 2005 wurde die Chefsekretärin B. informiert, ab dem 10. Juli 2005 arbeiteten der Kommunikationschef Sc. , Frau S. und Frau B. an einer Pressemitteilung, einem externen Statement und einem Brief an die Mitarbeiter der Musterbeklagten. Am 13. Juli 2005 wurde zu einer Aufsichtsratssitzung auf den 28. Juli 2005 eingeladen. Die Einladung enthielt ebenso wie die Einberufung des Präsidialausschusses des Aufsichtsrats auf den 27. Juli 2005 keinen Hinweis auf einen möglichen Wechsel in der Person des Vorstandsvorsitzenden. Am 18. Juli 2005 verständigten sich Prof. S. und der Aufsichtsratsvorsitzende K. darauf, in der Aufsichtsratssitzung vom 28. Juli 2005 das vorzeitige Ausscheiden von Prof. S. zum Ende des Jahres und die Bestimmung von Dr. Z. zum Nachfolger vorzuschlagen. Am 25. Juli 2005 erörterte Prof. S. mit dem Aufsichtsratsmitglied und Vorsitzenden des Konzern- und Gesamtbetriebsrats Kl. den Wechsel. Ob Kl. bereits am 11. Juli 2005 telefonisch über den beabsichtigten Wechsel informiert worden war, ist streitig. Klemm besprach die Personalfrage mit den übrigen Arbeitnehmervertretern, führte Gespräche mit Dr. Z. und kündigte am 27. Juli 2005 Prof. S. an, dass die Arbeitnehmerbank für den Wechsel stimmen werde. Am 27. Juli 2005 wurden die beiden weiteren Mitglieder des Präsidialausschusses Dr. Kle. und Dr. Sch. informiert, bevor um 17.00 Uhr die Sitzung des Präsidialausschusses begann. Der Präsidialausschuss beschloss, dem Aufsichtsrat am Folgetag vorzuschlagen, dem vorzeitigen Ausscheiden von Prof. S. zum Jahresende und der Bestellung von Dr. Z. zu seinem Nachfolger zuzustimmen. Prof. S. informierte um 18.30 Uhr das Vorstandsmitglied Dr. C. , das in der Öffentlichkeit als sein möglicher Nachfolger gegolten hatte, und um 19.00 Uhr die beiden weiteren Vorstandsmitglieder Dr. G. und U. von dem beabsichtigten Wechsel. Um 19.30 Uhr fand ein Abendessen der Anteilseignervertreter unter den Aufsichtsratsmitgliedern statt, bei dem die Empfehlung des Präsidialausschusses Gesprächsthema war. Am 28. Juli 2005 beschloss der Aufsichtsrat der Musterbeklagten gegen 9.50 Uhr, dass Prof. S. zum Jahresende aus dem Amt ausscheiden und Dr. Z. neuer Vorstandsvorsitzender werden sollte. Eine entsprechende Ad-hoc-Mitteilung sandte die Musterbeklagte den Geschäftsführungen der Börsen und der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) vorab um 10.02 Uhr, um 10.32 Uhr wurde die Ad-hoc-Mitteilung in der Meldungsdatenbank der Deutschen Gesellschaft für Ad-hoc-Publizität veröffentlicht. Der an diesem Tag bereits nach der Veröffentlichung der Ergebnisse des zweiten Quartals 2005 angestiegene Kurswert der Aktien der Musterbeklagten stieg nach der Mitteilung über den Wechsel im Amt des Vorstandsvorsitzenden deutlich an. Mehrere Anleger, die Aktien der Musterbeklagten vor diesem Zeitpunkt verkauft hatten, haben wie der Musterkläger Klage gegen die Musterbeklagte erhoben, mit der sie Schadensersatz wegen der ihrer Ansicht nach verspäteten Ad-hoc-Mitteilung verlangen. Das Oberlandesgericht Stuttgart hat auf die ihm durch Vorlagebeschluss des Landgerichts vorgelegten Feststellungsziele mit Musterentscheid vom 15. Februar 2007 (ZIP 2007, 481) festgestellt, dass eine Insiderinformation im Sinne des § 37b Abs. 1 WpHG erst am 28. Juli 2005 um ca. 9.50 Uhr entstanden sei und dass die Musterbeklagte diese unverzüglich veröffentlicht habe. Der Bundesgerichtshof hat diesen Musterentscheid mit Beschluss vom 25. Februar 2008 (II ZB 9/07, ZIP 2008, 639) aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht Stuttgart zurückverwiesen. Im Musterentscheid vom 22. April 2009 (ZIP 2009, 962) hat das Oberlandesgericht Stuttgart festgestellt, dass bis zur Beschlussfassung des Aufsichtsrats der Musterbeklagten am 28. Juli 2005 keine Insiderinformation des Inhalts entstanden ist, dass Prof. S. gegenüber dem Aufsichtsratsvorsitzenden die einseitige Amtsniederlegung erklärt hat und dass am 27. Juli 2005 nach 17.00 Uhr mit der Beschlussfassung des Präsidialausschusses des Aufsichtsrats der Musterbeklagten eine Insiderinformation entstanden ist, dass der Aufsichtsrat in seiner Sitzung am 28. Juli 2005 über den Vorschlag des Präsidialausschusses beschließen wird, der vorzeitigen Aufhebung der Bestellung von Prof. S. zum Vorstandsvorsitzenden zum 31. Dezember 2005 zuzustimmen. Weiter hat es festgestellt, dass die Musterbeklagte von der Pflicht zur unverzüglichen Veröffentlichung dieser Information nicht bis zur Beschlussfassung durch den Aufsichtsrat am 28. Juli 2005 gem. § 15 Abs. 3 WpHG befreit war, aber nicht nach § 37b WpHG auf Schadensersatz wegen Unterlassens einer unverzüglichen Veröffentlichung haftet, weil sie sich darauf berufen könne, dass der geltend gemachte Schaden gleichermaßen eingetreten wäre, wenn sie eine bewusste Entscheidung über den Aufschub getroffen sowie das mit den Insiderregeln hinreichend vertraute Aufsichtsratsmitglied noch einmal belehrt und damit rechtmäßig gehandelt hätte. Gegen den Musterentscheid hat der Musterkläger Rechtsbeschwerde eingelegt, der zwölf weitere Kläger beigetreten sind. Der Senat hat dem Gerichtshof der Europäischen Union mit Beschluss vom 22. November 2010 (ZIP 2011, 72) zwei Fragen zur Auslegung von Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/6/EG, Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/124/EG vorgelegt. Der Gerichtshof hat mit Urteil vom 28. Juni 2012 C-19/11 (ZIP 2012, 1282) entschieden:
1. Art. 1 Nr. 1 der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch) und Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/124/EG der Kommission vom 22. Dezember 2003 zur Durchführung der Richtlinie 2003/6 betreffend die Begriffsbestimmung und die Veröffentlichung von Insider-Informationen und die Begriffsbestimmung der Marktmanipulation sind dahin auszulegen, dass bei einem zeitlich gestreckten Vorgang, bei dem ein bestimmter Umstand verwirklicht oder ein bestimmtes Ereignis herbeigeführt werden soll, nicht nur dieser Umstand oder dieses Ereignis präzise Informationen im Sinne der genannten Bestimmungen sein können, sondern auch die mit der Verwirklichung des Umstands oder Ereignisses verknüpften Zwichenschritte dieses Vorgangs.
2. Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/124 ist dahin auszulegen, dass die Wendung „eine Reihe von Umständen …, … bei denen man mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen kann, dass sie in Zukunft existieren werden, oder ein Ereignis, das … mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in Zukunft eintreten wird“, auf künftige Umstände oder Ereignisse abzielt, bei denen eine umfassende Würdigung der bereits verfügbaren Anhaltspunkte ergibt, dass tatsächlich erwartet werden kann, dass sie in Zukunft existieren oder eintreten werden. Dagegen ist die Wendung nicht dahin auszulegen, dass das Ausmaß der Auswirkung dieser Reihe von Umständen oder dieses Ereignisses auf den Kurs der betreffenden Finanzinstrumente berücksichtigt werden muss.
II. Die zulässige Rechtsbeschwerde des Musterklägers, die gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 KapMuG in der bis zum 1. November 2012 geltenden Fassung (im Folgenden nur: KapMuG), die gem. § 27 KapMuG in der ab diesem Zeitpunkt geltenden Fassung (Art. 1, 10 Abs. 1 S. 1 des Gesetzes vom 19. Oktober 2012, BGBl. I S. 2182; im Folgenden: KapMuG n.F.) auf das vorliegende Musterverfahren weiterhin anwendbar ist, kraft Gesetzes stets grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO hat, ist teilweise begründet. Auf die Rechtsbeschwerde des Musterklägers ist der Musterentscheid mit Ausnahme der Feststellung zu 1) aufzuheben und die Sache an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen, damit es die nach dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union weiter erforderlichen Tatsachenfeststellungen treffen kann.
1. Die Feststellung des Oberlandesgerichts, dass in der Zeit vom 17. Mai 2005 bis zur Beschlussfassung des Aufsichtsrats der Musterbeklagten keine Insiderinformation des Inhalts entstanden ist, dass Prof. S. gegenüber dem Aufsichtsratsvorsitzenden die einseitige Amtsniederlegung erklärt hat, hält der Überprüfung im Rechtsbeschwerdeverfahren stand. Die Beweiswürdigung des Oberlandesgerichts, das dazu Prof. S. und den Aufsichtsratsvorsitzenden K. als Zeugen vernommen hat, ist rechtsfehlerfrei. Die Beweiswürdigung durch das Oberlandesgericht im Kapitalanlegermusterverfahren ist im Rechtsbeschwerdeverfahren nur auf Rechtsfehler zu überprüfen, § 576 Abs. 1 und Abs. 3 ZPO i.V.m. § 546 ZPO. Die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters und nur eingeschränkt darauf zu überprüfen, ob er sich mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Beweiswürdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 13. Dezember 2011 XI ZR 51/10, BGHZ 192, 90 Rn. 29; Urteil vom 19. Juli 2004 II ZR 217/03, WM 2004, 1726, 1729). Das gilt auch für die Musterrechtsbeschwerde. Dass einem Musterverfahren nach § 15 Abs. 1 Satz 2 KapMuG (§ 20 Abs. 1 Satz 2 KapMuG n.F.) grundsätzliche Bedeutung zukommt, auch wenn es auf die Feststellung von Tatsachen zielt, betrifft die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde, beseitigt aber nicht die grundsätzliche Bindung des Bundesgerichtshofs als Rechtsbeschwerdegericht an rechtsfehlerfrei getroffene tatsächliche Feststellungen des Oberlandesgerichts (§ 577 Abs. 2 Satz 4 ZPO i.V.m. § 559 Abs. 2 ZPO; vgl. KK-KapMuG/Rimmelspacher, § 15 Rn. 205). Das Oberlandesgericht setzt sich mit den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinander und würdigt sie vollständig. Entgegen der Auffassung des Beigetretenen zu 1 ist die Beweiswürdigung nicht deshalb unvollständig, weil das Oberlandesgericht die Glaubwürdigkeit der Zeugen nicht ausdrücklich erwähnt hat. Nach § 286 Abs. 1 Satz 2 ZPO sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Mit der Frage der Glaubhaftigkeit der Aussagen der beiden Zeugen, die bei der Würdigung von Zeugenaussagen im Mittelpunkt steht, hat sich das Oberlandesgericht ausführlich auseinandergesetzt. Das Oberlandesgericht hat dabei entgegen der Auffassung des Beigetretenen zu 1 nicht Umständen eine ihnen nicht zukommende Indizwirkung zukommen lassen, weil eine Beschlussfassung durch den Aufsichtsrat nach einer Amtsniederlegung entbehrlich und unverständlich gewesen sei, obwohl die Beteiligten an einem Beschluss des Aufsichtsrats wegen der Außenwirkung ein Interesse haben konnten. Es hat die Ankündigung der einseitigen Amtsniederlegung bei dem Gespräch mit dem Zeugen K. bereits im Mai vielmehr mit dem gesamten weiteren Geschehensablauf seit Mitte Mai 2005 für unvereinbar gehalten. Das Oberlandesgericht ist auch auf die Glaubwürdigkeit der Zeugen eingegangen, soweit sie der Musterkläger in Zweifel gezogen und aufgrund der übereinstimmenden
Wortwahl in den Aussagen eine Abstimmung der Aussagen vermutet hat. Es hat die übereinstimmende Wortwahl nachvollziehbar damit erklärt, dass die Zeugen den Ablauf eines Gesprächs zwischen ihnen schilderten.
2. Dagegen hat die Rechtsbeschwerde Erfolg, soweit sie sich gegen die Feststellung im Musterentscheid wendet, dass erst am 27. Juli 2005 eine Insiderinformation entstanden ist. Als Zeitpunkt, zu dem eine Insiderinformation entstanden ist, kommt bereits das Gespräch des Zeugen S. Mitte Mai mit dem Zeugen K. in Betracht. Insoweit bedarf es aber noch tatrichterlicher Feststellungen, ob zu diesem Zeitpunkt eine konkrete Information im Sinn von § 13 Abs. 1 Satz 1 WpHG vorlag (Kursspezifität), ob diese Information geeignet war, im Falle ihres öffentlichen Bekanntwerdens den Börsenkurs der Aktien der Musterbeklagten erheblich zu beeinflussen (Kursrelevanz) oder ob die Zustimmung des Aufsichtsrats hinreichend wahrscheinlich war.
a) Die Mitteilung des Zeugen S. gegenüber dem Zeugen K. über seine Absicht, vor Ablauf der Amtszeit im Einvernehmen mit dem Aufsichtsrat aus dem Amt auszuscheiden, kann eine Insiderinformation im Sinn von § 13 Abs. 1 Satz 1 WpHG über einen bereits eingetretenen, nicht öffentlich bekannten Umstand sein. Das gilt erst recht für die weiteren, vom Oberlandesgericht aufgezählten Umstände bis zum Aufsichtsratsbeschluss vom 28. Juli 2005.
aa) Dass es sich um einen Zwischenschritt auf dem Weg zum Ausscheiden des Zeugen S. aus dem Vorstand der Musterbeklagten und der Bestimmung eines neuen Vorstandsvorsitzenden handelte, sperrt eine Einordnung als Insiderinformation nicht. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat auf die Vorlage des Senats klargestellt, dass bei einem zeitlich gestreckten Vorgang nicht nur der am Ende der Entwicklung stehende Umstand oder das Ereignis, sondern auch die mit der Verwirklichung des Umstands oder des Ereignisses verknüpften Zwischenschritte eine präzise Information im Sinn von Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch) und Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/124/EG der Kommission vom 22. Dezember 2003 zur Durchführung der Richtlinie 2003/6 betreffend die Begriffsbestimmung und die Veröffentlichung von Insider-Information und die Begriffsbestimmung der Marktmanipulation sein können (EuGH, ZIP 2012, 1282 Rn. 40). Dementsprechend kommt jedes einzelne Ereignis auf dem Weg zu einem beabsichtigten Ergebnis als Insiderinformation nach § 13 Abs. 1 Satz 1 WpHG in Betracht. Entgegen dem Musterentscheid sperrt das im beabsichtigten Ergebnis bestehende künftige Ereignis nicht die Überprüfung der einzelnen Zwischenschritte auf ihre Eignung als Insiderinformation.
bb) Der Musterentscheid erweist sich insoweit auch nicht aufgrund der Hilfserwägung des Oberlandesgerichts als richtig, aus der Sicht eines verständigen Anlegers könnten bereits eingetretene Umstände nur kursrelevant sein, wenn das künftige Ereignis, auf das sie inhaltlich gerichtet sind, hinreichend wahrscheinlich eintrete. Da der bereits eingetretene Umstand selbständig im Hinblick auf seine Eignung als Insiderinformation zu betrachten ist, kommt es nicht ausschließlich darauf an, ob er auf ein künftiges Ereignis gerichtet ist und mit welcher Wahrscheinlichkeit dieses künftige Ereignis gegebenenfalls eintritt. Eine Insiderinformation setzt voraus, dass die nicht öffentlich bekannten Umstände geeignet sind, im Falle ihres öffentlichen Bekanntwerdens den Börsenpreis der Insiderpapiere erheblich zu beeinflussen (Kursrelevanz). Eine solche Eignung ist nach § 13 Abs. 1 Satz 2 WpHG gegeben, wenn ein verständiger Anleger die Information bei seiner Anlageentscheidung berücksichtigen würde. Vor dem Hintergrund von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch) ist damit in richtlinienkonformer Auslegung eine Information gemeint, die ein verständiger Anleger wahrscheinlich als Teil der Grundlage seiner Anlageentscheidung nutzen würde. Dabei ist zwischen der Information über ein bereits eingetretenes Ereignis oder einen vorliegenden Umstand und der Information über künftige Umstände und Ereignisse zu unterscheiden. Nur für die Information über künftige, mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eintretende Ereignisse hat der Gerichtshof der Europäischen Union ausdrücklich entschieden, dass es für die Kursrelevanz auch auf die Wahrscheinlichkeit des Eintritts des Ereignisses ankommt (EuGH, ZIP 2012, 1282 Rn. 55).
cc) Der Senat kann in der Sache insoweit nicht selbst entscheiden, weil das Oberlandesgericht von seinem Standpunkt aus folgerichtig weder Feststellungen getroffen hat, welche der bis zum Aufsichtsratsbeschluss eingetretenen Umstände im Sinn von § 13 Abs. 1 Satz 1 WpHG eine konkrete Information sind (Kursspezifität), noch ob sie geeignet sind, im Falle ihres öffentlichen Bekanntwerdens den Börsenkurs der Aktien der Musterbeklagten erheblich zu beeinflussen (Kursrelevanz).
(1) Die Tatsache, dass sich der Zeuge S. mit dem Gedanken trug, vor Ablauf seiner bis 2008 reichenden Bestellung als Vorstandsvorsitzender auszuscheiden, und seine Ehefrau in entsprechende Überlegungen einweihte, ist allerdings auch als bereits existierender Umstand noch keine konkrete Information im Sinn von § 13 Abs. 1 Satz 1 WpHG. Eine auf einen bereits existierenden Umstand oder ein bereits eingetretenes Ereignis bezogene Information ist konkret,
wenn sie spezifisch genug ist, um einen Schluss auf die mögliche Auswirkung des bereits existierenden Umstands oder des bereits eingetretenen Ereignisses auf die Kurse von Finanzinstrumenten zuzulassen (Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/124/EG, EuGH, ZIP 2012, 1282 Rn. 29). Zwar können auch Pläne, Vorhaben oder Absichten einer Person konkrete Informationen über diesen bereits existierenden Umstand sein (a.A. Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 6. Aufl., § 13 Rn. 21). Wenn bei einem zeitlich gestreckten Vorgang ein bestimmter Umstand verwirklicht oder ein bestimmtes Ereignis herbeigeführt werden soll, können auch die mit der Verwirklichung des Umstands oder Ereignisses verknüpften Zwischenschritte dieses Vorgangs eine Insiderinformation sein (EuGH, ZIP 2012, 1282 Rn. 38). Allein die Tatsache, dass sich der Zeuge S. mit Überlegungen befasste, vor Ablauf der Bestellung auszuscheiden, ohne einen dahin gehenden Entschluss gefasst zu haben, begründet aber noch keine so spezifische Information, dass sie einen Schluss auf eine mögliche Auswirkung auf die Kurse zuließe. Dem Merkmal der Kursspezifität kommt gerade bei Ereignissen, die als Teil eines gestreckten Geschehensablaufs angesehen werden können, eine Bedeutung zu (vgl. EuGH, ZIP 2012, 1282 Rn. 39). Eine mögliche Auswirkung auf die Kurse stand mit dem Verbleib des Zeugen S. als Vorstandsvorsitzenden in Zusammenhang. Auswirkungen auf die Kurse sind bei der Kenntnis von bloßen Überlegungen auch nicht daraus herzuleiten, dass den Erwägungen eine Schwächung der Leitungsposition entnommen werden könnte. Das ist auch nicht deshalb anders zu beurteilen, weil der Zeuge S. die Überlegungen seiner Ehefrau, die ebenfalls bei der Musterbeklagten tätig war, mitgeteilt hat. Damit sind sie nicht über den engen persönlichen Bereich hinausgelangt und haben den Charakter als Überlegungen, denen kein präziser Informationsgehalt zukommt, nicht verloren.
(2) Ob das Gespräch mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden K. und die weiteren einzelnen Ereignisse, die das Oberlandesgericht für die Zeit zwischen diesem Gespräch und dem Aufsichtsratsbeschluss ermittelt hat, konkrete Informationen und kursrelevant sind, kann der Senat nicht selbst feststellen. Maßgebend für die Kursspezifität ist, ob die Information über diese Umstände jeweils schon spezifisch bzw. präzise genug ist, um einen Schluss auf eine Auswirkung auf den Kurs der Aktien der Musterbeklagten zuzulassen. Die Information über das Gespräch zwischen dem Aufsichtsratsvorsitzenden und dem Vorstandsvorsitzenden zu einem einvernehmlichen Wechsel im Vorstandsvorsitz ist konkret. Anhand der tatsächlichen Umstände ist für den 17. Mai 2005 aber noch zu ermitteln, ob sie einen Rückschluss auf die Kursentwicklung zulässt. Bisher ist nur für den 27. Juli 2005 festgestellt, dass die Information über den Aufsichtsratsbeschluss zum Wechsel im Vorstandsvorsitz auf einen Kursanstieg der Aktie der Musterbeklagten schließen ließ. Entsprechendes gilt gegebenenfalls für die weiteren Ereignisse bis zum Aufsichtsratsbeschluss. Maßgebend für die Kursrelevanz ist, ob ein verständiger Anleger als Teil der Grundlage seiner Anlageentscheidung bereits die Information über den jeweiligen Umstand nutzen würde, hier also dass der Zeuge S. gegenüber dem Zeugen K. seine Absicht bekundet hat, vor Ablauf der Amtszeit im Einvernehmen mit dem Aufsichtsrat aus dem Amt auszuscheiden, und der Zeuge K. dem nicht entgegengetreten ist, sondern mit dem Zeugen S. zusammen auf einen Aufsichtsratsbeschluss hinarbeiten wollte; entsprechendes gilt für die weiteren Ereignisse und Umstände bis zum Beschluss des Aufsichtsrats. Das Kursbeeinflussungspotential einer Information ist in objektiv-nachträglicher Ex-ante-Prognose zu ermitteln (BGH, Urteil vom 13. Dezember 2011 XI ZR 51/10, BGHZ 192, 90 Rn. 41). Die Prüfung soll nach dem zur Auslegung heranzuziehenden ersten Erwägungsgrund der Richtlinie 2003/124/EG der Kommission vom 22. Dezember 2003 zur Durchführung der Richtlinie 2003/6 betreffend die Begriffsbestimmung und die Veröffentlichung von Insider-Information und die Begriffsbestimmung der Marktmanipulation (vgl. EuGH, ZIP 2012, 1282 Rn. 55) anhand der ex ante vorliegenden Informationen erfolgen und sollte die möglichen Auswirkungen der Information in Betracht ziehen, insbesondere unter Berücksichtigung der Gesamttätigkeit des Emittenten, der Verlässlichkeit der Informationsquelle und sonstiger Marktvariablen, die das entsprechende Finanzinstrument beeinflussen dürften. Ein zwischen den Parteien umstrittener Kursanstieg nach der Ad-hoc-Mitteilung über den Aufsichtsratsbeschluss kann nur eingeschränkt als Indiz für die Kurserheblichkeit der Information über die vom Zeugen S. beabsichtigte einvernehmliche Beendigung der Vorstandstätigkeit und das Gespräch zwischen den Zeugen S. und K. herangezogen werden. Zwar kann der tatsächliche Kursverlauf Indizwirkung haben, wenn andere Umstände als das öffentliche Bekanntwerden der Insiderinformation für eine erhebliche Kursänderung praktisch ausgeschlossen werden können (vgl. BGH, Urteil vom 13. Dezember 2011 XI ZR 51/10, BGHZ 192, 90 Rn. 41). Bei der Information über den Aufsichtsratsbeschluss, nach dem die Beendigung der Vorstandstätigkeit von Prof. S. zum Jahresende praktisch sicher war, handelt es sich aber um eine andere Information als die Information über ein Gespräch über die Absicht, aus dem Vorstandsamt zum Jahreswechsel auszuscheiden. Aus einem Kursanstieg als Reaktion auf den Aufsichtsratsbeschluss lässt sich daher nur entnehmen, dass eine Information über das Ausscheiden des Zeugen S. aus dem Vorstandsamt, wenn sie Ende Juli 2005 von Bedeutung für den Kurs der Aktie der Musterbeklagten war,
Anfang Mai kaum ohne jede Bedeutung für den Kurs gewesen sein kann, wenn in der Zeit dazwischen nicht besondere Umstände eingetreten sind, die eine solche Veränderung erklären. Bei der Beurteilung der Kursrelevanz kann nicht allein darauf abgestellt werden, wie wahrscheinlich die beabsichtigte einvernehmliche Beendigung der Bestellung war. Die Information über die Absicht des Zeugen S. , im Einverständnis mit dem Aufsichtsrat vorzeitig aus dem Amt als Vorstandsvorsitzender auszuscheiden, muss sich für die Bewertung durch einen Anleger nicht im Hinweis auf ein künftiges Ereignis beschränken, sondern kann auch aus anderen Gründen von einem Anleger als Teil der Grundlage seiner Anlageentscheidungen benutzt werden. Schon die Absicht, die personelle Veränderung in der Leitung umzusetzen, kann bedeuten, dass die Musterbeklagte die vom Zeugen S. verfolgte Geschäftspolitik nicht oder nicht mit Nachdruck weiterverfolgt. Allerdings ist auch zu berücksichtigen, dass der Umstand, dass an einer einvernehmlichen Aufhebung der Bestellung und Nachfolgeregelung gearbeitet wird, auch auf das künftige Ereignis des Wechsels im Amt des Vorstandsvorsitzenden hindeutet. Inwieweit die Wahrscheinlichkeit des Eintritts des künftigen Ereignisses, auf das das bereits eingetretene Ereignis hindeuten kann, bei der Beurteilung der Kursrelevanz des bereits eingetretenen Ereignisses von Bedeutung ist, hat der Gerichtshof der Europäischen Union nicht ausdrücklich ausgeführt. Im Zusammenhang mit der Kursrelevanz der Information über künftige Umstände hat er entschieden, dass dann, wenn es sich um eine Information über ein hinreichend wahrscheinliches künftiges Ereignis handelt, davon auszugehen sei, dass ein Anleger auch den Grad der Wahrscheinlichkeit des Eintritts des künftigen Ereignisses in Betracht zieht (vgl. EuGH, ZIP 2012, 1282 Rn. 55). Da danach bei der Kursrelevanz generell davon auszugehen ist, dass ein Anleger den Grad der Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines künftigen Ereignisses in Betracht zieht, muss dies auch gelten, wenn eine präzise Information über einen eingetretenen Umstand vorliegt, der auf ein künftiges Ereignis hinweist, und der Anleger insoweit den möglichen künftigen Verlauf abschätzen muss (Schall, ZIP 2012, 1286, 1288; Klöhn, ZIP 2012, 1885, 1891). Der Senat verkennt nicht, das dies frühzeitig zu einer veröffentlichungspflichtigen Insiderinformation führen kann, obwohl der unternehmensinterne Entscheidungsprozess noch nicht abgeschlossen ist. Das entspricht aber dem Zweck der Richtlinie, die Anleger einander gleichzustellen und u.a. vor der unrechtmäßigen Verwendung von Insiderinformationen zu schützen (vgl. EuGH, ZIP 2012, 1282 Rn. 33). Der Emittent ist dadurch geschützt, dass er die Veröffentlichung auf das eigene Risiko, die Vertraulichkeit gewährleisten zu können, aufschieben darf (§ 15 Abs. 3 Satz 1 WpHG). Außerdem schuldet er keinen Schadensersatz, wenn das Unterlassen der Veröffentlichung nicht auf Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit beruht (§ 37b Abs. 2 WpHG). Ein solcher Fall kann gerade auch vorliegen, wenn die Kursspezifität oder die Kursrelevanz mit einfacher Fahrlässigkeit falsch eingeschätzt werden.
b) Weiter kann ab Mitte Mai 2005 eine Insiderinformation über einen künftigen Zwischenschritt bzw. das „Endereignis“ entstanden sein, dass der Aufsichtsrat dem Ausscheiden des Zeugen S. zum Jahresende zustimmen bzw. dass der Zeuge S. zum Jahresende ausscheiden werde.
aa) Das Oberlandesgericht hat entsprechend dem Hinweis im Beschluss des Senats vom 25. Februar 2008 (II ZB 9/07, ZIP 2008, 639 Rn. 25 f.) seiner Entscheidung zugrunde gelegt, dass von dem künftigen Umstand des Aufsichtsratsbeschlusses, mit dem das Ausscheiden von Prof. S. zum Jahresende beschlossen wurde, erst mit hinreichender Wahrscheinlichkeit im Sinn des § 13 Abs. 1 Satz 3 WpHG (Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/124/EG) ausgegangen werden konnte, wenn aus der Sicht eines verständigen Anlegers die Entscheidung des Aufsichtsrats vorabgestimmt sei. Der Senat hatte im Beschluss vom 25. Februar 2008 ausgeführt, dass offen bleiben könne, ob mit hinreichender Wahrscheinlichkeit im Sinn von § 13 Abs. 1 Satz 3 WpHG (Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/124/EG) eine hohe oder nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit gefordert werde. Zu dem einvernehmlichen Ausscheiden sei ein Beschluss des Gesamtaufsichtsrats erforderlich gewesen und nach der Geschäftsordnung des Aufsichtsrats habe bereits auf den Widerspruch eines Mitglieds hin kein Beschluss zu dem in der Tagesordnung nicht angekündigten Ausscheiden von Prof. S. gefasst werden dürfen. Daher sei offen gewesen, ob der Aufsichtsrat sofort zu einer Entscheidung im Sinn des Vorschlags zum Ausscheiden von Prof. S. und der Bestellung von Dr. Z. als Nachfolger kommen oder sie vertagen würde. Anders sei dies gegebenenfalls bei einer definitiven Vorabstimmung des Aufsichtsratsbeschlusses zu beurteilen. Eine solche Vorabstimmung hat das Oberlandesgericht mit der Sitzung des Präsidialausschusses am 27. Juli 2005 angenommen.
bb) An dieser an einer reinen Wahrscheinlichkeitsbeurteilung orientierten Auslegung, die mindestens eine überwiegende Wahrscheinlichkeit verlangt und zudem im Ergebnis bei Entscheidungen von mit mehreren Personen besetzten Gremien wie dem Aufsichtsrat hohe Anforderungen an die Eintrittswahrscheinlichkeit stellt, hält der Senat nach der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht fest. Nach der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist der Begriff der hinreichenden Wahrscheinlichkeit in § 13 Abs. 1 Satz 3 WpHG
dahin auszulegen, dass er auf künftige Umstände oder Ereignisse abzielt, bei denen eine umfassende Würdigung der bereits verfügbaren Anhaltspunkte ergibt, dass tatsächlich erwartet werden kann, dass sie in Zukunft existieren oder eintreten werden (EuGH, ZIP 2012, 1282 Rn. 56). Damit wird nicht ausschließlich auf eine Wahrscheinlichkeitsbeurteilung abgestellt, sondern auf Regeln der allgemeinen Erfahrung (EuGH, ZIP 2012, 1282 Rn. 44). Zwar muss danach eher mit dem Eintreten des künftigen Ereignisses als mit seinem Ausbleiben zu rechnen sein, aber die Wahrscheinlichkeit muss nicht zusätzlich hoch sein. Damit sind auch hier weitere tatrichterliche Feststellungen erforderlich. Bei der Beurteilung nach den Regeln der allgemeinen Erfahrung sind alle tatsächlichen Umstände einzubeziehen. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, ob es dem Aufsichtsratsvorsitzenden in der Vergangenheit regelmäßig gelang, bei sorgfältiger Vorbereitung und Leitung beabsichtigte Beschlüsse zu Personalfragen im Aufsichtsrat durchzusetzen, und Umstände vorlagen, die hier ex ante dagegen sprachen, dass dies auch diesmal gelingen würde. Auf die Frage, ob der Aufsichtsrat auf Antrag eines Mitglieds eine Entscheidung vertagen musste, kommt es dagegen nicht entscheidend an, weil § 13 Abs. 1 Satz 3 WpHG auf ein künftiges Ereignis abzielt und die vernünftige Erwartung, dass es eintreten wird, durch eine Vertagung der Entscheidung, wenn sich dahinter keine Gegnerschaft verbirgt, nicht erheblich beeinträchtigt wird.
cc) Soweit danach von einer hinreichend präzisen Information über einen Aufsichtsratsbeschluss als künftig eintretenden Umstand auszugehen sein sollte, hat der nach Veröffentlichung der Ad-hoc-Mitteilung über den Aufsichtsratsbeschluss tatsächlich eingetretene Kursanstieg für die Beurteilung der Kursrelevanz Indizwirkung, wenn andere Umstände als das öffentliche Bekanntwerden der Insiderinformation für eine erhebliche Kursänderung praktisch ausgeschlossen werden können (vgl. BGH, Urteil vom 13. Dezember 2011 XI ZR 51/10, BGHZ 192, 90 Rn. 41). Insoweit ist das Oberlandesgericht daher zutreffend von einer Kursrelevanz für den von ihm angenommenen Zeitpunkt für eine veröffentlichungspflichtige Insiderinformation, den Vorabend vor dem Aufsichtsratsbeschluss, ausgegangen. Sofern dieser Zeitpunkt nach weiteren tatrichterlichen Feststellungen zeitlich vorzuverlegen ist, ist allerdings zu berücksichtigen, dass Anleger nicht nur die möglichen Auswirkungen dieses künftigen Ereignisses auf den Emittenten in Betracht ziehen werden, für die der Kursanstieg Indizwirkung hat, sondern bei ihren Anlageentscheidungen auch den Grad der Wahrscheinlichkeit des Eintritts des Ereignisses berücksichtigen werden (vgl. EuGH, ZIP 2012, 1282 Rn. 55).
3. Die Feststellungen im Musterentscheid, dass die Musterbeklagte von der Pflicht zur unverzüglichen Veröffentlichung der Insiderinformation nicht bis zur Beschlussfassung durch den Aufsichtsrat befreit war und dass die Musterbeklagte auch bei Erforderlichkeit einer bewussten Entscheidung über den Aufschub und trotz fehlender Belehrung eines Aufsichtsratsmitglieds nicht haftet, weil sie sich darauf berufen könne, dass der geltend gemachte Schaden gleichermaßen eingetreten wäre, wenn sie eine bewusste Entscheidung über den Aufschub getroffen und das Aufsichtsratsmitglied noch einmal belehrt hätte, beziehen sich auf den vom Oberlandesgericht angenommenen Zeitpunkt des Entstehens der Insiderinformation am 27. Juli 2005 nach 17.00 Uhr. Sie sind daher ebenfalls aufzuheben. Insoweit weist der Senat für das weitere Verfahren darauf hin, dass eine Feststellung, ob die Befreiung von der Pflicht zur unverzüglichen Veröffentlichung einer Insiderinformation nach § 15 Abs. 3 WpHG eine bewusste Entscheidung über den Aufschub der Veröffentlichung und eine nachträgliche Mitteilung an die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) voraussetzt, im Kapitalanlegermusterverfahren nicht getroffen werden muss, wenn die Emittentin sich darauf berufen kann, sie hätte sich für einen Aufschub entschieden, und die weiteren Voraussetzungen nach § 15 Abs. 3 Satz 1 WpHG tatsächlich vorliegen. Der Schädiger kann sich darauf berufen, dass der Schaden auch bei rechtmäßigem Alternativverhalten eingetreten wäre.
a) Der Schutzzweck der verletzten Norm schließt im Fall des § 15 Abs. 1 und 3, § 37b Abs. 1 WpHG die Berufung auf rechtmäßiges Alternativverhalten nicht aus. Ob der Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens im Einzelfall erheblich ist, richtet sich nach dem Schutzzweck der jeweils verletzten Norm (BGH, Urteil vom 24. Oktober 1985 IX ZR 91/84, BGHZ 96, 157, 171 ff.; Urteil vom 25. November 1992 VIII ZR 170/91, BGHZ 120, 281, 285). Die Schadensersatzpflicht wegen Verletzung der Pflicht zur unverzüglichen Veröffentlichung einer Insiderinformation dient in erster Linie dem Vermögensschutz der Anleger, selbst wenn sie zusätzlich einen generalpräventiven Charakter hat, und der Vermögensschutz der Anleger wird durch das Fehlen einer bewussten Entscheidung für einen befreienden Aufschub der Veröffentlichung nach § 15 Abs. 3 WpHG nicht berührt. Die Pflicht zur unverzüglichen Veröffentlichung schützt das Interesse an der Funktionsfähigkeit der Märkte und soll dem Insider-Handel entgegenwirken, und sie schützt auch das Vermögensinteresse der Anleger hinsichtlich des Erzielens „richtiger“ Preise sowie ihre Entscheidungsfreiheit. Wenn es für die Befreiung nach § 15 Abs. 3 WpHG nur an einer bewussten Entscheidung über den Aufschub fehlt, die Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 Satz 1 WpHG im Übrigen aber eingehalten sind, sind
die Schutzzwecke der Pflicht zur unverzüglichen Veröffentlichung, soweit sie den Anlegerinteressen dienen, nicht unmittelbar berührt. Eine bewusste Entscheidung des Emittenten soll die Sicherung der Vertraulichkeit gewährleisten helfen. Der Emittent muss nach § 15 Abs. 3 WpHG sicherstellen, dass nur Personen, die über ihre Insiderpflichten belehrt sind, im weiteren Ablauf von den Insiderinformationen erfahren und dass die Ad-Hoc-Mitteilung unverzüglich nachgeholt wird, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Vertraulichkeit nicht mehr gewahrt ist, um Insider-Handel zu verhindern. Das kann er nur gewährleisten, wenn er den weiteren Gang der Information im Unternehmen und den Markt beobachtet. Wenn der Emittent diese Anforderungen tatsächlich erfüllt, wird das Vermögensinteresse der Anleger hinsichtlich „richtiger“, nicht von Insiderhandel beeinflusster Preise und ihrer Entscheidungsfreiheit nicht beeinflusst. Dass die Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 Satz 1 WpHG abgesehen von der bewussten Entscheidung im Übrigen vorliegen müssen, betrifft hier insbesondere die Gewährleistung der Vertraulichkeit. Sie setzt neben der Kontrolle des Zugangs zu den Informationen (§ 7 WpAIV) voraus, dass der Emittent die erforderlichen Maßnahmen ergriffen hat, um zu gewährleisten, dass jede Person, die Zugang zur Insiderinformation hat, die sich daraus ergebenden rechtlichen sowie regulatorischen Pflichten anerkennt und sich der Sanktionen bewusst ist, die bei einer missbräuchlichen Verwendung bzw. einer nicht ordnungsgemäßen Verbreitung derartiger Informationen verhängt werden. Der deutsche Gesetzgeber hat dieses Anerkennungs- und Aufklärungserfordernis nach Art. 3 Abs. 2 Buchstabe b der Richtlinie 2003/124/EG in § 15b Abs. 1 Satz 3 WpHG aufgenommen (vgl. Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 6. Aufl., § 15 Rn. 163; unklar insoweit Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Anlegerschutzes [Anlegerschutzverbesserungsgesetz AnSVG], BT-Drucks. 15/3174 S. 35). Die mit § 15b Abs. 1 Satz 3 WpHG für die Gewährleistung der Vertraulichkeit geregelte Voraussetzung, dass die Personen, die Zugang zu den Insiderinformationen haben, deren Veröffentlichung aufgeschoben wurde, über die Rechtsfolgen von Verstößen aufgeklärt und über ihre Pflichten belehrt sind, kann nicht ihrerseits wieder dadurch ersetzt werden, dass es genügt, dass die Personen aufgeklärt und belehrt werden könnten. Das Aufklärungs- und Belehrungserfordernis soll der Kontrolle des Informationsflusses durch den Emittenten dienen und bei den Insidern das Bewusstsein für ihre Pflichten stärken. Diesem Zweck widerspricht es, es genügen zu lassen, dass die Insiderinformation tatsächlich vertraulich geblieben ist und der Emittent die von ihm verlangte Kontrolle dadurch ersetzt, dass er sich darauf beruft, dass er die formalen Voraussetzungen der Gewährleistung der Vertraulichkeit jederzeit hätte herbeiführen können.
b) Die Berufung auf rechtmäßiges Alternativverhalten setzt aber voraus, dass der Schädiger bei rechtmäßigem Verhalten denselben Erfolg herbeigeführt hätte. Es genügt nicht, dass er ihn hätte herbeiführen können (BGH, Urteil vom 25. November 1992 VIII ZR 170/91, BGHZ 120, 281, 287; Urteil vom 3. Februar 2000 III ZR 296/98, BGHZ 143, 362, 365). Dass die Musterbeklagte, wenn sie das Vorliegen einer Insiderinformation erkannt hätte, eine Befreiungsentscheidung getroffen hätte, hat das Oberlandesgericht bisher nicht festgestellt.
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